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       # taz.de -- Rassismus in Deutschland: Bürger dank Uniform
       
       > Ntagahoraho Burihabwa war 12 Jahre bei der Bundeswehr. Er fühlte sich als
       > gleichberechtigter Deutscher. Außerhalb der Armee nicht. Das soll sich
       > ändern.
       
   IMG Bild: Ntagahoraho Burihabwa ist das Bild vom minderbemittelten Migranten leid
       
       HAMBURG taz | Er ist stolz auf sein Land, Deutschland, seine Heimat. Aber
       nicht so sehr, dass er andere deswegen ablehnt, wie käme er darauf. An
       dieser Stelle könnte die Geschichte schon zu Ende sein. Dass es mehr zu
       erzählen gibt, liegt an einer Sache, von der Ntagahoraho Burihabwa selbst
       sich wünscht, dass sie keine Rolle spielen möge. Aber sie tut es.
       
       Seine Hautfarbe. Schwarz.
       
       Es war 1990, so erinnert er sich heute, als er zum ersten Mal darüber
       nachdachte, was das alles bedeutet. Die Szene hat sich eingebrannt in sein
       Gedächtnis: Fußball-WM in Italien, Deutschland wird Weltmeister, Gaho, wie
       ihn alle nennen, hat ein komplettes Trikot-Outfit geschenkt bekommen.
       
       Als ihn der Schulleiter so sieht, nennt er ihn „einen stolzen Deutschen“.
       Und fängt laut an zu lachen. Und noch mal zu einer Kollegin, die
       vorbeikommt: „Ich habe gesagt, ein stolzer Deutscher.“ Haha. Gaho versteht
       den Witz nicht.
       
       ## Deutsche Schule in Nairobi
       
       1981 wurde er geboren, in Siegen, fast wäre alles anders gekommen. Sein
       Vater war als Student des Maschinenbaus mit einem Stipendium nach
       Deutschland gezogen, nachdem es in Ägypten nicht geklappt hatte. Die Mutter
       kam später nach. Beide stammen aus Burundi, Ostafrika.
       
       Mitte der 80er Jahre bekam der Vater das Angebot, nach Kenia zu gehen, um
       dort das Büro der deutschen Kindernothilfe aufzubauen. Doch Ntagahoraho
       Burihabwas Eltern hatten die burundische Staatsbürgerschaft verloren, ohne
       Pass keine Ausreise. Deshalb wurden sie, die drei Jahre ältere Schwester
       und er erstaunlich schnell eingebürgert. Auf seinen deutschen Pass passt
       Burihabwa bis heute auf wie auf einen Schatz. Er ist für ihn die
       Versicherung, dass er dazugehört. „Staatenlos zu sein“, sagt er, „das ist
       doch das Schlimmste.“
       
       Burihabwa ging in Nairobi auf die deutsche Schule, und als
       Auslandsdeutscher, so erzählt er, hatte er eine normale Kindheit und
       Jugend, fand seinen Platz, wurde Schülersprecher. Heute sagt er, dass er
       damals ein idealisiertes Bild von Deutschland hatte, das nur leicht getrübt
       wurde durch die Angriffe auf Asylbewerberheime Anfang der 90er Jahre, von
       denen sie im Spiegel lasen.
       
       ## Ausgerechnet er geht zur Armee
       
       In den großen Ferien machte die Familie stets Urlaub in Deutschland, im
       Jahr 2000 begann Burihabwa seinen Wehrdienst. 2001 schlug er die
       Offizierslaufbahn ein. Ausgerechnet er, der zu Hause immer gesagt bekam,
       die Armee sei das Schlimmste der Welt. Und er fand dort ein Zuhause.
       
       Was ihn an der Bundeswehr am meisten fasziniert: das Ideal, dass alle, die
       den Eid leisten, dafür einstehen. Das große Zusammengehörigkeitsgefühl, die
       Kameradschaft, die ja sogar vorgeschrieben ist, Paragraf 12 Soldatengesetz.
       Und dass der Dienstgrad mehr zählt als jede Äußerlichkeit. Er ist der
       Hauptmann. Punkt. „Es liegt auch an der Hierarchie, dass es in der
       Bundeswehr wenig Diskriminierung gibt“, sagt Burihabwa. Seine Hautfarbe
       habe in der Bundeswehr im Grunde keine Rolle gespielt. Hier konnte er
       einfach Deutscher sein.
       
