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       # taz.de -- Die CDU will moderner werden: Die Türöffnerin
       
       > In der CDU hat sie eine Blitzkarriere hingelegt. Cemile Giousouf soll für
       > ihre Partei in den Bundestag – als erste Abgeordnete mit
       > Zuwanderungsgeschichte.
       
   IMG Bild: Ein Praktikum im NRW-Integrationsministerium gab den Anstoß zum Parteieintritt: Cemile Giousouf
       
       GEVELSBERG/ HAGEN taz | Der CDU-Mann streift sich das Hasenkostüm von den
       Gliedern. Knapp fünfhundert bunte Eier hat er mit seinen Helfern verteilt,
       gut anderthalb Stunden lang.
       
       Das Thermometer in Gevelsberg am Rande des Sauerlands zeigt zwei Grad über
       null. Neben einem Partyzelt steht wie festgefroren der Parteinachwuchs
       herum. Die Nase des Vize-Bürgermeisters ist rot angelaufen. Nur Cemile
       Giousouf trippelt so vergnügt von einem Fuß auf den anderen, als habe sie
       dringend mal an einem frostigen Samstag in dieser Fußgängerzone Ostergrüße
       verteilen wollen.
       
       Die junge Frau trägt Jeans zur taillierten Lederjacke, brünette Ponyfrisur
       und Designerbrille, von ihrer guten Laune abgesehen fällt sie nicht weiter
       auf unter den Mitgliedern der Gevelsberger CDU. Viele Passanten dürften
       nicht einmal ahnen, dass Cemile Giousouf, 34 Jahre, als Kind nie Ostern
       gefeiert hat.
       
       Die Politik- und Islamwissenschaftlerin ist Tochter türkischer Einwanderer.
       Im März hat die CDU sie zur Direktkandidatin für Hagen und Umgebung
       nominiert – und mit einem Platz auf der Landesliste versorgt.
       
       ## Ein strategisches Projekt
       
       Seither verbinden selbst Strategen in der CDU-Zentrale eine Hoffnung mit
       ihrem Namen: Cemile Giousouf steht für die moderne CDU. Jung, Frau – und
       Muslima. Sie soll im Herbst in die Parteigeschichte eingehen, als erste
       CDU-Bundestagsabgeordnete mit Zuwanderungsgeschichte.
       
       Ihre Nominierung ist Teil eines strategischen Projekts, das Generalsekretär
       Hermann Gröhe seit Monaten vorantreibt: Die CDU soll auch für Migranten
       attraktiv werden – eine wachsende Bevölkerungsgruppe, in der Unionswähler
       bisher Exoten sind. 2012 rief die Partei das „Netzwerk Integration“ ins
       Leben, vier Migranten wurden in den CDU-Bundesvorstand gewählt. Fehlt noch:
       der Sitz im Bundestag.
       
       Wenn Cemile Giousouf diesen Platz im Herbst einnehmen würde, wäre das alles
       andere als ein politischer Zufall. Die Aachenerin ist Fachfrau für das
       Thema Integration, nicht nur wegen ihrer türkisch-griechischen Wurzeln. Sie
       arbeitet als Referentin im nordrhein-westfälischen Integrationsministerium,
       Abteilung „Gesellschaftliche Teilhabe Zugewanderter“. In der CDU hat sie
       eine Blitzkarriere hinter sich, die, genau betrachtet, ebenfalls im
       Integrationsministerium begann. Cemile Giousouf absolvierte ein Praktikum
       in der Behörde.
       
       Die Praktikantin wurde dem Chef vorgestellt – Armin Laschet, damals erster
       Integrationsminister der Republik, heute CDU-Landeschef. Eine folgenreiche
       Begegnung. Laschet ermutigte die Akademikerin, sich doch für die CDU in
       seinem Aachener Kreisverband zu engagieren. 2009 wurde sie CDU-Mitglied,
       zog in die Bezirksvertretung ein, heute sitzt Cemile Giousouf auch im
       Landesvorstand.
       
       ## Auf dem "Abstellgleis"
       
       Als Muslima ausgerechnet in die CDU eintreten – ist das nicht wahnsinnig?
       Sie lacht hell auf. „Ich hatte da auch meine Vorurteile!“ Was sie über ihre
       Kindheit erzählt, klingt zunächst, als hätte ihr Weg ebenso in die SPD
       führen können. Die Eltern gehörten der türkischen Minderheit in
       Westthrakien an, einer Region im äußersten Nordwesten Griechenlands. Ende
       der 70er kam das Paar nach Leverkusen, um in einer Bremsbelagfabrik zu
       arbeiten.
       
