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       # taz.de -- Widerstand der Netzbewegung: Doch kein Haufen Freaks
       
       > Zwei wichtige Gesetze sind gegen den Willen der netzaffinen
       > Bürgerrechtsbewegung verabschiedet worden. Die fragt sich nun: Haben wir
       > versagt?
       
   IMG Bild: Netzpolitik ist kompliziert und häufig nicht sehr griffig.
       
       Es ist äußerst deprimierend, innerhalb einer Woche gleich mehrfach
       politisch in die Fresse zu bekommen. [1][Ein Leistungsschutzrecht für
       Verleger]? Verabschiedet, obwohl am Ende nur noch die dafür waren, die ihr
       Gesicht wahren mussten.
       
       [2][Smartphone-Bestandsdaten werden künftig an Ermittlungsbehörden
       weitergeleitet?] Angenommen, ohne großen Widerstand. Und so lecken jetzt
       die deutschen Netzaktivisten ihre Wunden. Was nur haben sie falsch gemacht?
       Warum konnten sie das nicht verhindern? Haben sie versagt?
       
       Ein ziemlich wütender [3][Sascha Lobo machte den Anfang] und schaufelte
       gleich zentnerweise Asche auf sein Haupt und das der sonstigen
       „Netzgemeinde“ – ein Begriff, gegen den sich eine inhaltlich häufig recht
       homogene Gruppe netzpolitisch Aktiver normalerweise entschieden wehrt, den
       Lobo nun aber reaktivierte, um zu betonen, wie sehr man isoliert und
       selbstgerecht im eigenen Saft schmort. Viele andere Blogger legten nach –
       mit Widerspruch, Strategien für die Zukunft und Analysen der eigenen
       Fehler.
       
       Richtig ist an vielen dieser Posts: Auch dieses Mal hatte die deutsche
       Netzgemeinde Probleme, zu kommunizieren und zu mobilisieren. Zumindest
       außerhalb ihrer eigenen engen Kreise. Das Leistungsschutzrecht ist nie von
       der Generation unserer Eltern diskutiert worden und auch nicht von Anfang
       20-Jährigen, die zwar auf Youtube und Tumblr geradezu hyperaktiv sind, aber
       wenig Lust auf dröges Klein-Klein um Gesetzesvorlagen und
       Vermittlungsausschüsse haben.
       
       ## Zehntausende gegen Acta
       
       Ganz anders lief das beim [4][Protest gegen das Acta-Abkommen 2011]. Da war
       es gerade diese Youtube-Generation, die das Acta-Abkommen zu Fall brachte:
       Zu Zehntausenden demonstrierten sie, mobilisiert vor allem von
       Youtube-Stars, die das ultrakomplexe Abkommen oft nicht korrekt, aber
       griffig erklärten.
       
       Das war nicht nur für die Politik eine ziemliche Überraschung, sondern auch
       für die meist ein bis zwei Jahrzehnte älteren Netzaktivisten, denen jeder
       Zugang zu diesen Youtubern fehlt. Woran sich bis heute nichts geändert hat.
       
       In der [5][Mythenbildung um das Acta-Aus] wird außerdem oft übersehen: Am
       Ende war es dem Überraschungsmoment zu verdanken, dass das Abkommen
       tatsächlich kippte. Die Politik hatte einfach nicht mit einem derart
       massiven Widerstand gerechnet: Acta war ein abstraktes
       Urheberrechtsabkommen, das auf EU-Ebene verhandelt wurde – dort, wo man
       ohnehin nicht besonders viel Aufmerksamkeit der Bürger gewohnt ist. In
       Zukunft wird es schwerer werden, Politiker, aber auch die etablierten
       Lobbyisten, die sie beraten, derart auf dem falschen Fuß zu erwischen.
       
       Demokratie ist nicht, wenn passiert, was man selbst oder seine eigene
       kleine Peer-Group für richtig hält – Parteien müssen schon das Gefühl
       haben, empfindlich große Wählergruppen vor den Kopf zu stoßen, wenn sie
       etwas Unpopuläres entscheiden.
       
       Das war der Grund, warum die traditionellen Parteien bei dem
       zwischenzeitlichen Höhenflug der Piratenpartei so nervös wurden und sich
       selbst Experten und Arbeitskreise für Netzpolitik zulegten. Und das ist
       auch der Grund, warum diese Netzpolitiker und -arbeitskreise nun, wo die
       Umfragewerte der Piraten sinken, in den eigenen Parteien wenig zu melden
       haben, wenn es hart auf hart kommt.
       
       ## Ungeeignet für den Smalltalk
       
       Eines der Probleme, die bei Netzpolitik immer wieder auftauchen: Sie sind
       kompliziert – und häufig nicht sehr griffig. Es ist eine ziemliche
       Verrenkung, ein Thema wie Netzneutralität so leicht verdaulich
       herunterzubrechen, dass jeder in drei Sätzen versteht, warum deren
       Einschränkung seine persönliche Freiheit im Netz bedroht.
       
       Eingängige Formeln wie „Herdprämie“ gibt es nicht. Redet man von
       Netzpolitik, dann geht es immer um diese Wortungetüme, die jeden Smalltalk,
       jedes Interesse am Thema im Keim ersticken. Wohl auch weil es
       gesellschaftlich ähnlich akzeptiert ist, keine Ahnung von Netzpolitik oder
       überhaupt diesem Internet jenseits vom Facebooken zu haben, wie mit seiner
       Fünf in Mathe in der Schulzeit zu kokettieren.
       
       Es wäre zwar ziemlich simpel, aber auch ziemlich falsch, jede
       netzpolitische Opposition für wertlos zu erklären, weil sie nicht alles
       verhindern kann. Immer wieder ist es protestierenden Ad-Hoc-Netzwerken und
       Netzpolitikverbänden gelungen, Gesetze deutlich zu entschärfen. Der Chaos
       Computer Club verhinderte mit seinem Dauerposten als Quelle für
       Sachverständige beim Bundesverfassungsgericht schon manche netzpolitische
       Katastrophe.
       
       Wie die Netzbewegung galten auch Umweltaktivisten lange als ein Haufen von
       Freaks und Fachidioten. Dann merkten eine größere Öffentlichkeit und die
       Politik, dass diese Nerds ein Feld beharken, das irgendwie nicht zu
       ignorieren ist. Bis zum Atomausstieg hat diese Bewegung ein paar Jahrzehnte
       und zwei große Katastrophen gebraucht.
       
       27 Mar 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Entscheidung-im-Bundesrat-/!113318/
   DIR [2] /Mobilfunk-Ueberwachung/!113184/
   DIR [3] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/s-p-o-n-die-mensch-maschine-die-netzgemeinde-ist-eine-notwehr-lobby-a-819559.html
   DIR [4] /Acta-von-Europaparlament-abgelehnt/!96674/
   DIR [5] /Acta-Protest-und-Shitstorm/!96701/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Meike Laaff
       
       ## TAGS
       
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