       Wenn er diskriminiert wurde, sagt Ntagahoraho Burihabwa, dann außerhalb.
       
       ## „An den äußeren Rändern“
       
       Wenn er angeglotzt wurde. Wenn der Türsteher ihn nicht in die Disko ließ.
       Wenn jetzt manche in einem Onlineforum über den „Negeroffizier“ abkotzten,
       nachdem ein Artikel über ihn erschienen ist. Körperlich angegriffen wurde
       er nie, aber ein bisschen Angst hat er schon, vor allem um seine kleine
       Tochter. Trotzdem sind die offenkundigen Nazis nicht die, über die er sich
       den Kopf zerbricht. Ihn bekümmert das, was sich in der Mitte der
       Gesellschaft abspielt. Von der „Mitte der Gesellschaft“ spricht er oft. Es
       sei ein Problem, dass die Integrationsdebatte nicht dort geführt werde,
       sondern „an den äußeren Rändern“.
       
       Wenn jemand ihn fragt, wo er denn herkommt, ist das niemals reiner Small
       Talk. Burihabwa sagt dann immer: aus Deutschland. Er will der Diskussion
       nicht ausweichen, er ist geduldig, höflich, und er redet auch einfach gern.
       Er erklärt immer wieder, warum er gut gemeinte Begriffe wie
       „fremdenfeindlich“ und „ausländerfeindlich“ ablehnt: „weil sie einfach
       falsch sind“. Es geht doch nicht um Fremde oder um Ausländer, es geht um
       Deutsche. Und um Rassismus.
       
       Ihn bekümmert, dass ganz normale Leute fragen: Du bist hier geboren? Geht
       das überhaupt? Oder noch absurder: Leute, die ihn in gebrochenem Englisch
       ansprechen und es gar nicht bemerken, wenn er in perfektem Deutsch
       antwortet. Er könnte auch Englisch reden, wenn er wollte. Genauso, wie er
       auch Französisch spricht. Oder Kisuaheli, Kinyarwanda und Kurundi, die
       Sprachen von Kenia, Ruanda und Burundi. Aber warum sollte er? „Das ist der
       Hauptgrund, warum ich mich engagiere. Dass ich nicht als Teil der
       Gesellschaft wahrgenommen werde, obwohl ich mich so fühle.“
       
       Der Auslöser, dass er aktiv wurde, war Thilo Sarrazin. Dessen Bild von
       minderbemittelten Migranten wollte er etwas entgegensetzen. Burihabwa war
       damals Gruppenleiter an der Bundeswehr-Universität in Hamburg. Einige
       seiner Studenten konnte er begeistern, die meisten haben einen
       Migrationshintergrund. Sie benutzen das Wort selber, weil sie kein besseres
       kennen.
       
       ## Positivbeispiele geben
       
       „Deutscher. Soldat. e. V.“ haben sie ihre Initiative genannt. Sie sind
       Deutsche, darum geht es ihnen in erster Linie, nicht um Multikulti. Das
       Vereinslogo ziert drei stilisierte Soldaten in Schwarz, Rot, Gold.
       Innerhalb der Bundeswehr bekamen sie zu hören: Oje, ein Selbsthilfeverein.
       Dabei wollen sie doch gar nicht in die Armee, sondern nach außen wirken. In
       die Gesellschaft. Wollen Integration mit Positivbeispielen verknüpfen,
       nicht nur mit Problemen. Aber auch dabei stoßen sie mitunter auf
       Vorbehalte.
       
       Betonen sie das Deutschsein nicht ein bisschen zu stark? Pflegen sie nicht
       ein sehr konservatives Heimatbild, wenn auch auf eigene Art? Und überhaupt,
       was soll das mit der Bundeswehr?
       
       Die Bundeswehr, die ist für Burihabwa der Beweis, das Integration gelingen
       kann. Und sie gehört weiter zu seinem Leben, auch wenn er jetzt einen
       schwarzen Mantel neben die Flecktarnuniformen seiner Kameraden hängt, wenn
       er das Kasino der Offizierheimgesellschaft besucht. Denn Ende des
       vergangenen Jahres hat er die Armee verlassen, obwohl er eigentlich immer
       Berufssoldat werden wollte. Er hätte diesen Weg einschlagen können, sein
       Studium – Pädagogik und Geschichte – hat er mit 1,1 abgeschlossen. Aber
       karrieremäßig war ihm alles dann doch zu fremdbestimmt und unflexibel. Er
       kann sich vorstellen, in die Entwicklungszusammenarbeit zu gehen,
       vielleicht zu einer politischen Stiftung.
       
