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       # taz.de -- Beziehungsdramen auf allen Bühnen: Treffen sich zwei Paare …
       
       > In seinem Stück „Wir lieben und wissen nichts“ erzählt der Worpsweder
       > Autor Moritz Rinke von den Kämpfen, die sich die Partner in modernen
       > bürgerlichen Paarbeziehungen liefern.
       
   IMG Bild: Moderne Paarbeziehung: Die Schauspieler Stephan Kampwirth und Katharina Wackernagel in der Hamburger Inszenierung des Stücks "Wir lieben und wissen nichts"
       
       HAMBURG taz | Jobnomaden sind sie. Hannah will weg, Banker mit
       buddhistischen Atemtechniken beglücken, damit die ihre Boni besser genießen
       und noch effizienter an der Zerstörung all dessen arbeiten können, was
       unsere Gesellschaft zusammenhält. So jedenfalls ätzt ihr genervter Freund
       Sebastian, der nur seine Bücher genießen möchte.
       
       Auch Roman muss angeblich beruflich die Stadt wechseln, wobei Gattin
       Magdalena ihn endlich dazu bringen möchte, trotz seiner verheimlichten
       Entlassung nicht den „Tod eines Handlungsreisenden“ nachzuspielen. Hannah
       und Sebastian, Roman und Magdalena: Um diese vier Menschen, die zwei Paare
       ergeben, kreist das neue Stück des in Worpswede geborenen Autors Moritz
       Rinke. Das Stück heißt „Wir lieben und wissen nichts“ und wird derzeit an
       den Hamburger Kammerspielen gezeigt.
       
       Im Internet hat sich das Quartett gefunden, eine „Tauschpartnerschaft“
       vereinbart, die erst beider Wohnungen, dann auch die Lebenspartner
       betrifft. Überkreuz gepaart würden die Daseinskonzepte besser passen: zwei
       Macher, Lebensbeschleuniger, Workaholics, die immer alle Fäden in allen
       Situationen in der Hand halten müssen – und zwei Sucher, Entschleuniger,
       romantische Träumer, die sich weniger im Internet und auf Karriereleitern,
       sondern lieber mit Kunst herumtreiben.
       
       Treffen sich zwei Paare – auf diesen Nenner lassen sich die Komödien
       bringen, die derzeit an mehreren norddeutschen Bühnen Theatererfolge
       garantieren. Immer geht es um das Paarbildungsglück des wohlsituierten
       Bürgertums und seines Nachwuchses. Die Lust eben dieses Publikums wird
       bestens bedient, sich über die Verlogenheit des eigenen lauwarmen Lebens zu
       amüsieren.
       
       Einst küssten und schlugen sich die lauthals Liebenden, heute ist ihre
       Kommunikation ein Beziehungsritual, sich messerscharf zu verletzen. Zwist
       um Worte und Prestige, Missverständnisse, Ressentiments, wohl gesetzte
       Tabubrüche, ein ausufernder Kampf der Kränkungen, das Begleichen alter
       Rechnungen, Be- und Empfindlichkeiten werden bloßgelegt.
       
       Drei bemerkenswerte Beispiele dieser Dramenkunst tummeln sich derzeit auf
       den Spielplänen Hamburger Bühnen. Yasmina Reza hat die Situation in ihren
       elaborierten Komödien perfektioniert: Sie lässt kein gutes Haar an den
       Kombattanten des Ehekrieges, was Ulrich Waller mit kabarettistischem Hohn
       am St. Pauli Theater inszeniert („Der Gott des Gemetzels“). Das
       Schauspielhaus hat das Sujet mit „Der Vorname oder „Zu Gast bei guten
       Freunden“ von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière als
       pointensicheren Boulevardspaß im Programm.
       
       Nun folgen die Kammerspiele mit „Wir lieben und wissen nichts“. Es ist die
       beste der drei Arbeiten. Genauso gut aufgelegt wie die Darsteller im St.
       Pauli Theater und im Schauspielhaus sind die in den Kammerspielen. Aber die
       Inszenierung hat auch das Herz am rechten Fleck.
       
       Regisseurin Ulrike Maack entwirft die gemischten Doppel aus
       Sympathieträger(-in) und Unsympath(-in), arbeitet diese Ausgangslage mit
       dem differenzierenden Text psychologisch fein aus, zeichnet die Figuren
       zunehmend widersprüchlich. Dass sie an ihren Ansprüchen, Wünschen,
       Sehnsüchten und Überzeugungen scheitern, ist traurig. Wie realitätsblind
       sie dabei sind, ist komisch. Und der Abend so gleichzeitig schwer und
       leicht.
       
       Die Anlässe für den allmählich eskalierenden Seelenstriptease sind
       vielgestaltig. Erst kleine Spitzen gegen den Partner, dann die
       misanthropischen Provokationen Sebastians, die Giftpfeile Romans –
       schließlich wird verbal ein immer üppigeres Waffenarsenal in Stellung
       gebracht.
       
       Dass irgendwann Roman an Hannah rumfummelt, sie ihn dann ausziehen will:
       klar. Analoges Kennenlernen nennen sie das. Dass Sebastian in Magdalenas
       Antlitz die „höhere Melancholie der alten Russen“ preist, woraufhin sie
       ihre Lippen auf die seinen presst: klar. Dass der fliegende Partnerwechsel
       dann doch nicht klappt: ebenso klar. Es war nur ein Fluchtreflex, der alle
       auseinander treibt.
       
       Verprellte Egoisten. Kann man zusammen leben, wenn man sich die Wahrheit
       sagt? Oder besser nur lieben und nichts besser wissen? Am Ende sitzt
       Sebastian auf der Bühne, ungestört mit einem Buch. Glücklich? Er ruft zur
       lockeren sozialen Anbindung nach seiner Hannah – vergeblich.
       
       Eine vierte, in existenzieller Tristesse faszinierend auflodernde Variante
       des Treffen-sich-zwei-Paare-Witzes hat Dea Loher geschrieben: „Am schwarzen
       See“. Das beeindruckende Drama läuft bereits am Deutschen Theater Göttingen
       und ist ab 25. Mai auch am Staatstheater Hannover zu sehen.
       
       20 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Fischer
       
       ## TAGS
       
   DIR Theater
       
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