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       # taz.de -- Pleitewelle bei Solarindustrie: Partielle Sonnenfinsternis
       
       > Solarindustrie leidet in der Region Berlin-Brandenburg unter Insolvenzen
       > und Stellenabbau
       
   IMG Bild: Der Aderlass schlägt sich auch bei den Arbeitsplätzen nieder.
       
       Wieder einmal scheint eine wirtschaftspolitische Hoffnung in Berlin und
       Brandenburg in die Binsen zu gehen. Sollte die Region nicht zu einem
       Zentrum der deutschen Solarindustrie werden? Im Zuge der großen Pleitewelle
       der Branche hat sich die Lage geändert, auch zwischen Oder und Elbe sind
       Insolvenzen, Betriebsschließungen und Verkäufe ins Ausland zu verzeichnen.
       Zur Dramatisierung besteht aber noch kein Anlass. Der weitaus größte Teil
       der Firmen, die sich mit Photovoltaik beschäftigen, arbeitet weiter.
       
       An schlechten Nachrichten herrschte in den vergangenen zwei Jahren kein
       Mangel. First Solar in Frankfurt (Oder), wo 1.200 Beschäftigte Solarzellen
       in fortschrittlicher Dünnschichttechnologie herstellten, schloss Anfang
       2013, rund 200 Leute sind noch mit der Abwicklung beschäftigt. Nebenan
       machte die Fabrik von Odersun dicht. Conergy in Frankfurt produziert zwar
       mit 300 Beschäftigten weiter, aber das Hamburger Unternehmen insgesamt
       leidet unter starken Verlusten – Ausgang ungewiss.
       
       Probleme gibt es jetzt auch in der Uckermark. Das Management von Bosch hat
       die Verluste seiner Solarsparte satt und will die Beteiligung an Aleo Solar
       in Prenzlau verkaufen. 700 Beschäftigte arbeiten dort. In Berlin machte
       Solon pleite und wurde an einen arabisch-indischen Investor verkauft. Knapp
       300 von einst mehr als 400 Angestellten haben ihre Jobs aber vorläufig
       behalten. Ebenfalls in Insolvenz gingen die in Berlin ansässigen Firmen
       Global Solar Energy Deutschland, Inventux und Soltecture.
       
       ## Nicht nur Große leiden
       
       Dabei beschränken sich die Schwierigkeiten nicht auf die großen
       Unternehmern. Auch insgesamt ist die Zahl der Betriebe während der Krise
       beträchtlich gesunken. Das Berlin Solar Network, ein Zusammenschluss von
       Firmen der Branche, gibt für 2012 die Zahl der Unternehmen in Berlin und
       Brandenburg mit 1.230 an, gut ein Drittel davon in der Hauptstadt. 2010
       waren es noch über 1.400.
       
       Natürlich schlägt sich dieser Aderlass auch bei den Arbeitsplätzen nieder.
       Im Vergleich zu 2010, als die Statistik über 7.000 Sonnenjobs in der Region
       verzeichnete, sank die Zahl im vergangenen Jahr auf gut 6.000. Die Verluste
       in 2013, etwa bei First Solar in Frankfurt, sind da noch nicht
       mitgerechnet.
       
       Wieso knickt die einst so hoffnungsvolle Branche in der Region ein? Einer,
       der sich sehr gut auskennt, aber nicht mit Namen zitiert werden möchte,
       sagt: „Vieles erinnerte mich an den Internet-Hype Anfang der 2000er Jahre –
       zu viel Fantasie, zu wenig Realismus.“ Die Geldgeber und Manager diverser
       Firmen überschätzten die Geschwindigkeit des Marktwachstums für
       Solarmodule. Sie investierten munter drauflos, liehen sich viel Geld
       zusammen und hatten keine Reserven, als ihre Absatzhoffnungen enttäuscht
       wurden. Ein schönes Beispiel für eine gewisse Großspurigkeit der jungen
       Branche bot der Bau der aufwändigen Unternehmenszentrale von Solon in
       Adlershof. Kaum war man eingezogen, musste man schon endlose Verhandlungen
       mit den Banken und Gläubigern, sowie dem Insolvenzverwalter führen.
       
