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       # taz.de -- Kommune 1 heute: Weiches Eindringen
       
       > Rainer Langhans ist nach Indien gefahren. Es geht um Sex und Tod. Dank
       > Haremsdame Christa Ritter wurde aus dem Trip Literatur
       
   IMG Bild: So jung wird Langhans in Erinnerung bleiben. Szene aus dem Film „Das wilde Leben“
       
       Aha, der [1][//:Rainer Langhans] war also fast zwei Monate in Indien. "Na
       und?", könnte man jetzt mit Recht fragen, wen interessiert's? Zunächst
       einmal reiste er sowieso fast ein halbes Jahrhundert zu spät. Denn die
       deutschen Protagonisten des bekifften
       Kreuzzügler-gegen-das-Establishment-Zugs auf dem Hippie Trail sind längst
       mit ihrem "Scheißvaterland" versöhnt. Und Delhi, Kalkutta und Bombay sind
       TUI-Pauschalreiseziele geworden.
       
       Da muss sich heute niemand mehr notwendigerweise ohne Geld in der Tasche
       mit Rucksack und Tramperdaumen über Istanbul, Teheran bis nach Goa
       durchkämpfen, um am Ende einen Mehrwert daraus zu generieren. Dieser
       Indienurlaub ist im Prinzip also keine Erwähnung wert. Nach einem öden
       Auftritt beim Promi-Dinner-Kaffeekränzchen und einer
       [2][Quasi-Nichtexistenz im RTL-"Dschungelcamp"] - der Mann lag ja die
       meiste Zeit wie tot in seiner Hängematte - sind nicht mehr viele Fans
       übrig, die noch interessiert, was den Alten und seine fünf mitgealterten
       Haremsladys so umtreibt.
       
       Ja doch, wäre das Private wirklich politisch, dann wäre auch diese
       unendliche Langhans-Kiste Teil einer großen Politikverdrossenheit. Dass
       Langhans' verspäteter Trip nun dennoch für Außenstehende Potenzial hat,
       liegt an der 70-jährigen Haremsdame Christa Ritter, die ebenfalls mit ins
       Flugzeug nach Delhi gestiegen ist und vom ersten Tag der Reise an [3][auf
       ihrem Blog "meraH"] Reisetagebuch führte: Potenzial für poetisch-schöne
       Ortsbeschreibung und eine verstörende Ausführlichkeit in Sachen
       Streitereien, Eifersüchteleien und Alterssexdetails.
       
       Zusammengenommen entsteht aus Anziehung und Abstoßung diese seltsame
       Sogwirkung, die "gute Literatur" hat. Harem-Hurrikan Erzählt wird, wie sich
       Langhans in Indien unvermittelt im Auge eines altersgeilen Harem-Hurrikans
       wiederfindet und sich erst einmal in tagelangen Durchfall flüchtet. Alles
       detailliert von Christa aufgeschrieben. Und selten war Langhans aus seinem
       Nichts heraus so sympathisch. Mitleidssympathie.
       
       Christa, Brigitte und Jutta schwärmen zwar zunächst ausführlich von den
       Farben und Düften Indiens, stöhnen dann aber mindestens ebenso laut über
       den ganzen Dreck und das himmelschreiende Elend, das man überall mit
       ansehen muss. Hinzu kommen all diese körperlichen Gebrechen, die
       Altersgenossinnen im bundesdeutschen Fernsehsessel pflegen. In Indien ist
       alles aufregend. Existenziell. Aufwühlend. Die explosive Mischung wird zum
       Showdown an den Ufern des Ganges: "Eifersucht, Gefühle von
       Minderwertigkeit. Ein heftiger Ausbruch. Alles muss raus!"
       
       Christa schreibt und schreibt. Selbst dann noch, wenn es hässlich wird.
       Brigitte unterbricht irgendwann diesen Schreibfluss mit einem eigenen
       Beitrag im Blog. Dann holt sie rasend vor Eifersucht zur Generalabrechnung
       mit Rainer aus, indem sie Privatestes öffentlich macht. Da ist es nämlich
       dann wieder, dieses ominöse Private, das politisch werden soll und das als
       Alibi herhalten muss für Mangel an Mitgefühl, Mangel an Anstand und eine
       umwerfende Respektlosigkeit und Geringschätzung.
       
