URI: 
       # taz.de -- Stadt der Desaster: Stuttgart, ewige Baustelle
       
       > Stuttgart vermarktet sich als Stadt der Ingenieure. Doch die versagen
       > gerade überall: im Schauspielhaus, im Fernsehturm, im Zoo.
       
   IMG Bild: Eine Drehbühne, die sich nicht dreht: Stuttgarts Pannentheater.
       
       STUTTGART taz | „Erfinderisch“ und „anspruchsvoll“ sind zwei zentrale
       Attribute, mit denen die Stuttgart Marketing GmbH die
       baden-württembergische Landeshauptstadt bewirbt. Stuttgart, die Stadt der
       Ingenieure, die zu einer der wirtschaftsstärksten Regionen gehört. Doch
       dieses Selbstverständnis passt derzeit so gar nicht zu den Pleiten, Pech
       und Pannen, die Stuttgart erlebt.
       
       Die eine Pannenserie zieht sich mittlerweile schon über drei Jahre hin.
       Damals wurde mit den Sanierungsarbeiten am Stuttgarter Schauspielhaus
       begonnen – Maßnahmen, die eigentlich innerhalb eines Jahres, bis 2011,
       abgeschlossen sein sollten. Doch noch immer ist kein Ende in Sicht. Erst
       kurz vor Ostern musste das für die Renovierung zuständige
       Landesfinanzministerium die Wiedereröffnung erneut verschieben – zum
       dritten Mal.
       
       Das größte Sorgenkind ist die Technik der neuen Drehbühne. Doch auch an
       anderen Ecken und Enden hakte es. So mussten etwa gut 660 neue Sitze noch
       einmal ausgetauscht werden, weil zu große Zuschauer wegen mangelnder
       Beinfreiheit darauf nicht hätten sitzen können. Beleuchtungsrinnen mussten
       schmaler gemacht werden, weil sie einigen Zuschauern die Sicht versperrten.
       
       Schon vor einem Jahr warnten Stuttgarter – in Anspielung auf die
       Dauerbaustelle der Hamburger Elbphilharmonie – vor einer
       „Neckarphilharmonie“. Der letzte Terminplan sah vor, nach einer sechs- bis
       achtwöchigen Probephase den Betrieb im Sommer wieder aufzunehmen.
       Inzwischen nennt das Finanzministerium lieber gar keinen Termin mehr.
       
       Der Finanzrahmen für die Sanierung ist ohnehin längst gesprengt. 24
       Millionen Euro waren zunächst veranschlagt. Zuletzt wurden die Kosten auf
       28,5 Millionen beziffert. Nach der erneuten Verschiebung dürften weitere
       Kosten anfallen. Hinzu kommt der Imageschaden für die Stadt. Stuttgarts
       Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) sorgt sich um den „auch überregional
       guten Ruf der Theaterstadt Stuttgart“.
       
       ## Fernsehturm ohne Brandschutz
       
       Kuhn wiederum hat derzeit selbst mit einem weiteren Stadtdesaster zu
       kämpfen. Kurz vor Ostern ließ Kuhn völlig überraschend den Stuttgarter
       Fernsehturm schließen – der erste seiner Art weltweit. Das Wahrzeichen der
       Landeshauptstadt erfülle Brandschutzauflagen nicht. Es fehle ein Fluchtweg,
       im Notfall könne deshalb eine Evakuierung gar unmöglich sein. „Ich konnte
       nicht anders handeln, denn der Turm darf nicht zu einer Todesfalle für 200
       Menschen werden“, sagte Kuhn. Womöglich muss der 1956 eröffnete und 217
       Meter hohe Turm für immer geschlossen bleiben.
       
       Dabei hatte der Südwestrundfunk (SWR) als Betreiber erst vor zwei Jahren
       Millionen in die Sanierung gesteckt, das Löschwassersystem erneuert und
       angenommen, damit alle Anforderungen zu erfüllen. „Wir werden jetzt prüfen,
       wie wir die für uns neuen und nicht absehbaren Auflagen erfüllen können und
       ob ein wirtschaftlicher Betrieb dann überhaupt noch möglich ist“, sagte der
       Geschäftsführer der SWR Media Services GmbH, Siegfried Dannwolf. Auf den
       mangelnden Brandschutz aufmerksam geworden seien nach Auskunft der Stadt
       neue Mitarbeiter im Baurechtsamt, weil eine Genehmigung für das „Theater
       über den Wolken“ neu beantragt worden war. In der kommenden Woche will OB
       Kuhn den SWR-Intendanten Peter Boudgoust treffen, um Lösungen zu
       diskutieren.
       
