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       # taz.de -- Kolumne American Pie: Brüchige Inspiration
       
       > Louisville gewinnt die College-Meisterschaft im Basketball, doch im
       > Mittelpunkt steht der verletzte Spieler Kevin Ware. Der Guard motivierte
       > seine Team eindrucksvoll.
       
   IMG Bild: Held mit Krücken: Louisvilles Kevin Ware (Mitte).
       
       In der 75 Jahre langen Geschichte der US-College-Basketball-Meisterschaften
       sind viele Helden geboren worden. Die meisten aber haben wie einst Michael
       Jordan für seine North Carolina Tar Heels entscheidende Würfe versenkt oder
       einen anderen wichtigen Beitrag auf dem Feld geleistet. Kevin Ware dürfte
       wohl der erste College-Basketballer sein, der Maßgebliches zum Titelgewinn
       seiner University of Louisville beitrug, gerade indem er nicht aufs Feld
       durfte.
       
       Nach dem 82:76-Sieg der Louisville Cardinals gegen die Michigan Wolverines
       jedenfalls war Ware in aller Munde. Er war der „emotionale Anführer“ der
       Sieger, sagte deren bester Punktesammler Luke Hancock. Schon während des
       Spiels hatten die Fernsehkameras im riesigen Georgia Dome in Atlanta immer
       wieder Ware gezeigt, wie er neben der Bank saß, mit seinen
       Mannschaftskollegen litt und sie anfeuerte.
       
       Bei der Siegerehrung war der Jubel für den 20-Jährigen größer als bei allen
       anderen. Die Begeisterung für Ware stellte sogar die für seinen Coach in
       den Schatten, obwohl Rick Pitino ein einmaliges Kunststück gelungen war:
       Der Trainer, der schon einmal 1996 mit Kentucky Meister geworden war, ist
       nun der Erste, der mit zwei verschiedenen Colleges den Titel gewinnen
       konnte.
       
       Dazu hatte Ware, das wurde auch Pitino nicht müde zu betonen, seinen Teil
       beigetragen, seit er sich am Wochenende zuvor im Viertelfinalspiel gegen
       Duke fürchterlich verletzt hatte. Beim Versuch, einen Dreipunktewurf zu
       verteidigen, war er so unglücklich gelandet, dass er sich den linken
       Unterschenkel brach ([1][Videolink] – Vorsicht, wirklich heftige Bilder).
       Der Anblick des offenen Bruchs habe ihn erinnert an Szenen aus Filmen wie
       „Texas Chainsaw Massacre“, sagte der Unglücksrabe. Kaum war Ware
       abtransportiert, schlugen seine Teamkollegen Duke im Viertelfinale und
       dankten anschließend ihrem unglücklichen Mitspieler für die „Inspiration“.
       
       ## Nationale Berühmtheit
       
       Aus dem Ergänzungsspieler Ware war innerhalb weniger Minuten dank eines
       sehr dramatisch gebrochenen Knochens eine nationale Berühmtheit geworden.
       Ein paar Tage nach seiner zweistündigen Operation wurde Ware in die
       Talkshow von [2][David Letterman] zugeschaltet, NBA-Größen wie LeBron James
       oder Kobe Bryant wünschten über Twitter gute Besserung und der Ausstatter
       von Louisville brachte ein Kevin-Ware-Gedächtnis-T-Shirt auf den Markt.
       
       Beim Final Four in Atlanta übernahm Ware dann endgültig und sehr
       überzeugend seine neue Rolle als Maskottchen, moralischer Rückhalt und
       unbeweglichster Cheerleader aller Zeiten in Personalunion. Keiner seiner
       Teamkameraden ließ es sich nehmen, den Glücksbringer vor und nach jedem
       Spiel zu umarmen. Aber dass die rührselige Geschichte von Kevin Ware eine
       solche Eigendynamik entwickeln konnte und von der amerikanischen
       Öffentlichkeit so dankbar aufgenommen wurde, liegt nicht nur an ihrer
       Dramatik, der Macht starker Bilder oder der effektiven Arbeit der
       Unterhaltungsmaschinerie.
       
       Während ihr geliebter College-Sport immer wieder mit unappetitlichen
       Skandalen in die Schlagzeilen gerät und erst vergangene Woche an der
       renommierten Rutgers University der Cheftrainer entlassen wurde, weil er
       Spieler beschimpft und beworfen hatte, wirken Ware und seine Teamkollegen
       wie Abgesandte aus besseren Zeiten, in denen nicht nur der schnelle Erfolg
       etwas zählt, [3][sondern auch Kameradschaft und Mannschaftsgeist zählen].
       
       Ob das auch nur eine schöne Illusion ist, war vielen egal. Stattdessen
       wurde schon Tage vor dem Endspiel spekuliert, [4][ob Kevin Ware trotz
       Krücken auf eine Leiter klettern würde, um die Netze abzuschneiden], oder
       ob ihn seine Mannschaftskollegen womöglich hochstemmen würden. Das
       traditionelle Siegerritual verlief dann aber vergleichsweise undramatisch:
       Der Korb wurde einfach hydraulisch nach unten gefahren und Kevin Ware
       konnte ganz bequem auf seine Krücken gestützt ein letztes Bild liefern, das
       seine Heldengeschichte komplettiert.
       
       9 Apr 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.youtube.com/watch?v=ILmfFBICuC0
   DIR [2] http://www.youtube.com/watch?v=oNeXWSxGx-0
   DIR [3] http://www.youtube.com/watch?v=zMr3jeAfXec
   DIR [4] http://www.usatoday.com/story/sports/ncaab/2013/04/09/louisville-kevin-ware-cuts-down-championship-net/2066145/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Winkler
       
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