URI: 
       # taz.de -- Internationaler Frauentag: Die Unsichtbaren: Nicht unsichtbar genug
       
       > Die Sängerin Negar R., 34, flüchtete vor drei Monaten aus dem Iran. „Dort
       > kannst du nicht du selbst sein“, sagt sie. Das endet nicht selten in der
       > Depression.
       
   IMG Bild: „Die Unsichtbaren“ – Protokolle der taz zum Internationalen Frauentag.
       
       Ich musste den Iran unter anderem deshalb verlassen, weil ich aus meiner
       Unsichtbarkeit als Frau herauswollte, mich sichtbar machen wollte mit dem,
       was ich kann und wer ich bin. Ich schreibe Gedichte und trete als Sängerin
       auf. Letzteres ist im Iran für Frauen verboten.
       
       Weil ich 2012 einige Male im Ausland aufgetreten bin und dort über meine
       Auftritte berichtet wurde, habe ich so viele Probleme bekommen, dass ich
       flüchten musste. Ich war wegen der Teilnahme an Demonstrationen während der
       Grünen Revolution vor einigen Jahren schon einige Male im Gefängnis. Das
       wollte ich nicht noch einmal erleben.
       
       Dabei können sogar die, die als politische Häftlinge hinter Gefängnismauern
       verschwinden, manchmal mithilfe der Medien oder durch die Unterstützung von
       Freunden sichtbar werden. Aber wir weiblichen Künstlerinnen, die keinen
       offiziellen, legalen Draht zur Öffentlichkeit haben können, wir sind
       praktisch in der Unsichtbarkeit gefangen. Wir sind immer auf unser
       Privatleben angewiesen, sollen uns damit begnügen.
       
       ## Enges Korsett
       
       Für die Öffentlichkeit dürfen wir nicht sichtbar sein. Deshalb haben wir
       immer Probleme. Ich durfte als Sängerin nicht auftreten. Als Dichterin
       durfte ich zwar zwei Bücher veröffentlichen, aber sie mussten zuvor durch
       eine strenge Zensur. Ich schreibe viel über die Liebe – ich durfte also
       auch da nicht schreiben, was ich wirklich fühle. Und öffentlich und
       offiziell auftreten, Lesungen abhalten durfte ich auch nicht.
       
       Man wird als Frau im Iran jedenfalls in der Öffentlichkeit in ein sehr
       enges Korsett aus Regeln gepresst, darüber, wie man sich zu kleiden, wie
       man sich zu benehmen hat, was man tun darf. Es ist nicht unmöglich, als
       Frau sichtbar zu sein, in der Öffentlichkeit zu stehen.
       
       Es gibt einige bekannte Schriftstellerinnen, Künstlerinnen oder auch
       Fernsehansagerinnen. Du musst dich dabei aber an die strengen Regeln
       halten, die in der Öffentlichkeit gelten, musst dem offiziellen Bild der
       guten islamischen Frau entsprechen. Aber wenn du du selbst sein möchtest,
       wenn du dich als Individuum zeigen möchtest, das geht nicht. Es gibt auch
       Künstlerinnen, die man nur in bestimmten Kreisen kennt, die in privaten
       Rahmen ausstellen, lesen oder auftreten.
       
       Ihre Begabung öffentlich zeigen dürfen sie nicht. Und sie müssen immer
       aufpassen, dass sie bestimmte Grenzen nicht überschreiten. Es gibt
       Künstlerinnen, die Frauen ohne Kopftuch oder mit viel Make-up gemalt haben,
       deren Bilder dann verboten wurden.
       
       Diese Grenzen, die Regeln werden von Männern gemacht, aber auch Frauen sind
       daran beteiligt, sie durchzusetzen und zu kontrollieren. Teilweise weil sie
       von den Regeln überzeugt sind. Aber auch weil es ihre Chance ist, selber in
       ihrem Sinne sichtbar zu werden.
       
