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       # taz.de -- Debatte Reform „Abwehrzentrum Rechts“: Basisdemokratisches Protestcamp
       
       > Nach dem Chaos um die Zwickauer Zelle hat Innenminister Friedrich erneut
       > ein unübersichtliches Gremium geschaffen. Aus dem GAR wird das GETZ.
       
   IMG Bild: Ein Fall fürs Abwehrzentrum Rechtsextremismus?
       
       In wenigen Tagen beginnt in München die justizielle Aufarbeitung der
       NSU-Mordserie. Noch vor dem ersten Prozesstag reiht sich das
       Oberlandesgericht mit seiner Platzpolitik ein in die lange Liste miefiger
       deutscher Amtsstuben. Gleichzeitig schaffen die Innenminister, von
       Parlamenten und Öffentlichkeit unbehelligt, Fakten und brechen endgültig
       mit dem Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei.
       
       Nach weniger als einem Jahr Karenz hat Bundesinnenminister Hans-Peter
       Friedrich aus dem „Gemeinsamen Abwehrzentrum Rechtsextremismus“ (GAR) nun
       das „Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum“ (GETZ) gemacht.
       
       Das GAR wurde von Friedrich und seinen Länderkollegen als unmittelbare
       Reaktion auf das kollektive Versagen ihrer Behörden bei der Aufklärung der
       Nazimorde gegründet. Als Ursache war damals mangelnder behördlicher
       Datenaustausch ausgemacht worden. Mit dem „Abwehrzentrum Rechts“, hieß es,
       ziehe man „die organisatorischen Konsequenzen aus den erkennbar gewordenen
       neuen rechtsterroristischen Gewaltstrukturen“.
       
       Und was passiert dann? Nicht einmal ein einziges Jahr später wird das
       Zentrum, dessen klarer Auftrag sich aus einer beispiellosen Mordserie
       ergab, umgebaut. Im Herbst 2012 erweitert Friedrich die Zuständigkeit, aus
       GAR wird ohne Beteiligung des Parlaments und jetzt auch gegen den Protest
       einiger Bundesländer das GETZ: nun zusätzlich befasst mit
       „Linksextremismus, Linksterrorismus, Ausländerextremismus, Spionage und
       Proliferation“. Ausgerechnet „Ausländerextremismus“! Was genau soll das
       sein? Könnten da vielleicht die im NSU-Fall ermittelnden Beamten der
       Nürnberger Soko „Bosporus“ eine Antwort liefern?
       
       ## GETZ soll „Kooperationsplattform“ sein
       
       Aber auch das Innere des GETZ ist bemerkenswert: Friedrich besteht darauf,
       dass es sich bei der Einrichtung um keine neue Behörde handelt, es soll
       wieder nur eine „Kooperationsplattform“ sein. Das Ministerium hält deshalb
       eine gesetzliche Grundlage für nicht notwendig, sieht aber dennoch im GETZ
       eine „auf Dauer angelegte behördenübergreifende Informationsplattform“, es
       sei ein „wichtiger Baustein in der Sicherheitsarchitektur Deutschlands“.
       
       Was dort passiert, bleibt unklar. Drängende verfassungs- und
       datenschutzrechtliche Fragen werden nicht erörtert. Zwei parlamentarische
       Anfragen der Fraktion Die Linke vom Juli und November 2012, damals noch zum
       offenbar baugleichen Voränger GAR, bringen etwas Licht ins Dunkel.
       
       Das GETZ ist an zwei Standorten angesiedelt. Man trifft sich im
       wöchentlichen Wechsel beim Bundeskriminalamt in Meckenheim und dem
       Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Aktuell entsenden 30 (mit Europol
       potenziell 43) verschiedene Landes- und Bundesbehörden nach eigenem
       Belieben ausgewählte Beamte von Dienstag bis Donnerstag in das GETZ. Jetzt
       auch neu mit dabei: das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) –
       Stichwort „Ausländerextremismus“.
       