       Die Eltern hätten damals ein „Abstellgleisleben“ geführt – fest überzeugt,
       bald in die Heimat zurückzukehren. Kaum hatte die Mutter eine
       Arbeitserlaubnis erhalten, kam Cemile auf die Welt. Ihre Mutter habe
       trotzdem unbedingt arbeiten wollen, erzählt die Tochter. So entschieden die
       Giousoufs: Das Baby muss zurück nach Westthrakien. Cemile wuchs in der
       Familie eines Onkels auf.
       
       Sie war zwei, als die Eltern sie zurückholten. Viele „Kofferkinder“ wie sie
       hätten schwere Traumata erlitten, sagt Cemile Giousouf. „Ich hatte Glück.
       Ich hatte eine wirklich sehr liebevolle Obhut.“
       
       Die Giousoufs sprachen daheim nur Türkisch. Cemile kam in eine
       Förderklasse, schließlich war sie „Gastarbeiter“-Kind. Sie gewann den
       Vorlesewettbewerb an der Schule – blieb dennoch Förderschülerin. Für ihren
       Wechsel aufs Gymnasium musste die Familie kämpfen. Cemile Giousouf spricht
       voller Anerkennung über ihre Mutter. „Ich glaube, dass diese Frauen im
       Schnitt sogar mehr geleistet haben als die Männer – sie haben die Kinder
       großgezogen, den Haushalt erledigt und ihren Job gemacht.“
       
       ## Erste Kontakte im Studium
       
       Ihre Annäherung an die Partei habe schon als Studentin begonnen, erzählt
       Cemile Giousouf. Eine Freundin habe sie mitgenommen zum „Deutsch-Türkischen
       Forum“, einer Untervereinigung der CDU. Sie sei erstaunt gewesen, wie
       kontrovers hinter den Kulissen innerhalb der Volkspartei diskutiert wurde.
       Schon 2004 habe sie gemeinsam mit anderen Migranten das Festhalten der CDU
       am dreigliedrigen Schulsystem kritisiert.
       
       Natürlich sei dieser Vorstoß in der Union nicht auf Gegenliebe gestoßen.
       Abgeschreckt habe sie das nicht: „Mich fasziniert total dieser Charakter
       der CDU als Volkspartei. Dass man auch mit gegensätzlichen Positionen
       innerhalb einer Partei für die gemeinsame Sache zusammensteht – um es mal
       pathetisch zu sagen.“ Die CDU wurde ihr ICE-Gleis.
       
       Sie hat sich jetzt in Schwung geredet. Eine Person mit kumpelhaftem Charme,
       die gerne über sich selbst lacht, bescheiden im Auftreten und ohne einen
       Anflug jener glatten Schnöselhaftigkeit, die Parteikarrieristen so uncool
       machen kann. Sie erzählt vom großen Stellenwert der Familie und der
       Religion in ihrem Leben – und dass sie sich deshalb, auch als Muslima, in
       der CDU richtig fühle. Vom Werte-„Kompass“, der sie präge, von der
       Verantwortung jedes Einzelnen in der Gesellschaft. Sie nennt sich
       „konservativ“, das Attribut bleibt vage. Irgendwas mit Religion. Irgendwas
       mit Familie. Eine Unschärfe, die prima in Merkels CDU des Jahres 2013
       passt.
       
       ## Vorsichtige Kritik
       
       Besucht sie regelmäßig die Moschee? Die CDU-Kandidatin zögert, lässt die
       Antwort offen. Nur so viel: Sie sei „nach außen hin nicht klassisch
       muslimisch“. Dennoch bedeute ihr der Glauben viel. Sie ist jetzt auffällig
       zugeknöpft. Obwohl sich gerade Unionspolitiker ja gerne mal beim Kirchgang
       zeigen. Muss eine Muslima fürchten, dass ihr ein selbstbewusst
       praktizierter Glauben in der CDU auf dem Weg nach oben schadet?
       
       Sie hoffe, dass ihre Kandidatur dem negativen Bild vom Islam in den Köpfen
       vieler Menschen entgegenwirke, sagt Cemile Giousouf. Schließlich sei die
       „Lebensrealität“ der Muslime in Deutschland doch viel positiver als die
       Medienberichte über sie. Die meisten Zuwanderer hätten es „gut geschafft,
       sich hier ihr Leben aufzubauen und den Kindern eine Bildung zu
       ermöglichen“, versichert sie. „Was mir Sorge macht, ist, dass die Vorhalte
       gegen Migranten so groß sind.“
       
       Kein Wort über „Parallelgesellschaften“, keine Überfremdungsszenarien.
       Cemile Giousouf übt sogar zarte Kritik an der aktuellen Abschiebepolitik.
       Sie finde es „hochproblematisch“, wenn Menschen, die als kleine Kinder nach
       Deutschland kamen, in die Herkunftsländer zurückgeschickt würden – obwohl
       hier Fachkräfte fehlten. „Das betrifft ja auch junge Leute mit Bestnoten im
       Abitur.“ Für solche Fälle wünsche sie sich eine „offenere Einreiseoption“.
       
