URI: 
       # taz.de -- „Unsere Mütter, unsere Väter“: Nazis sind immer die anderen
       
       > Der ZDF-Dreiteiler „Unsere Väter, unsere Mütter“ zeigt oft Verschwiegenes
       > – doch das Entscheidende fehlt: Die Begeisterung der Jugend für Hitler.
       
   IMG Bild: Unsere Väter und Mütter, alle so eine Art „Weiße Rose II“ – schon klar.
       
       Nein, ein schlechter Film ist das nicht. Man merkt ihm durchgehend das
       Bemühen um Authentizität an. Viele Szenen bleiben im Gedächtnis, weit
       entfernt von Landser-Kram und den Lächerlichkeiten, die man sonst erdulden
       muss, wenn ein Film in der Nazi-Zeit spielt.
       
       Es gibt Szenen, die man so in einem deutschen Film nie sah. Ein russischer
       Sumpf voller Blut von den hunderten und tausenden Juden, die hier zuvor
       erschossen wurden. Eine Bauernfamilie, die wegen des Verdachts, es mit den
       Partisanen zu halten, erschossen wird – von Wehrmachtssoldaten! Vor ein
       paar Jahren ist die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ wegen solcher
       Bilder erst gestürmt, dann geschlossen worden.
       
       Man sieht Güterzüge, in denen Juden nach Auschwitz gebracht werden; eine
       öffentliche Hinrichtung, bei der Soldaten voyeuristisch ihre Kamera zücken;
       das monatelange Warten einer wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode
       Verurteilten, die schließlich kurz vor Kriegsende hingerichtet wird.
       
       Es gibt eine Fülle solcher Szenen, die man nicht vergisst. Auch merkt man
       das stete, wenn auch nicht immer gelungene Bestreben, Menschen und
       Situationen nicht statisch zu zeichnen, sondern widersprüchlich und sich
       verändernd. Polnische Partisanen etwa, mit denen der Zuschauer mitfiebert
       (auch das ein Novum), deren Antisemitismus aber so deutlich hervortritt,
       dass der Zuschauer die doppelte Ausweglosigkeit der Juden spürt.
       
       ## Die falsche Perspektive
       
       Dennoch ist der Film gescheitert – aber nicht wegen mangelnder
       Detailgenauigkeit oder weil er etwa die NS-Verbrechen beschönigte. Das
       Problem des Films ist die Perspektive, der Blick auf die Geschichte, die
       allgemeine wie die individuelle. Fünf junge Leute, die sich auf das Leben
       freuen – dann aber holt sie der Krieg, und er befördert das Schlechteste in
       ihnen.
       
       Vorher waren sie eher unpolitisch, etwas patriotisch vielleicht, aber keine
       Nazis. Diese fünf Menschen, so macht der Film klar, stehen stellvertretend
       für unsere Mütter und unsere Väter oder für unsere Großeltern. Menschen,
       die eigentlich nur leben wollten, bis der Krieg alles zerstörte.
       
       ## Wo bleibt der Jubel?
       
       Nun sind die fünf Protagonisten um 1920 herum geboren und gehören einer
       Generation an, die alle Sozialisationsinstanzen des NS-Staates durchlaufen
       hat und in der der Anteil der NS-Begeisterten besonders groß war. Der Jubel
       über den Anschluss Österreichs, über die großen Siege, der Stolz auf das
       Neue Deutschland: Das alles finden wir hier nicht. Wie in allen
       NS-Verfilmungen, so kann auch in diesem die Zustimmung zum NS-Staat, die
       Begeisterung für Hitler, der radikale Nationalismus, die
       nationalsozialistische Überzeugung selbst und die heiße Hoffnung, „wir“
       mögen den Krieg gewinnen, nicht oder nur in einer schalen Karikatur gezeigt
       werden.
       
       Die fünf Protagonisten sind wie aus der Zeit gefallen. Als der Film
       einsetzt, im Frühjahr 1941, hatte die Begeisterung für Hitler, den
       Nationalsozialismus und den Krieg nach dem Sieg über Frankreich gerade
       ihren Höhepunkt erreicht. Zu dieser Zeit, da sind sich alle Historiker
       einig, wurde das Regime von der großen Mehrheit der Deutschen unterstützt.
       
