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       # taz.de -- Kolumne Politik von unten: Ideologisches Knutschverbot
       
       > Wie das Wirrwarr privaten Politisierens linke WGs ausleiern kann. Bis
       > Küssen in der Küche verboten wird.
       
   IMG Bild: Wie hältst du es mit Israel? Und wie mit dem Knutschen in der Küche? Ein lesbisches Paar bei der Gay Pride 2009 in Tel Aviv.
       
       Das Private ist politisch. Den Spruch kennen wir alle, und er wirkt auf
       mich schon ganz gut ausgeleiert. Ganz, gut und ausgeleiert. Lassen wir uns
       das auf der Zunge zergehen.
       
       In einer meiner privat-politischen WGs schauten wir uns zu allem
       Kuddelmuddel, den dieses private Politisieren bei uns ergab, auch noch neue
       MitbewohnerInnen an. Kurz zuvor war der Streit der Antideutschen gegen die
       AntiimperialistInnen durch unsere Räume gezogen, die ideologischen
       Nervenkostüme lagen blank. Dazu noch eine kleine Antisexismusdebatte - und
       schon waren jetzt einige Zimmer frei.
       
       So saßen wir am Tisch. Mit Tee oder auch Kaffee, mit Milch oder ohne
       (frisch/bio/Tetrapak). Uns gings ums Ganze, ums Gute. Das hatte uns
       ausgeleiert.
       
       Doch wir hatten einen Plan, mit dem wir uns vor weiteren Konflikten
       schützen wollten. Ich werde noch heute, fast zwei Jahre später, auf diesen
       Plan angesprochen. Gossip der Berliner linken Szene. Nach Tee und Kaffee
       schauten wir in die Runde: "Wer soll diesmal? Du? Ich?" Und wir fragten die
       Bewerberinnen die zwei Fragen, von denen alles abhing.
       
       Räuspern. Was hältst du vom Existenzrecht Israels? Atemzug. Es ging um ein
       WG-Zimmer. Klick, klick machte es in den Köpfen. Wer schon tief in der
       Szene drin war, wusste, worum es geht. Sofort. Hier leben also
       Antideutsche.
       
       Wurde der Test bestanden, kam die nächste Frage, die sich eiligst auf
       Partys verbreitete: Wir haben ein Knutschverbot in der Küche. Geht das für
       dich klar? Die Bewerbungsgespräche wurden zu einem privat-politischen
       Parteibuch, genährt aus Tränen und Schreien der vergangenen Monate.
       
       Liegt diese Wohnung in einem freien Land, in dem knutschen kann, wer wen wo
       will? Oder sind die Grenzen die Summe aller Bedürnisse, auch der
       empfindlichsten? Am Ende des Streits stand eine Abstimmung im WG-Plenum.
       Sieben zu eins für Knutschverbot.
       
       ## Ein großer Ideologie-Klops zwischen uns
       
       Verletzungen werden am besten mit Ideologien verschleiert. Dann gehts ums
       Ganze. Um das Gute. Oder zumindest gegen das Schlechte. Aber wenn wir mit
       solch riesigen Begriffen um uns werfen, ist es nicht nur eine wirksame
       Verteidigung, es ist auch eine wirksame Erstickung.
       
       Beschimpf ich dich als SexistIn, stehen wir erst mal da, einen großen
       Ideologie-Klops zwischen uns. Und "Das hab ich nicht sexistisch gemeint"
       können wir alle sagen. Bist. Du. Trotzdem. Dabei verblasst alles
       Persönliche und es zählt vor allem die Ideologie, das "Richtige". Und es
       leiert uns aus.
       
       In fast jeder linken Wohnungsanzeige steht mittlerweile, man sei nicht
       dogmatisch. Doch wenn alle dogmatisch-undogmatisch werden, ist auch schon
       alles egal. Und "das Politische" beginnt zu greifen. Der Postmarxist
       Ernesto Laclau beschreibt "das Politische" als Moment, in dem rational
       nicht entscheidbare Konflikte durch Machtverhältnisse gelöst werden. Sieben
       zu eins am WG-Tisch.
       
       26 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean Peters
       
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