       Sätze, deren Tragweite klar werden, wenn man sie misst an Slogans der alten
       CDU wie „Kinder statt Inder“. Bemerkenswert halbherzig fällt auch ihr
       Bekenntnis zur „Herdprämie“ aus. Der Streit um das Thema sei überzogen
       gewesen, sagt sie – um wenig später nachzuschieben: Das Geld hätte man
       besser in den Ausbau der Krippenplätze und in die Qualifikation des
       Personals gesteckt.
       
       Obwohl sie damit der offiziellen Parteilinie widerspricht, wirken die
       Herrschaften am CDU-Stand in Gevelsberg sogar ein wenig stolz auf ihre
       Direktkandidatin. Hans Kurtz, ein Herr aus der Senioren-Union mit
       Schiebermütze und Einkaufsbeutel, versichert, der Migrantenanteil in der
       30.000-Einwohner-Stadt sei zwar „nicht ganz so schlimm“ wie ein paar
       Kilometer weiter in Hagen, wo bereits mehr als ein Drittel Zuwanderer
       leben. „Aber wir sind sicher, dass wir uns für die Richtige entschieden
       haben.“ Auch der örtliche CDU-Fraktionschef versichert beschwingt: „Uns tut
       das gut!“
       
       ## „Ein Meilenstein“
       
       Bülent Arslan, Leiter des CDU-Netzwerks Integration, kennt Cemile Giousouf
       seit Jahren. Sie nennt ihn ihren Mentor. Zweimal hat Arslan sich selbst
       vergeblich um eine Bundestagskandidatur beworben. Der Unternehmer hält ihre
       Kandidatur für einen „Meilenstein“.
       
       Auch für Cemile Giousouf sah es ein paar Wochen lang nicht prächtig aus.
       „Total schief“, nennt sie ihren Start im Wahlkreis Hagen, einer
       SPD-Hochburg. „Das kann man echt nicht anders sagen!“ Erst wollte sich
       keiner aus der örtlichen CDU für die undankbare Kandidatur hergeben. Eine
       Findungskommission schlug die Migrantin vor. Doch bevor Parteistrategen der
       CDU im Wahlkreis die Personalie erläutern konnten, stand sie in der
       Zeitung. An der Basis rumorte es: Die wird uns von oben reingedrückt! Die
       kennt unseren Wahlkreis nicht! Plötzlich meldete ein CDU-Mann aus dem
       Wahlkreis seine Kandidatur an. Gegen Cemile Giousouf. Es blieb nicht die
       letzte Kampfkandidatur.
       
       Die Partei hatte Platz 25 der Landesliste für die Migrantin vorgesehen.
       Eine Position, die das Bundestagsmandat zwar nicht garantiert, aber beste
       Chancen bietet. Doch eine 52-jährige CDU-Ratsfrau aus Düsseldorf fühlte
       sich übergangen. Natürlich solle niemand wegen seiner Herkunft
       benachteiligt werden – aber auch nicht bevorzugt, argumentierte sie. Und
       beanspruchte Platz 25 für sich. Die Delegierten votierten in beiden Fällen
       klar für Cemile Giousouf. Keine Selbstverständlichkeit.
       
       Unlängst ließ die Freiburger CDU die aus Kamerun stammende promovierte
       Germanistin Sylvie Nantcha durchfallen. Statt der Stadträtin, die auch im
       Landesvorstand Baden-Württemberg sitzt, nominierten die Delegierten einen
       Konservativen aus altem Adelsgeschlecht, der Besucher seiner Website mit
       der Behauptung begrüßt, seine Region brauche einen „unabhängigen
       Bundestagsabgeordneten, der hier geboren ist“.
       
       Der Netzwerker Arslan glaubt, dass Cemile Giousouf perfekte Eigenschaften
       für ihre Pilotmission mitbringt. Mit ihrer einnehmenden Art werde sie einer
       irritierten CDU-Stammklientel die Ängste vor dieser Entwicklung nehmen und
       zeigen: „Das ist nicht der Untergang des Abendlandes, sondern eine
       Bereicherung.“ Die CDU werde deshalb keine andere Partei. Er meint das
       positiv.
       
       14 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Astrid Geisler
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