URI: 
       # taz.de -- Bürgerbeteilung auf dem taz.lab: „Politik muss einladender sein…“
       
       > Nicht nur ihr Kleiderschrank soll für den Wahlkampf neu erfunden werden -
       > Katrin Göring-Eckardt erklärt, wie sie mehr Beteiligung für Bürger
       > organisieren will.
       
   IMG Bild: Katrin Göring-Eckhardt: Den Mitmach-Bürger stärken
       
       taz.lab: Frau Göring-Eckardt, „Erfinden!“ ist die Überschrift des taz.labs.
       Haben Sie in der letzten Zeit etwas erfunden? 
       
       Katrin Göring-Eckardt: Wenn Sie mich nach einer persönlichen Erfindung
       fragen: eine neue Ordnung in meinem Kleiderschrank. Ganz strenges System.
       Ich finde jetzt auf den ersten Blick alles.
       
       Eine hilfreiche Erfindung? 
       
       Eine, die das Leben leichter macht und Zeit spart. Für die Wahlkampfzeit
       unverzichtbar.
       
       Gibt es noch echten Erfindergeist in der Politik? 
       
       Ja, den gibt es. Viele Politiker treibt der Wunsch um, immer wieder neu
       über ein Problem nachzudenken. Auch mich.
       
       Nehmen wir mal an, Sie sind im Herbst Arbeits- und Sozialministerin einer
       rot-grünen Bundesregierung ... 
       
       ... selbstverständlich beteilige ich mich an keiner Spekulation über Ämter.
       
       Selbstverständlich. Was würden Sie als erstes für die Republik erfinden? 
       
       Ich würde gerne Bürger auch auf Bundesebene stärker in die Gesetzgebung
       einbinden. Also versuchen, neue Elemente der Partizipation zu schaffen.
       
       Wie soll das funktionieren? 
       
       Ein Beispiel aus meiner politischen Erfahrung: Die Sozialgesetzgebung zur
       Agenda 2010 krankte daran, dass Rot-Grün damals keinen echten
       Beteiligungsprozess für Bürger organisierte. Damit hätte man Fehler
       vermeiden und Betroffenen viel Ärger ersparen können.
       
       Sie waren während der Erfindung der Agenda 2010 Fraktionsvorsitzende. Was
       hätten Sie anders machen müssen? 
       
       Wir gingen zum Beispiel fest davon aus, dass die Mitarbeiter der
       Arbeitsämter arbeitslose Menschen sehr gerne individuell betreuen und
       beraten würden. Im Grunde eine richtige Idee. Nur waren viele dafür
       überhaupt nicht ausgebildet.
       
       Viele der FallmanagerInnen in den Jobcentern waren wohl völlig überfordert. 
       
       Leute, die Verwaltungsfachangestellter gelernt hatten, mussten plötzlich
       Aufgaben eines Sozialarbeiters wahrnehmen. Hätten wir Politiker sie während
       der Erarbeitung der Gesetze einbezogen, hätten wir andere Fristen und
       Lehrgänge organisiert. Ich habe daraus gelernt: Politik muss die Menschen
       fragen, und dann erst entscheiden.
       
       Fragt sie nicht längst? Vor vielen Gesetzen tagt ein runder Tisch mit
       Experten. Und hinterher ist man nicht schlauer. 
       
       Stimmt. Einige Expertenrunden sind in Verruf geraten, weil da Leute als
       „Vertreter von ...“ viel reden und am Ende nichtssagende Erklärungen
       produzieren.
       
       „Vertreter von ...“? 
       
       Von Institutionen, von Verbänden, von Initiativen. Es reicht aber nicht,
       Lobbygruppen einzubinden. Politik muss auch normale Menschen nach ihrer
       Alltagserfahrung fragen.
       
       Auch das passiert. Behörden sind verpflichtet, Bürger bei Planungen durch
       Anhörungen einzubeziehen. 
       
