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       # taz.de -- Prozess um Nato-Bomben in Kundus: Das Recht, zu klagen
       
       > Dürfen Hinterbliebene eines Nato-Angriffs gegen die Bundeswehr klagen?
       > Ja, sagen die einen. Nein – im Krieg gelten besondere Gesetze, sagen die
       > anderen.
       
   IMG Bild: Am Tag des Nato-Angriffs im September 2009.
       
       BONN taz | Qureisha Rauf und Abdul Hannan sind nicht da. Ihre Anwesenheit
       hat das Bonner Landgericht für nicht nötig erklärt: „Die Kläger oder
       mögliche Zeugen sind zum Termin nicht geladen.“ Am Mittwoch begann der
       erste Schadenersatzprozess, den Hinterbliebene von Opfern des
       Nato-Bombardements am Kundus-Fluss angestrengt haben.
       
       Zum Auftakt ging es noch nicht um das Schicksal der beiden afghanischen
       KlägerInnen, nicht um ihre Angehörigen, die sie bei dem von der Bundeswehr
       angeordneten Luftangriff auf zwei Tanklaster vor dreieinhalb Jahren
       verloren. Verhandelt wurde Grundsätzliches: Haben sie überhaupt das Recht,
       die Bundesrepublik zu verklagen?
       
       Die Vertreter der Hinterbliebenen, die Bremer Rechtsanwälte Karim Popal und
       Peter Derleder, werfen dem verantwortlichen Oberst Georg Klein vor, seine
       Amtspflichten grob fahrlässig verletzt zu haben. Sie sprachen vor Gericht
       von einem Verstoß gegen das Völkerrecht.
       
       Das Bundesverteidigungsministerium bestreitet das. Nach seiner Ansicht
       bestehen Rechtsansprüche einzelner Personen weder aus dem humanitären
       Völkerrecht noch aus dem Amtshaftungsrecht, auf das sich die
       KlägerInnen-Anwälte Karim Popal und Peter Derleder berufen. „Im Krieg
       gelten andere Gesetze“, sagte Beklagten-Anwalt Mark Zimmer. Die BRD sei
       nicht zu verklagen, der verantwortliche [1][Oberst Georg Klein] sei im
       Rahmen der Nato in internationale Befehlsstrukturen eingebunden gewesen.
       Das Gericht wies die Klage dennoch nicht direkt ab: Es sei „noch offen in
       der Diskussion“, sagte der Vorsitzende Richter Heinz Sonnenberger.
       
       ## Prinzip der Verhältnismäßigkeit
       
       Individualansprüche seien grundsätzlich zulässig, befand das Gericht. Jetzt
       will es prüfen, ob bei dem [2][Luftangriff] das Prinzip der
       Verhältnismäßigkeit gewahrt – und ob durch den Luftangriff gegen
       humanitäres Völkerrecht verstoßen wurde. Geklärt werden müsse überdies, ob
       die KlägerInnen tatsächlich Angehörige verloren haben, was das
       Verteidigungsministerium „mit Nichtwissen bestritten“ habe.
       
       Für die Anwälte steht fest, dass der Bauer Abdul Hannan bei dem Luftangriff
       zwei seiner vier Kinder verloren hat. 8 und 12 Jahre waren sie alt. Seit
       ihrem Tod seien er und seine Frau psychisch erkrankt und arbeitsunfähig,
       berichtet der Jurist Popal. Qureisha Rauf verlor ihren 40-jährigen Ehemann
       und damit ihren Ernährer, wie Peter Derleder sagt. Über Nacht seien sie und
       ihre sechs Kinder zu BettlerInnen geworden, die von Almosen leben müssen.
       Um sie über den Winter zu bringen, gab sie vier ihrer Kinder in ein
       Waisenhaus in Kabul.
       
       Der deutsche Oberst Georg Klein bleibt bis heute dabei, in jener Nacht im
       September 2009 alles richtig gemacht zu haben: „Als Christ habe ich den
       Einsatz schweren Herzens, nach langer Prüfung und nach bestem Wissen und
       Gewissen befohlen – mit der festen Überzeugung, keine Zivilisten zu
       treffen“, hat Klein im [3][Parlamentarischen Untersuchungsausschuss]
       erklärt.
       
       Ungeklärt ist, wie viele Menschen bei dem Luftangriff am 4. September 2009
       ums Leben kamen. Die Bundesregierung spricht von 91 Toten, die afghanische
       Regierung geht inzwischen von 179 Opfern aus. „Die genaue Zahl ist streitig
       und wohl auch nie richtig ermittelt worden“, sagte Richter Sonnenberger.
       
       ## Geld bisher offenbar nur an Männer ausgezahlt
       
       5.000 Dollar zahlte die Bundeswehr pro betroffene Familie - als
       „freiwillige Ex-Gratia-Unterstützungsleistungen“ und ausdrücklich ohne
       Anerkennung irgendeiner einer Rechtspflicht. Nach Angaben ihrer Anwälte hat
       jedoch Qureisha Rauf noch nicht einmal dieses Geld bekommen. Denn das
       Verteidigungsministerium orientierte sich bei der Abwicklung ihrer
       „humanitären Geste“ an den patriarchalischen Gepflogenheiten der
       stockkonservativen paschtunischen Gesellschaft und zahlte nur an Männer
       aus. Das Geld für Qureisha Rauf erhielt ein angeblicher Onkel, den die
       Familie nicht kennt. Nun fordern ihre Anwälte für Qureisha Rauf eine
       Entschädigung von 50.000 Euro und für Abdul Hannan 40.000 Euro.
       
       Eineinhalb Stunden verhandelte das Gericht. Ein Appell Sonnenbergers, doch
       noch zu einer gütlichen Einigung zu kommen, schlug das
       Verteidigungsministerium aus. „Eine Einigung ist jedenfalls derzeit nicht
       möglich“, diktierte der Vorsitzende Richter zum Abschluss. Am 17. April
       wird weiterverhandelt.
       
       20 Mar 2013
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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