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       # taz.de -- Die Wahrheit: Dumm die Dummen
       
       > Die Südtiroler Gröl-Band Frei.Wild fühlt sich verfolgt und spielt ihre
       > Opferrolle nur zu gern. Damit lässt sich gut Kasse machen.
       
   IMG Bild: Wenn die armen Opfer von Frei.Wild endlich zur Strecke gebracht sind, wird das Halali geblasen.
       
       Über die Südtiroler Band Frei.Wild war in letzter Zeit einiges zu
       vernehmen: Erst kritisierte der Journalist Thomas Kuban bei Günther Jauch
       ihre nationalistischen Texte, dann stieg die Musikzeitschrift Visions aus
       der Präsentation eines Festivals aus, bei dem Frei.Wild auftreten sollten –
       die Band ihrerseits kam einem drohenden Rauswurf durch Rückzug zuvor. Nun
       wurden sie auch noch von der Nominierten-Liste des Musikpreises „Echo“
       gestrichen, nachdem Kraftklub und MIA ihre Teilnahme abgesagt hatten.
       
       Die Band selbst zeigt sich von den Vorwürfen und Vorkommnissen so
       schockiert wie weiland Karl-Theodor zu Guttenberg, als man ihn des Plagiats
       zieh. Denn Nazis sind Frei.Wild selbstredend nicht: Sie tragen keine
       Hakenkreuz-Binden, rufen nicht „Sieg Heil!“, und was mit den Juden passiert
       ist, finden sie womöglich auch nicht so toll. Schließlich sind sie jetzt
       selber welche: „Keine Gnade und im Zweifel nicht für dich / Heut gibt es
       den Stempel, keinen Stern mehr“, singen sie in einem Song. Soll heißen:
       Früher mussten die Juden einen Stern tragen, heute sind wir die Opfer. „Die
       Band der Vollidioten“, wie die famosen Egotronic sie nennen, geriert sich
       als die verfolgte Unschuld vom Lande.
       
       Zwar spielte Sänger Philipp Burger einst in der rechtsextremen Skinheadband
       Kaiserjäger, aber das war eine lässliche Jugendsünde – heute als
       Erwachsener lässt sich das viel verkaufsfördernder formulieren. Frei.Wild
       füllen die größten Konzerthallen, spielen auf Musikfestivals – und mit
       ihrem aktuellen Album „Feinde deiner Feinde“ landeten sie auf Platz zwei in
       den Charts.
       
       In ihrem Song „Wahre Werte“ singen sie: „Wann hört ihr auf, eure Heimat zu
       hassen, wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen …
       Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat, ohne sie gehen wir
       unter, stirbt unser kleines Volk.“ Das ist als Patriotismus verbrämte
       Blut-und-Boden-Romantik, gedrechselt aus dem Rhetorik-Handbuch für den
       kleinen Rechtsradikalen.
       
       Frei.Wild selbst sehen sich freilich als unpolitisch – was sie nicht davon
       abhält, ihre Songs „Land der Vollidioten“ oder „Gutmenschen und
       Moralapostel“ zu betiteln. In Letzterem heißt es: „Sie richten über
       Menschen, ganze Völker sollen sich hassen / Nur um Geschichte, die noch
       Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen / Nach außen Saubermänner, können
       sie jeden Fehler sehen / Sind selber die größten Kokser, die zu
       Kinderstrichern gehen.“ Da muss der Frei.Wild-Fan nicht mehr allzu viel
       seines rudimentären Gehirnschmalzes investieren, um zu verstehen, dass es
       hier um Juden geht, die den Holocaust instrumentalisieren, um sich an ihm
       zu bereichern. Linke Politiker und Journalisten: allesamt schwule
       Kinderficker und Junkies!
       
       Mit anderen Worten: Frei.Wild sind so unpolitisch wie die Mitglieder eines
       Stammtischs, die Auschwitz nicht für ein Verbrechen, sondern eine
       Moralkeule halten; die Kinderschändern am liebsten die Eier abschneiden und
       Ausländer abschieben wollen. Und so simpel wie die Gedanken klingt auch die
       Musik: Rumpel- und Mitgrölrock für den kleinen Halbstarken von der Straße.
       
       Zum Beweis ihrer Unschuld lassen Frei.Wild ihre entrückten Fans bei
       Konzerten gern „Nazis raus!“ skandieren. Was ungefähr so sinnvoll ist, als
       würde man einen Alkoholiker zur Therapie in eine Trinkhalle schicken mit
       dem Hinweis, es doch mal mit Bier anstatt mit Schnaps zu probieren. Ein
       pragmatischer Ansatz ist das allemal: Denn wenn alle „Nazis raus!“ rufen,
       dann gibt es keinen mehr, der gehen muss.
       
       Welches Land genau Frei.Wild meinen, wenn sie von der Heimat fabulieren,
       ist allerdings nie so ganz klar. In einem Interview erklärte Burger mal, er
       fühle sich weder als Deutscher noch als Österreicher, sondern als
       Südtiroler. Bei Kaiserjäger sang er: „Heil dem Kaiser, Heil dem Lande,
       Österreich wird ewig stehen.“ Und zur letzten Fußball-Weltmeisterschaft
       veröffentlichten Frei.Wild die Single „Dieses Jahr holen wir uns den Pokal“
       – wobei sie mit „wir“ selbstverständlich nicht Italien, sondern Deutschland
       meinten. Klar, dass einem bei so viel Nationalstolz schon mal die Grenzen
       verschwimmen, weil man vor lauter Patriotismus nur noch Heimat sieht.
       
       Welche Landkarte die Deutsche Phono-Akademie aus ihrem Archiv gekramt hat,
       als sie die Rechtsrocker aus dem italienischen Brixen ausgerechnet in der
       Kategorie „Rock/Alternative National“ nominierte, ist nicht überliefert.
       Vielleicht dachte sie an die Einstellung, nicht an die Region. Mit der
       musikalischen Qualität hatte dies eh nichts zu tun, denn maßgeblich für
       eine Echo-Nominierung ist der Verkaufserfolg. Und dem wird es kaum schaden,
       dass die Band nach den Diskussionen der vergangenen Tage von der
       Nominierten-Liste wieder verschwand. Denn das ist ja das Praktische an der
       Opferrolle, die Frei.Wild spielen: Es lässt sich prima Kasse machen damit.
       
       10 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Philip Meinhold
       
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