       Diese altmodischen Methoden sprechen Bürgerinnen und Bürger nicht oder nur
       unzureichend an. Eine Studie über Beteiligungsverfahren belegt, dass
       deutsche Behörden Planungsunterlagen häufig zwischen Weihnachten und
       Neujahr aushängen. Statt sich Fragen zu stellen, verhindern Ämter also
       bewusst Beteiligung. Ich finde, Politik muss einladender sein und den
       Leuten das Gefühl geben, dass sie wirklich gefragt sind.
       
       Ein Beispiel bitte. 
       
       Bürgeranhörungen alter Schule sind nicht kompatibel mit dem Alltag der
       meisten Menschen. Die Behörde versteckt den Aushang, der Termin findet in
       einem Raum im drittletzten Flur des Rathauses statt, zwischen 11 und 12
       Uhr, wenn alle arbeiten. Entsprechend kommen vor allem ältere Ruheständler.
       
       Wie geht es anders? 
       
       In Baden-Württemberg gibt es eigens eine Staatsrätin für Bürgerbeteiligung.
       Dort laden Behörden Menschen persönlich mit einem Brief ein. Sie schreiben
       einen Querschnitt der Bevölkerung an, die Studentin, die junge Familie, den
       Rentner. Der Termin liegt nach Feierabend, es gibt eine Kinderbetreuung und
       vielleicht noch was zu essen.
       
       Schnittchen für mehr Beteiligung. Das funktioniert? 
       
       Das Ergebnis ist, dass viel mehr Menschen unterschiedlichster Herkunft
       kommen. Nicht wegen der Schnittchen, sondern weil sie sich ernst genommen
       fühlen. Der Staat muss die Bürger wie Freunde einladen, mit denen er gerne
       redet.
       
       8 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
   DIR Ulrich Schulte
       
       ## TAGS
       
   DIR taz lab 2025
   DIR Wahlkampf
   DIR Katrin Göring-Eckardt
   DIR Bündnis 90/Die Grünen
   DIR Schwerpunkt Angela Merkel
   DIR taz lab 2025
   DIR taz lab 2025
   DIR taz lab 2025
   DIR taz lab 2025
   DIR taz lab 2025
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Grüne Spitzenkandidatin: Göring-Eckardt will keine Merkel sein
       
       Beide aus dem Osten, beide steil aufgestiegen. Aber wenn man die Grüne nach
       der Schwarzen fragt, sieht sie wenig Gemeinsamkeiten.
       
   DIR Kulturprojekte auf dem taz.lab: Der Genosse für urbane Kreativität
       
       Kellner, Clubbesitzer, „Business-Hippie“ – ein Schweizer ist auf
       Sendungstour im Kiez an seiner Spree. Juval Dieziger vom „Holzmarkt“ stellt
       sein Projekt vor.
       
   DIR Postkoloniale Perspektive beim taz.lab: Niemals die volle Wahrheit
       
       Das koloniale Deutschland auf Berlins Straßen: Joshua Kwesi Aikins kennt
       die Zeichen genau und macht darauf aufmerksam. Eine Spurensuche.
       
   DIR Schutz der Privatsphäre beim taz.lab: Die Krise des Eros
       
       Bedacht, aber ereifert. Der Autor Byung-Chul Han spricht über das
       Verschwinden des Anderen und den Terror der Intimität. Er wünscht sich das
       Pathos der Distanz.
       
   DIR Provinz-Gentrifizierung auf dem taz.lab: Geht aufs Land, darauf kommts an
       
       Die Stadt als Avantgarde? Pah – viel zu teuer. Der Trend ist nicht in
       Berlin zu finden, sondern im Umland der Hauptstadt. Raus aufs Land!
       
   DIR Neurobiologie-Kritik auf dem taz.lab: Sein schräges Beharrungsvermögen
       
       Felix Haslers Buch „Neuromythologie“ ist klug. Es verstört die Richtigen.
       Bei einer Begegnung gibt er einen kritischen Einblick in die
       Neurobiologie-Szene.