       Indem sie die Unsichtbarkeit derjenigen, die anders sein wollen, erzwingen.
       Und die strengen Regeln, die in der Öffentlichkeit für die Unsichtbarkeit
       der Frauen sorgen sollen, wirken sich auch auf den privaten Bereich, den
       letzten Hort der Freiheit, aus. Es gibt fortschrittliche Männer im Iran,
       aber weil auch sie ständig kontrolliert werden, wird automatisch auch das
       Privatleben beeinflusst.
       
       ## Öffentliche versus Private
       
       Genau diese Reibung, die Trennung zwischen öffentlichem und Privatleben,
       und der Einfluss, den das Öffentliche auf das Private hat, führen dazu,
       dass viele Frauen im Iran depressiv sind. Es führt zu inneren Konflikten,
       denn es gibt dir das Gefühl von Minderwertigkeit, wenn du dich öffentlich
       nicht als die zeigen kannst, die du bist.
       
       Und wenn du diese Grenzen überschreitest, ist das immer mit Angst
       verbunden. Ich bin als Sängerin auch heimlich in privatem Rahmen
       aufgetreten. Aber es ist sehr schwer, zu entscheiden, wem man vertrauen
       kann. Oft bestehen diese Kreise aus Menschen, die sich schon viele Jahre
       kennen.
       
       Aber wenn man diesen Rahmen nur ein bisschen ausdehnt, muss man befürchten,
       dass sich Spitzel oder Denunzianten unter die Leute mischen, dass man
       verraten und verhaftet wird.
       
       Den Frauentag haben wir auch im Iran gefeiert, aber heimlich, unter
       Freundinnen. Offiziell war das nicht erlaubt. Da feiert man dafür am
       Geburtstag der Tochter oder des Propheten Mohammed. Jetzt organisiere ich
       eine Frauentagsveranstaltung mit anderen Berliner Iranerinnen.
       
       ## Ich trage kein Kopftuch
       
       Äußerlich habe ich mich nicht sehr verändert, seit ich in Deutschland bin.
       Nur dass ich hier das Kopftuch nicht tragen muss. Aber ich habe auch im
       Iran immer so viel von meinen Haaren sehen lassen, wie möglich war. Und ich
       habe kurze Mäntel und oft zu kurze Hosen getragen. Man darf ja kein
       Stückchen Knöchel sehen.
       
       Es ist eine Kunst, sich sichtbar zu machen und dabei so unsichtbar zu
       bleiben, dass man keine Schwierigkeiten bekommt. Ich hatte ständig Ärger
       mit Polizisten, weil ich nicht unsichtbar genug war. Es ist gefährlich,
       nicht unsichtbar zu sein. Aber es war mir ein inneres Bedürfnis. Und es war
       ein Kampf gegen etwas, was wir Frauen nicht akzeptieren wollen. Wenn man
       etwas erreichen möchte, muss man auch ein Risiko eingehen.
       
       Hier fällt mir sehr auf, dass die Menschen, die Frauen hier ohne Stress
       leben. Im Iran hatte man immer Angst. Hier sehe ich das nicht. Wenn ich
       auch noch lange nicht frei von Angst bin: Es passiert mir auf der Straße
       oft, besonders etwa, wenn ich Polizei sehe, dass ich automatisch an meinen
       Kopf greife, um zu kontrollieren, ob das Tuch richtig sitzt.
       
       Wenn ich sehe, dass auch hier Frauen, ohne dazu gezwungen zu sein,
       Kopftücher tragen, frage ich mich, warum sie das tun, aber das muss jede so
       machen können, wie sie möchte, finde ich. Wer im Bikini, auf die Straße
       gehen will, sollte dabei aber auch nicht gestört werden.
       
       Die erzwungene Unsichtbarkeit als Frau im Iran hat mich auch manches
       gelehrt. Ich habe aus lauter Langeweile gelernt, Fische zu züchten, ich bin
       hinter den verschlossenen Türen des Privatlebens eine Expertin in Sachen
       Gartenpflege und Inneneinrichtung geworden.
       