       Aber die Unternehmen waren nicht nur selbst schuld. Sie wurden Opfer eines
       Wirtschaftszyklus, der mit ungeahnter Härte zuschlug. Auch weil große
       chinesische Firmen in den Markt einstiegen, nahm das Angebot an Solarzellen
       und Modulen rapide zu, überstieg bald die Nachfrage und führte zum
       erheblichem Verfall der Verkaufspreise. Den Firmen gelang es dabei nicht,
       ihre Produktionskosten im selben Tempo zu reduzieren.
       
       Hinzu kam, dass die Bundesregierung mehrmals die Förderung für der
       erneuerbaren Energien kürzte. Das wirkte sich nachteilig auf die Nachfrage
       aus. Firmen wie First Solar, Solon und Bosch, aber auch Solarworld in
       Sachsen und Q-Cells in Sachsen-Anhalt saßen in der Falle. Die Serie aus
       Pleiten und Problemen ist kein berlin-brandenburgisches Phänomen, sondern
       hat die Unternehmen in anderen Bundesländern ebenso getroffen.
       
       Das zeige, dass die Region Berlin-Brandenburg keine Fehler gemacht habe,
       die Politiker woanders etwa vermieden hätten, sagt David Wortmann von
       Berlin Solar Network. „Wir haben in Berlin und Brandenburg nicht zu sehr
       auf ein Pferd gesetzt“, urteilt der ehemalige Manager von First Solar.
       Grundsätzlich sei das regionale Netzwerk der Solarindustrie überlebens- und
       entwicklungsfähig, wenn denn „die Unternehmen mehr anbieten als nur die
       Module“.
       
       Solarmodule – das sind, vereinfacht gesagt, die blauen oder schwarzen
       Solarzellen, die einen Teil des Sonnenlichts in Strom verwandeln, plus
       Metallrahmen und elektrische Bauteile. Diese Module sind heute bereits
       billige Massenware, davon können Unternehmen nur schwer leben. Weitere
       Produkte und Dienstleistungen müssen hinzutreten.
       
       ## Kleben statt bohren
       
       Solon in Adlershof versucht es beispielsweise mit Systemlösungen. Man
       bietet nicht nur die Module, sondern die komplette Installationstechnik an,
       auch für komplizierte Fälle. Es gibt Solarzellen, die man aufkleben kann,
       um mit Bohrungen die Statik eines Daches nicht zu beeinträchtigen. Und
       manche Module für Einfamilienhäuser lassen sich von herkömmlichen
       Dachziegeln kaum noch unterscheiden. Vor allem aber will die Firma Anlagen
       für weiträumige Dachflächen verkaufen, wie im Falle des Berliner
       Großmarktes.
       
       Andere Firmen, die der Berliner Solarindustrie zuzurechnen sind,
       spezialisieren sich ebenfalls: BAE in Oberschöneweide etwa stellt
       Speicherbatterien für Solaranlagen her. Das Unternehmen IB Vogt entwickelt,
       plant und realisiert Photovoltaik-Kraftwerke und Fabriken, die selbst
       Solartechnik produzieren. Die IB-Vogt-Ingenieure haben beispielsweise die
       Produktionsstraßen für Solarworld im sächsischen Thalheim entworfen. Ob aus
       diesen Ansätzen ein langfristig stabiles solarindustrielles Zentrum in
       Berlin und Brandenburg werden kann, bleibt abzuwarten. Möglich ist es.
       
       Dramatisch erscheint die Lage trotz der Solarpleiten jedenfalls nicht.
       Schließlich lautet die gute Nachricht: Insgesamt funktioniert die Berliner
       Ökonomie endlich einmal leidlich gut. Manche Industriebranchen sind
       gesundet und wachsen: Fahrzeugbau, konventionelle Energietechnik,
       Turbinenbau und -wartung, Triebwerksherstellung. Dazu der boomende
       Tourismus und die Kulturindustrie der Clubs und Musikfirmen. Da ist auch
       der Aderlass der Solarindustrie einstweilen zu verschmerzen.
       
       9 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
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