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       # taz.de -- Radmesse: Das Fahrrad als Fetisch
       
       > Die „Berliner Fahrrad Schau“ bildet ab, wie das Bike zum Lifestyle wird.
       
   IMG Bild: Lifestyle-Accessoires zum Fahrrad auf der Berliner Fahrrad Schau.
       
       Fahrradbegeisterte kommen natürlich mit dem Fahrrad zur „Fahrrad Schau“ in
       der „Station“, ganz in der Nähe des Deutschen Technikmuseums – auch wenn es
       schon wieder winterlich ist in Berlin. Und nicht wenige fahren mit schicken
       Hipster-Bikes vor, um die es auch in der zum vierten Mal in der Stadt
       stattfindenden Messe vor allem geht. Auffällig viele vor dem Messeeingang
       abgestellte Räder haben dieses seit ein paar Jahren schwer angesagte
       schlichte Design, das aus der Szene rund um die sogenannten
       Fixed-Gear-Bikes stammt. Bei diesen wird auf Schnickschnack wie eine
       Gangschaltung verzichtet, womit sie sich perfekt von den vielleicht schon
       etwas angerosteten Drahteseln mit 12-Gang-Schaltung derjenigen absetzen,
       für die ihr Fahrrad weniger ein Lifestyle-Accessoire denn ein bloßes
       Fortbewegungsmittel ist.
       
       Welches Potenzial im Fahrrad steckt, ein weit über den Nutzwert
       hinausgehender Gegenstand zur eigenen Selbstvergewisserung zu sein, kann
       schon seit ein paar Jahren beobachtet werden. Nicht zuletzt in Berlin,
       einer europäischen Hauptstadt, die im Gegensatz zu etwa London oder Paris
       eine echte Fahrradstadt ist. Berliner Hipster brauchen kein Auto für den
       Distinktionsgewinn, sie wollen gar kein Auto, sie investieren in die eigene
       Coolness lieber mit dem Kauf eines fein designten Bikes.
       
       Dass Fahrräder für viele immer teurer werden dürfen, im Segment über
       tausend Euro eine anwachsende Nachfrage besteht und gleichzeitig das
       Angebot zwischen Fun- und E-Bikes immer vielfältiger wird, hat dazu
       geführt, dass sich in den letzten Jahren gleich zwei große Fahrradmessen in
       Berlin etablieren konnten: Die Berliner „Fahrrad Schau“ und die in zwei
       Wochen statt findende „Velo Berlin“. Die „Fahrrad Schau“ richtet sich dabei
       dezidierter an ein designinteressiertes Fachpublikum als die „Velo“, wo es
       eher um Trekking- und E-Bikes geht, doch Bike-Polo, eine spektakulär
       anzusehende Mischung aus Radball und Polo, gehört bei beiden Messen zum
       Showprogramm. Das Fahrrad, ohne diese Botschaft kommt heute einfach keine
       Fahrradmesse mehr aus, kann eben so viel mehr sein als bloß ein Fahrrad.
       
       Dass die „Fahrrad Schau“ ein Erfolg ist, lässt sich alleine schon daran
       erkennen, welche Schlangen sich zumindest am Eröffnungstag der Messe vor
       dem Eingang bilden. Götz Haubold, Kurator der Messe, bestätigt diesen
       Eindruck. Sein Ziel, die Berliner Fahrrad Schau, die als eher regional
       orientierte Messe begonnenen hatte, weiter zu internationalisieren, habe er
       erreicht, sagt er. Bis zu 30 Prozent der Besucher seien aus dem Ausland
       gekommen, schätzt er. Gleichzeitig legt er Wert darauf, besonders lokalen
       Fahrraddesignern eine Plattform zu bieten, ihre Produkte zu präsentieren.
       Auf der Eurobike in Friedrichshafen, der weltgrößten Fahrradfachmesse,
       könnte sich so manche der immer mehr werdenden kleinen Berliner
       Fahrradmanufakturen gar keinen Stand leisten, meint Haubold.
       
       Will man, wie bei einer Fashion-Show, auch auf der Berliner Fahrrad Schau
       etwas über neue Trends erfahren, lässt sich erkennen, dass die Entwicklung
       einfach weiter in die Richtung geht, den urbanen Biker vom Image des
       gesundheitsbewussten Freizeit-Radlers zu entkoppeln, der Fahrradhelm und
       hässliche Multifunktionskleidung trägt. Das aus der Fixie-Kultur kommende
       Minimal-Design darf noch minimalistischer wirken und auf die Schönheit
       eines perfekt designten Fahrradrahmens wird verstärkt Wert gelegt. Das
       beweist auch der erstmals verliehende „Frame Fame Award“, der dem schönsten
       Fahrradrahmen der Messe verliehen wurde. Ausgestellte Gadgets wie
       Hosengürtel aus Fahrradschläuchen und -mänteln zeigen außerdem, dass die
       Fetischisierung rund ums Bike weiter zunehmen wird. Wenn das Fahrrad immer
       wichtiger wird, führt das vielleicht auch dazu, dass man anfängt, sich in
       Berlin um bessere Fahrradwege zu kümmern. Das wäre ein begrüßenswerter
       Nebenaspekt des Fahrradbooms.
       
       10 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
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