       Davon sieht man hier nichts. Nichts von dem Vertrauen und der Liebe, die
       Hitler gerade aus der Jugend entgegenschlug. Nichts von der festen
       Überzeugung, dass Europa von Deutschland beherrscht werden müsse. Und dass
       es besser wäre, die Juden wären weg. Nicht, dass sie umgebracht werden
       sollten – aber weg sollten sie sein. Und ganz normale Deutsche, wie hier
       beschrieben, waren die Juden selbst in den Augen derjenigen Deutschen
       nicht, die den Nazis eher reserviert gegenüberstanden.
       
       ## Am Ende sind alle Opfer
       
       Es ist offenbar nach wie vor nicht möglich, jemanden darzustellen, der mit
       hellem Sinn und fester Überzeugung – und ohne dabei abnorm zu wirken – für
       den Nationalsozialismus eintritt. Die fünf Protagonisten sind am Ende alle
       Opfer oder sie stellen sich gegen den Nazi-Staat: Wilhelm, der Offizier,
       desertiert und bringt seinen Vorgesetzten um. Friedhelm, ein zynisch
       gewordener Wehrmachtssoldat, erschießt am Ende einen SS-Offizier. Selbst
       als Charlotte eine Jüdin denunziert, tut sie es mit schlechtem Gewissen.
       Greta wird nach langer Haft wegen Wehrkraftzersetzung schließlich
       hingerichtet. So wären die Deutschen gern gewesen.
       
       Die Nazis sind hingegen die üblichen Charaktermasken. Ein geiler
       Gestapo-Mann aus dem Reichssicherheitshauptamt, der ein Verhältnis mit der
       Geliebten eines Juden hat und sie schließlich ins Gefängnis bringt. Der
       Nazi-Offizier ist ein Säufer und übler Schleifer. Der SD-Mann, der ein
       jüdisches Kind erschießt und später Partisanen jagt, ist der Inbegriff
       eines mordgierigen Satans.
       
       ## Die üblichen Charaktermasken
       
       SD-Offiziere waren aber in der Regel gebildete und kultivierte Leute, die
       davon überzeugt waren, dass es richtig war, diesen Krieg zu führen und die
       Juden zu verfolgen und umzubringen. (Die Figur Hans Landa in Quentin
       Tarantinos „Inglourious Basterds“ kommt dem nahe, aber auch die ist
       diabolisch überzeichnet.) Die Vorstellung, dass der SD-Offizier ein Kind
       erschießt, weil er eben ein asozialer Sadist ist, gehört eher zu den
       Lebenslügen unserer Geschichte. Die Nazis, das sind in diesem Film nicht
       unsere Mütter und Väter, sondern die anderen.
       
       Nun könnte man einwenden, der Film zeige eben nicht die typischen Deutschen
       – auch nicht die typischen jungen Deutschen, sondern eher abseits stehende,
       potenziell kritische (Ernst Jünger! Swing! jüdischer Freund!) Jugendliche.
       Das mag sein, nur sind dann Titel und Duktus des Films ganz irreführend.
       Das wäre dann so etwas wie „Weiße Rose II“. In eine solche Tradition möchte
       man sich hineinträumen, aber sie steht nicht zur Verfügung.
       
       ## Völkisches Gedankengut als Grundlage des Lebens
       
       Unsere Väter und unsere Mütter waren eben nicht nur junge Leute, die
       einfach nur leben wollten, es wegen des Krieges aber nicht konnten, wie es
       der Film suggeriert. Es handelte sich um eine hoch ideologisierte,
       politisierte Generation, die den deutschen Sieg, den Sieg des
       nationalsozialistischen Deutschlands wollte, weil sie ihn für richtig
       hielt.
       
       Das aber kann man nicht oder noch nicht darstellen. Wir müssten dazu die
       pädagogische Perspektive ganz einstellen, so wie sie in diesen Tagen in
       vielen Zeitungen propagiert wird: „Diskutiert das in den Familien! Dies ist
       der neue Konsens über den NS“, hieß es nicht nur in der FAZ. Lässt man das
       weg, müsste man zeigen, mit welcher Inbrunst viele Deutschen bis kurz vor
       Schluss an den Endsieg geglaubt haben. Dass es nicht nur naive Dummköpfe
       waren, die Hitler vertrauten. Und dass sie nicht nur erduldeten, was
       geschah, sondern wollten.
       