       Die mittelbare demokratische Kontrolle der Beamten verteilt sich damit auf
       bis zu 17 Regierungen. Auf Bundesebene sind neben dem Innenministerium noch
       weitere Ressorts zuständig. Von einer demokratischen Legitimation der
       Akteure kann in einer solchen Struktur keine Rede mehr sein. Dass aber eine
       stärkere Kontrolle der Behörden bitter nötig ist, zeigt schon deren Umgang
       mit den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen im NSU-Fall allzu
       deutlich.
       
       ## Nach eigenem Ermessen
       
       Erscheint die Vielzahl der einbezogenen Behörden erschreckend, erinnert die
       offene Struktur des GETZ eher an ein basisdemokratisches Protestcamp:
       Sieben reguläre Arbeitsgruppen (AG) bearbeiten verschiedene Themenfelder,
       wöchentlich trifft sich das Plenum, außerplanmäßige AGs können kurzfristig
       und nach eigenem Ermessen eingerichtet werden. Welche Behörden in welcher
       AG vertreten sind, scheint ebenfalls den Teilnehmern selbst überlassen.
       
       Besonders der AG Personenpotenziale kommt mit dem „Informationsaustausch
       über einzelne Personen oder Personengruppen“ eine höchst fragwürdige Rolle
       zu. Schließlich sitzen dort zwischen den 16 Landespolizeibehörden bis zu 19
       Geheimdienste. Diese wiederum sind berechtigt, Informationen ohne
       gerichtliche Kontrolle auf verdeckte Weise zu sammeln. Mit dem BAMF ist
       überdies noch die Stelle beteiligt, in der persönliche Daten von
       Flüchtlingen im Rahmen des grundrechtlich geschützten Asylverfahrens
       erhoben und bewertet werden. Auch militärische Abteilungen können
       teilnehmen, deren Einsatz im Inland durch das Grundgesetz streng
       reglementiert ist.
       
       ## Unterlaufen leicht gemacht
       
       Wer jedoch mit wem worüber redet, ist in dieser lockeren Runde völlig
       unklar. Dabei ist das Trennungsgebot zwischen Polizeibehörden und
       Geheimdiensten gerade dazu da, die Bürgerinnen und Bürger vor den
       rechtsstaatlich unlauteren Methoden der Geheimdienste zu schützen. Der
       pauschale Hinweis des Innenministers, ein Informationsaustausch finde „auf
       der Grundlage der bestehenden gesetzlichen Regelung zur Übermittlung von
       Informationen zwischen diesen Behörden“ statt, kann im Hinblick auf die
       Wichtigkeit der potenziell betroffenen rechtsstaatlichen Ordnungsprinzipien
       nicht ausreichend sein.
       
       Im GETZ ist es ein Leichtes, diese zu unterlaufen. Wessen Information wie
       und für welche Amtshandlung am Ende maßgeblich war, kann bei einer solchen
       Struktur unmöglich nachvollzogen werden.
       
       Eine Reform der uralten Sicherheitsarchitektur ist dringend notwendig, das
       haben die Behörden vor und nach Auffliegen des NSU immer wieder selbst
       unter Beweis gestellt. Aber eine solche Reform muss öffentlich diskutiert
       werden. Sie muss problematische Denkstrukturen und Vorurteile in den Ämtern
       thematisieren und dafür Lösungen anbieten. Effektive demokratische
       Kontrolle und föderale Zusammenarbeit müssen umfassend gesetzlich geregelt
       werden.
       
       Statt weitere Schattengremien zu installieren, sollte Friedrich öffentlich
       eine Strukturdebatte vorantreiben und die Aufklärungsarbeit der
       Untersuchungsausschüsse mit Aussagegenehmigungen und umfassender
       Akteneinsicht unterstützen.
       
       12 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Philipp Schulte
       
       ## TAGS
       
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Hans-Peter Friedrich
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   DIR Extremismus
       
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