       Der verstaubte Slogan wird zur Legitimation, wird zur Waffe im tropischen
       Zickengefecht: Brigitte hatte sich wohl bisher als Rainers Favoritin
       betrachtet und sieht jetzt ihre Felle in Richtung Jutta davonschwimmen, die
       es tatsächlich gewagt hatte, in einem indischen Hotelzimmer Rainer einen
       ebenso unverhofften wie unfreiwilligen "Samenverlust" zu bescheren, bevor
       sich Rainer wieder Brigitte zuwandte. "Er trat mir zärtlich näher und
       fragte mich, wie erst mal immer vorab, ob ich etwas mehr will. Wir hatten
       ,trockenen' Verkehr, erkundend und entspannend - weiches Eindringen und
       nach meinem Einsatz noch etwas mehr und kräftiger", erzählt sie angeberisch
       in Richtung Konkurrentinnen.
       
       "Weiches Eindringen" bedeutet wohl, dass Rainers Penis schlaff in die
       Vagina reingestopft wird, während Brigitte also versucht, mittels
       aufreizender Bewegung doch noch etwas Stimmung ins Tote zu bringen.
       "Trockener Sex" muss bei Wikipedia nachgeschlagen werden: "Für trockenen
       Sex führt die Frau sich ein Pulver aus zerriebenen Kräutern, Wurzeln oder
       sogar kleinen Steinchen bzw. Aluminiumhydridsteinchen in ihre Vagina ein.
       Das Vaginalsekret wird durch das Pulver gebunden. Der Scheidenvorhof und
       die Scheide werden somit künstlich trocken gehalten, wodurch sich für den
       Penis des Mannes der Lustgewinn erhöht. Insbesondere ältere Frauen wenden
       deshalb diese Methode an, um weiterhin sexuell attraktiv zu sein." Das
       übersteigt deutlich alles, was man noch zu visualisieren bereit ist.
       
       Brigitte prahlt aber weiter: "Rainer bekam schon einen Samenverlust, wenn
       ich sein Glied nur anschaute." Und sie schreit mit Rainer: "Wieso hattest
       du (bei Jutta) einen Samenverlust?" Ein grotesker Sound. So grotesk, dass
       man sich fragt, was diese gealterte Truppe in den letzten dreißig Jahren
       überhaupt erledigt und in Tausenden Sitzungen abgearbeitet hat. Wo sind
       denn die sichtbaren, die ablesbaren, die allgemeingültigen, die vom
       Privatesten ins Politische gehievten Erfolge dieses in so elend vielen
       Langhans-Interviews der letzten Jahrzehnte ausgelobten Kommunenprojekts?
       Was erscheint davon heute für Suchende attraktiv genug, dass es lohnen
       würde, sich auf ähnliche Weise über dreißig Jahre lang gegenseitig zu
       therapieren?
       
       Nein, was man hier an zwischenmenschlichem Verhalten, Egoismen und
       Verletzungen geboten bekommt, das gibt es auf Dorfjugendniveau an jeder
       Provinzbushaltestelle gratis. Ein großes Dollhaus 60+. Ein finales
       Alterstheater am indischen Jungbrunnen. Ein großes Baden in
       Beziehungsbanalitäten. Drama. Komödie. Hass. Liebe.
       
       Langhans und sein Harem hatten auf dem Weg nach Indien ihre verstaubten
       Orgasmusprobleme ganz oben im Rucksack. Damit sind sie endlich auf dem
       Höhepunkt des Banalen angekommen. Rainer hat endlich mal die Kontrolle
       verloren. Er agiert nicht mehr selbst. Er lässt agieren. Er giert nicht
       mehr selbst, er lässt gieren. Oder genauer: Rund um ihn herum agiert es
       gierig. Selten war einem der umständliche Exkommunarde dabei so nah wie in
       diesem Moment. Ein solches hormonelles Alterstheater hält kein normaler
       Mann so lange aus.
       
       Rainer schreibt aus Delhi per E-Mail: "Viele Andere gingen zu TM, Osho,
       Hare Krishna usw. nach Indien. Wie weit sind sie gekommen? Diesmal begleite
       ich die todkranke Jutta durchs äußere Indien ins innere - hoffentlich. Ich
       brauchs nicht. Sie aber. Und sie hat die anderen Frauen mitgenommen.
       Vielleicht hats geholfen. Zu leben. Ich finde, es sieht gut aus …" Und da
       findet sich dann endlich der wirklich wichtige Anlass für den späten Zug
       nach Indien. Die schwer kranke Haremsdame Jutta. Sohn Severin ist dabei mit
       einem Kamerateam, das den Zyklus des Lebens vor der Kulisse dieses
       prallbunten Indien in seiner ganzen Anmut, in seinem Schmerz und seiner
       Hoffnungslosigkeit zeigen könnte.
       
       25 Mar 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://de.wikipedia.org/wiki/Rainer_Langhanshttp
   DIR [2] /!64966/
   DIR [3] http://merah.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Wallasch
       
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