       Und dann ist da noch das Affenhaus im Zoo Wilhelma. Der Neubau wurde vor
       drei Jahren begonnen, die Fertigstellung ist über ein Jahr in Verzug. Statt
       15 Millionen Euro kostet der Bau inzwischen 20 Millionen.
       
       Was all die Pannen für das Image Stuttgarts bedeuten, wollte ein Sprecher
       Kuhns nicht kommentieren. Auf taz-Anfrage sagte er nur: „Die Tatsache, dass
       sich der Oberbürgermeister seiner Verantwortung stellt und handelt, das
       kann den Ruf der Stadt Stuttgart nicht beschädigen.“
       
       Armin Dellnitz hat die Aufgabe, Stuttgart auch weiterhin als erfinderisch
       und anspruchsvoll zu vermarkten. „Wir müssen sicherlich aufpassen, dass wir
       keinen Knick ins Image bekommen“, sagt der Geschäftsführer der Stuttgart
       Marketing GmbH. Aber er sei überzeugt: Das Neue wird die Probleme
       überschatten. Die Frage ist nur, wann.
       
       5 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Michel
   DIR Nadine Michel
       
       ## TAGS
       
   DIR Stuttgart
   DIR Baden-Württemberg
   DIR Brandenburg
   DIR Betrug
   DIR Clubsterben
   DIR Schwerpunkt Stuttgart 21
   DIR Wahlkampf
   DIR Bahn
   DIR Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
   DIR Schwerpunkt Stuttgart 21
   DIR Schwerpunkt Stuttgart 21
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neue Werbekampagne in Brandenburg: Die Dialektik der Provinz
       
       Motzen, Kotzen, Ranzig. Brandenburg hat nicht nur hübsche Ortsnamen.
       Ausgerechnet mit denen will das Land nun werben. Das geht gründlich
       daneben.
       
   DIR Bonner Bauskandal: Der Investor, der keiner war
       
       Beim Bau des Bonner Konferenzzentrums kam es zum Millionenbetrug. Die
       städtischen Projektleiter stehen deshalb seit Dienstag vor Gericht.
       
   DIR Clubsterben in Stuttgart: Ausgerockt im Talkessel
       
       In Stuttgart schließt ein Club nach dem anderen. Die Locations müssen dem
       Bahnprojekt S21 oder finanzstarken Investoren weichen.
       
   DIR Portraits von S21-Protestlern: Resignieren? Niemals!
       
       Sie diskutieren, demonstrieren und machen Politik. Drei Stuttgart-21-Gegner
       widmen ihre Freizeit seit drei Jahren dem Protest gegen den Tiefbahnhof.
       
   DIR Bundeswahlkampfthema Stuttgart 21: Streit bei den Grünen
       
       Innerhalb der Grünen sorgt das Bahnprojekt Stuttgart 21 für Ärger. Uneinig
       ist man sich vor allem, ob S21 eine Rolle im Bundestagswahlkampf spielen
       soll.
       
   DIR Kosten von Stuttgart 21: „Frühestens 2016 oder 2017“
       
       Wer soll das bezahlen? Die Bahn droht in der Debatte über die
       Kostenexplosion von Stuttgart 21 mit einer Klage gegen die Projektpartner.
       Aber das kann dauern.
       
   DIR Berlins Pannenflughafen: Verspätungs-Experte übernimmt BER
       
       Der frühere Bahn-Chef Hartmut Mehdorn präsentiert sich bei seiner
       Vorstellung als neuer BER-Boss gewohnt selbstbewusst: „Ich gehe einen
       geraden Weg“.
       
   DIR Wegen Mehrkosten bei Stuttgart 21: Dann muss der Bahnfahrer blechen
       
       S21 wird deutlich teurer, doch das Land Baden-Württemberg will nicht
       zahlen. Dann werden die Bahntickets halt teurer, sagt der Verkehrsminister.
       
   DIR Kommentar Stuttgart 21: Blinder Projektpatriotismus
       
       Sich über den Aufsichtsrat der Bahn zu ärgern, greift zu kurz: Stuttgart 21
       war von Anfang an so konstruiert, dass eine ordentliche Aufsicht nicht
       greift.