       Hier habe ich das Gefühl, endlich sichtbar werden zu können. Ja, ich habe
       Probleme hier, das Leben in dem Heim mit sieben Frauen aus
       unterschiedlichen Ländern in einem Zimmer ist nicht leicht. Aber trotzdem
       habe ich das Gefühl, hier werde ich so leben können, wie ich möchte,
       schreiben können, wie ich möchte. Ich darf singen, wann und wo ich will.
       
       8 Mar 2013
       
       ## TAGS
       
   DIR Frauenkampftag
   DIR Protokolle
   DIR Schwerpunkt Iran
   DIR Schwerpunkt Iran
   DIR Schwerpunkt Iran
   DIR Feminismus
   DIR Schwerpunkt Feministischer Kampftag
   DIR Frauen
   DIR Frauenkampftag
   DIR Frauenkampftag
   DIR Frauen
   DIR Frauenkampftag
   DIR Frauenkampftag
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Film aus dem Iran über Autofahren: Sogar die Zensur ist ratlos
       
       In „Modest Reception“ schickt Mani Haghighi Mann und Frau mit Beuteln
       voller Geld ins Hinterland. Wer darin eine Allegorie sucht, kommt nicht
       weit.
       
   DIR Iran vor den Wahlen: Ahmadinedschad provoziert
       
       Der Präsident legt sich regelmäßig mit Geistlichkeit an. Anlässlich des
       Neujahrsfestes würdigt er jetzt sogar die vorislamische Geschichte.
       
   DIR Frauenbilder im Fernsehen: Auf Stöckelschuh-Safari
       
       Entweder sind sie Tussis oder sie wuppen Kinder und Karriere mit links:
       Realistische Frauencharaktere im TV? Fehlanzeige.
       
   DIR Unsichtbare Frauen: Immer muss ich mich verstecken
       
       Eva ist eine normale Mutter, Elternsprecherin. Aber es gibt eine
       unsichtbare Seite, das ist ihre Arbeit in einem Bordell. Niemand soll es
       erfahren.
       
   DIR Internationaler Frauentag: Die Unsichtbaren: Ist der Ruf erst ruiniert
       
       Ute H. ist gleich drei mal unsichtbar: drogenabhängig, lesbisch,
       inhaftiert. Selbst im Gefängnis wird sie manchmal übersehen.
       
   DIR Internationaler Frauentag: Die Unsichtbaren: Wir sind den Leuten unangenehm
       
       Im Kittel fühlt sich die Putzfrau Susanne Neumann übersehen. Als
       Gewerkschafterin aber ist sie alles andere als unsichtbar.
       
   DIR Internationaler Frauentag: Die Unsichtbaren: Die Stubenhockerin
       
       Sabine Schreiber hat die Leukämie besiegt. Doch die Krankheit hat tiefe
       Spuren hinterlassen. Sie lebt mit einem Müdigkeitssyndrom.
       
   DIR Internationaler Frauentag: Die Unsichtbaren: Ich wollte Licht, Glück und Reichtum
       
       Carla Has-Salant suchte ein besseres Leben als das in ihrem Heimtland
       Rumänien. Und zog als Arbeitsmigrantin durch Europa.
       
   DIR Internationaler Frauentag: Die Unsichtbaren: Ich sitze in der ersten Reihe
       
       Die Souffleuse: Am Maxim Gorki Theater kennt sie jeder. Doch die Zuschauer
       übersehen Bärbel Kleemann, obwohl sie zwischen ihnen sitzt.
       
   DIR Internationaler Frauentag: Die Unsichtbaren: Ich bin die Sahne auf dem Ganzen
       
       Sie ist die Freundin eines katholischen Priesters, der ohne Familie und
       ohne Sex leben soll. Eine Frau ringt um ihren Platz in einer ungleichen
       Beziehung.