       ## "Alle dasselbe Lagebild"
       
       Aber er bleibt Soldat, als Reservist und in seiner Sprache: „Es ist
       wichtig, dass wir alle dasselbe Lagebild haben“, sagt er, der
       Vorstandsvorsitzende. Mit am Tisch sitzen zwei Vorstandskollegen und ein
       weiteres Vereinsmitglied, ihre Eltern kommen aus Jordanien, den Kapverden
       und den USA. In der heutigen Sitzung geht es um den nächsten großen
       Schritt: die Eröffnung der „Hauptstadtrepräsentanz“. Sie wollen der
       Bundespolitik näher sein, deshalb eröffnen sie an diesem Mittwoch ein
       kleines Büro im Berliner Regierungsviertel. Es geht recht formell zu,
       Burihabwa sitzt aufrecht da, siezt seine Kameraden, zwischendurch mahnt er
       zu Ernsthaftigkeit.
       
       ## Ganz ohne Polemik
       
       Auch wenn sie zu Rassismus in der Bundeswehr befragt werden, sind die
       „deutschen Soldaten“ sehr staatstragend, nehmen diese eher in Schutz, als
       anzuklagen. Betonen, dass es natürlich auch in der Bundeswehr zu
       rassistischen Übergriffen kommen kann, aber in keinem Fall mehr als sonst
       in der Gesellschaft. Eine Einschätzung, die übrigens auch von unabhängiger
       Seite gestützt wird. „Es geht uns um Sachlichkeit“, sagt Burihabwa, „wir
       wollen nicht polemisieren.“
       
       Aber anecken, das wollen sie schon. Allein mit dem Namen, der eine ganz
       andere Bedeutung hätte, wären die Gründer Deutsche, deren Vorfahren seit
       Jahrhunderten, sagen wir, in Kassel gelebt haben oder in Dresden.
       
       Und manchmal ecken sie sehr an. Am liebsten würden sie auch in Schulen
       gehen, um zu zeigen: Es gibt nicht nur Sportler und Rapper, die es
       geschafft haben. Um den Migrationshintergrund von seinem negativen Image zu
       befreien. Aber Soldaten in der Schule, das finden viele Lehrer gar nicht
       gut, das haben sie schnell mitbekommen. Jetzt versuchen sie es privat und
       ohne Uniform. Dominik Wullers, der erste stellvertretende Vorsitzende,
       wirft ein: „Die stören sich doch auch an den Uniformen, wenn wir sie nicht
       anhaben.“
       
       ## Feldforschung in Ostafrika
       
       Burihabwa hingegen stört vieles, wenn es um Integration geht. Er sieht es
       zum Beispiel so, dass verschiedene Migrantengruppen in eine regelrechte
       Konkurrenzsituation gebracht werden, etwa bei der Förderung von Projekten.
       „Es kann doch nicht sein, dass ein 18-Jähriger, der hier geboren wurde, zum
       Verband seiner Großeltern gehen muss, um eine Stimme zu haben.“
       
       Man solle seine Herkunft ja trotzdem nicht verleugnen. Burihabwa tut das
       selbst auch nicht. Seine Doktorarbeit schreibt er darüber, wie sich in
       Burundi und Ruanda Rebellengruppen in regierende Parteien wandelten. Anfang
       des Jahres war er wieder für ein paar Wochen in Ostafrika, zur
       Feldforschung und um seine Eltern zu besuchen.
       
       Er wünscht sich sogar, dass erfolgreiche Prominente offener über ihren
       Migrationshintergrund reden, er denkt da etwa an Bundeswirtschaftsminister
       Philipp Rösler. Das Ziel, sagt Burihabwa, sei Normalität. Aber solange es
       diese nicht gibt, müsse man den Umgang mit Herkunft und Hautfarbe eben
       thematisieren. So lange, bis er im Deutschlandtrikot zum Public Viewing
       gehen kann, ohne dass ihm die Leute irritiert hinterherschauen.
       
       19 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sebastian Erb
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