       ## Die fröhlichen, armen Eltern
       
       Aber solange man nicht einmal einen weder sadistischen noch naiven oder
       verrückten Menschen vorführt, der völkisch denkt, den Krieg für richtig
       hält, im Krieg gegen die Sowjetunion keine Kompromisse akzeptiert, der die
       Juden weghaben will und auch die Euthanasie als im Grunde richtig erachtet,
       der also die „völkischen Lebensgesetze“ als die harte, aber
       unausweichliche, im Kern schöne Grundlage des Lebens ansieht – so lange
       werden wir nicht verstehen, was da geschehen ist.
       
       So lange können wir uns unsere Väter und Mütter ja weiter als fröhliche,
       lebenshungrige, unpolitische Generation vorstellen, die durch den Krieg
       verroht und letztlich sein Opfer wurde. Deutsche Tragik.
       
       21 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Herbert
       
       ## TAGS
       
   DIR Nazis
   DIR Eltern
   DIR „Unsere Mütter, unsere Väter“
   DIR ZDF
   DIR Hitler
   DIR Schwerpunkt Nationalsozialismus
   DIR ARD
   DIR Revisionismus
   DIR ZDF
   DIR Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
   DIR NSDAP
   DIR Polen
   DIR Hitler
   DIR Krieg
   DIR „Unsere Mütter, unsere Väter“
   DIR ZDF
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Schweizer TV-Serie: Die Freundlichen
       
       Die Miniserie „Frieden“ erzählt ein Kapitel der Geschichte der neutralen
       Schweiz: 1945 trafen dort Täter und Opfer des Holocaust erneut aufeinander.
       
   DIR Fernsehfilm „Nackt unter Wölfen“: Kind, Kapos, Kommunisten
       
       Zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald legt die ARD den
       DDR-Klassiker neu auf. Mit dem Original hat diese Version nur wenig zu tun.
       
   DIR „Der Landser“ wird eingestellt: Bauer-Verlag ohne Weltkriegsfolklore
       
       Die immer wieder heftig kritisierte revisionistische Heftreihe ist am Ende.
       Zuletzt hatte das Simon-Wiesenthal-Zentrum die Verherrlichung der Wehrmacht
       angeprangert.
       
   DIR „Unsere Mütter, unsere Väter“ in Polen: Die haben Hochkultur, wir nur Eintopf
       
       Nach der TV-Ausstrahlung des ZDF-Mehrteilers in Polen beruhigen sich die
       Zeitungskommentatoren. Doch im Netz ist von Propaganda im Goebbels’schen
       Stil die Rede.
       
   DIR Debatte Die Traumata unserer Mütter: Verlorene Leben
       
       Die Vergewaltigungen im Zweiten Weltkrieg durch alle Seiten sind nie
       aufgearbeitet worden. Die Traumata wurden weitergegeben.
       
   DIR Judenboykott am 1. April 1933: „Sie prügelten sie zu Tode“
       
       Die Nazis riefen: Kauft nicht bei Juden! Die meisten Deutschen folgten. Das
       Erbe der Geschichte verbietet es uns heute, Waren aus Israel zu
       boykottieren.
       
   DIR Polen und „Unsere Väter, unsere Mütter“: Botschafter relativiert Kritik
       
       Der Mehrteiler wird im Nachbarland scharf kritisiert. Das ZDF bedauert und
       der polnische Botschafter schwächt seine ursprünglichen Vorwürfe ab.
       
   DIR Timur Vermes’ Satire „Er ist wieder da“: Lustig-blöder Hitlerkrampf
       
       Mit „Er ist wieder da“ will Timur Vermes Hitler in die Gegenwart holen.
       Statt einer gelungenen Satire ist das Buch nur ein Marketing-Coup.
       
   DIR Debatte Vergewaltigung im Krieg: Vermiedene Erinnerung
       
       Die Vergewaltigungen von Frauen im 2. Weltkrieg werden in Deutschland kaum
       diskutiert. Auch in „Unsere Mütter, unsere Väter“ dienen sie nur als
       Stilmittel.
       
   DIR „Unsere Mütter, unsere Väter“: Wieder nur ein deutscher Film
       
       Am Mittwoch strahlt das ZDF die letzte Folge von „Unsere Mütter, unsere
       Väter“ aus. Das angebliche Meisterwerk zeigt: Wir können es einfach nicht.
       
   DIR ZDF-Filme „Unsere Mütter, unsere Väter“: Noch eine letzte Party
       
       Stefan Kolditz hat für das ZDF die Miniserie „Unsere Mütter, unsere Väter“
       geschrieben. Es ist das Porträt einer Generation im Schützengraben.