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       # taz.de -- Kommentar Linke und Katholizismus: Der Papst ist keine Privatsache
       
       > Jeder Mensch muss die Freiheit haben an seinen Gott, seine Göttin oder
       > gar nichts zu glauben. Die Haltung, Religion sei Firlefanz, ist
       > unpolitisch.
       
   IMG Bild: Wer so tut, als sei Religion ein Glaube von vorgestern, sitzt auf einer sehr kleinen Insel der Nichtseligen
       
       Eine Hundertschaft alter Männer, die in seltsamen Gewändern obskure Rituale
       aufführt; die Verzückung in den Augen der Oberfrommen auf dem Petersplatz;
       der Kommerz mit dem heiligen Kitsch an jeder Ecke: Es gibt viele gute
       Gründe, die Wahl eines neuen Papstes als bizarres Ballett der Ewiggestrigen
       zu betrachten. Da hilft auch die Einsicht nicht wirklich, dass alle
       Glaubensgemeinschaften ihre Spinnereien pflegen – seien es Muslime,
       Freimaurer oder die Fans von Schalke 04.
       
       Jeder Mensch muss die Freiheit haben, an seinen Gott, seine Göttin, den
       großen Manitu oder an gar nichts zu glauben. Aber niemand hat das Recht,
       andere wegen der Ausübung ihrer Religion lächerlich zu machen. Und wer so
       tut, als sei Religion Privatsache und ein Glaube – die Ahnung oder die
       Hoffnung, dass der Sinn des Lebens nicht im Dschungelcamp besteht – von
       vorgestern, sitzt auf einer sehr kleinen Insel der Nichtseligen. Denn nur
       wenige Länder sind so säkular wie Deutschland, und auch hier zahlen
       immerhin zwei Drittel der Menschen Kirchensteuern. Sie werden wissen,
       warum.
       
       Der Glaube, Religion sei Firlefanz, ist zudem ungeheuer unpolitisch: Der
       Kampf für die Bürgerrechte in den USA begann mit einem Pastor (!) mit Namen
       Martin Luther (!) King. Die friedliche Wende in der DDR ist ohne die Kirche
       nicht denkbar, der Erfolg der Solidarnosc in Polen nicht ohne den Papst,
       die Überwindung der Apartheid in Südafrika nicht ohne die Kirchengemeinden.
       In faschistischen Diktaturen und islamistischen Autokratien wird Religion
       in ihrer menschenverachtenden Spielart deutlich.
       
       Die Wahl eines neuen Papstes ist also ein politisches Ereignis. Wer wie
       Jorge Mario Bergoglio in einer Zeit der Krise als Reformer mit dem
       programmatischen Namen Franziskus antritt, verspricht schon dadurch eine
       Entwicklung, die die Öffentlichkeit direkt etwas angeht. Dazu kommt: Der
       erste nichteuropäische Papst zeigt, dass die Kirche in der Globalisierung
       angekommen ist.
       
       Der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri zeigt, dass Realitätssinn und
       Effizienz in der Kirchenverwaltung gefragt sind. Und die demonstrative
       Bescheidenheit des Erzbischofs von Buenos Aires legt nahe, dass die Kirche
       besser fährt, wenn sie auf Dienstwagen und Hermelinmantel verzichtet und
       sich den Armen und Armgemachten verpflichtet fühlt.
       
       Selbstverständlich ist Papst Franziskus ein Konservativer. Seine Meinungen
       zu Abtreibung, Verhütung und Homo-Ehe liegen ganz im harten katholischen
       Mainstream. Darüber hinaus kommt er aus einer Gesellschaft, die noch vom
       Katholizismus dominiert ist.
       
       Für ein besonderes Interesse an der Ökumene mit den protestantischen oder
       orthodoxen Christen oder etwa dem Islam ist er bisher nicht bekannt. Aber
       einen Kandidaten, der offen für die Rechte der Schwulen und Lesben
       eintritt, Frauen zu Priesterinnen weiht und das Papsttum zugunsten der
       protestantischen Brüder und Schwestern abschaffen will, wird man im
       Konklave auch nicht finden. So viel Revolution kann man von der ältesten
       Organisation der Welt nicht mal eben so erwarten.
       
       Wenn man das akzeptiert, lässt Papst Franziskus hoffen: Wer sich wie
       Bergoglio bewusst dafür entscheidet, den Gründervater eines konkurrierenden
       Ordens, den heiligen Franziskus von Assisi, als Namenspatron zu wählen,
       setzt ein Zeichen. Franziskus, Sohn aus gutem Haus, der mit seiner reichen
       Familie bricht und sich radikal den Armen und der Umwelt zuwendet – das ist
       das Versprechen.
       
       Die Franziskaner gelten in der katholischen Kirche als die Radikalinskis,
       die Jesuiten als die Macher. Wenn Bergoglio diese Kombination zum Leben
       bringt, könnte das für die Kirche und die Menschen in der Welt ein echter
       Fortschritt sein. Sollte man sich dafür nicht interessieren?
       
       Die Begeisterung über „Papa Francesco“ ist groß, die Hoffnungen auf einen
       ehrbaren Anwalt der Armen, der mit der Autorität der Bibel gegen Krieg und
       für Gerechtigkeit spricht, sind es auch. Vor allem für Lateinamerika,
       Afrika und Asien kann Papst Franziskus das Gesicht der Kirche im 21.
       Jahrhundert prägen und Millionen von Menschen Orientierung und Hoffnung
       geben: als Oberhaupt des einzigen Global Players im Dienst der Menschen.
       Dafür sollte man sich auch interessieren, wenn man nicht regelmäßig den
       Rosenkranz betet.
       
       15 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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