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       # taz.de -- Analyse zum Tod von Hugo Chávez: Eine Führungsfigur – unbestreitbar
       
       > Die Verbesserung Lateinamerikas war sein Ziel und seine Leistung: Welches
       > Erbe tritt die Region nach dem Tod des charismatischen, aber nicht
       > unumstrittenen Chávez an?
       
   IMG Bild: Eine Politik unter Ausschluss der armen Bevölkerungsmehrheit wird nicht mehr machbar sein – Anhänger von Chávez in Caracas.
       
       Wie hältst du es mit Chávez? Seit 14 Jahren war das unter Linken,
       lateinamerikanischen insbesondere, eine Gretchenfrage. Chávez' Wahlsieg
       1998 war der Auftakt zu einer ganzen Reihe von linken Wahlerfolgen in
       Lateinamerika.
       
       In Bolivien, Ecuador, Brasilien, Chile, Argentinien, Uruguay und Paraguay
       kamen in der Folge Regierungen an die Macht, die zwar in Programmatik und
       Politik riesige Unterschiede aufwiesen, die aber eines einte: Eine Abkehr
       vom Neoliberalismus, der im Chile der Militärdiktatur seinen Siegeszug in
       Lateinamerika begonnen, die Staaten der Region an den Rand der
       Handlungsunfähigkeit gebracht und die sozialen Verwerfungen der
       Gesellschaften noch verschärft hatte.
       
       Chávez' Aufstieg in Venezuela ist ohne den „Caracazo“ von 1989, einen vom
       Militär niedergeschlagenen Hungeraufstand mit vielen Toten, nicht zu
       denken. Drei Jahre später startete Chávez seinen Putschversuch und
       scheiterte, aber die Wut über die Politik der damals herrschenden Eliten
       blieb, deren Diskreditierung auch.
       
       Sechs Jahre später gewann Chávez die Wahl, und die 1989 noch unorganisierte
       Unzufriedenheit mit einer Politik, die immer größere Teile der Bevölkerung
       von der Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
       Leben ausschloss, hatte ihre Führungsfigur gefunden. Und eine Führungsfigur
       war der charismatische Hugo Chávez – selbst wenn das vermutlich das einzige
       ist, was niemand bestreiten wird.
       
       Gestützt auf den Ölreichtum Venezuelas begann Chávez mit dem Umbau des
       Landes und dem Aufbau neuer außenpolitischer Allianzen. Seine ostentative
       Nähe zu allen, die von den USA zum Paria erklärt wurden, trieb europäische
       Linke bisweilen in den Wahnsinn. Im Vergleich zu den Umarmungen mit Irans
       Ahmadinedschad und Weißrusslands Lukaschenko war die tiefe Allianz mit der
       kubanischen Führung noch erklärbar.
       
       ## Regionale Allianzen
       
       Chávez polarisierte, im Land und international, die Nuancen verschwanden
       zugunsten unsäglicher Schwarz-Weiß-Malerei, auf beiden Seiten. Chávez und
       die anderen Linksregierungen bildeten regionale Allianzen, eine neues
       Selbstbewusstsein gegenüber den USA. Sein Fernsehprojekt Telesur setzte der
       Dominanz der US-basierten spanischsprachigen Nachrichtensender etwas
       entgegen, seine „Bolivarianische Allianz“ Alba hingegen blieb im
       wesentlichen symbolisch – ihre Attraktivität bestand, etwa für das seit
       2006 wieder vom Altsandinisten Daniel Ortega regierte Nicaragua, im Zugang
       zu verbilligtem venezolanischen Öl.
       
       Chávez' Versuch, eine ausreichend große Anti-US-Allianz aufzubauen, um für
       Venezuela einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erobern, scheiterte 2006
       deutlich – ein Dämpfer. In der Region jedoch bewirkte Chávez Veränderungen,
       die stets als undenkbar galten: Die Unasur, eine interamerikanische Allianz
       ohne die USA, wären ohne Chávez genauso wenig zustande gekommen wie die im
       wesentlichen von Argentinien, Venezuela und Brasilien getragene
       Entwicklungsbank Bancosur.
       
       Chávez hat Lateinamerika verändert, und der politische Druck, der von
       seinem in weiten Teilen Lateinamerikas populären Diskurs ausging, trieb
       auch gemäßigtere Kräfte an, wie etwa die brasilianische PT-Führung, in
       deren Politik von einem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ nicht die Rede
       sein kann.
       
       ## Ölgewinne für Sozialprogramme
       
       Allerdings: Venezuela selbst steht vor großen Herausforderungen, und an
       denen zeigen sich die Versäumnisse des auf seinen Platz in der Geschichte
       bedachten Comandante. Die Inflation liegt bei über 30 Prozent, die
       Lebensmittelpreise steigen, die Ölproduktion schwächelt. Chávez erste große
       Anstrengung hatte um die Jahrtausendwende dem Ziel gegolten, die staatliche
       Ölfirma PDVSA unter Kontrolle zu bringen. Das gelang, aber nicht ohne
       Kosten – 2002 versuchte die Opposition eine Putsch gegen Chávez, im
       gleichen Jahr streikte die Managementfreundliche Gewerkschaft bei PDVSA.
       
       Chávez obsiegte, und die Ölgewinne, die zuvor stets in den Taschen einiger
       weniger verschwunden waren, benutzte er, um seine Sozialprogramme zu
       finanzieren.
       
       Aber mit der alten PDVSA-Führung verschwand auch viel Know-How, die
       Produktion kam nie wieder auf das Niveau von vorher – der hohe Ölpreis
       glich die Verluste aus. Aber Chávez schöpfte ab, was da war. Er versäumte
       es, in die Produktion zu investieren, und heute gelten viele Anlagen als
       veraltet und anfällig. Und: Chávez verteilte zwar die Ölgewinne um, eine
       neues Wirtschaftsmodell aber hielt in Venezuela nicht Einzug. Das Land
       blieb abhängig vom Öl und importiert nahezu alles andere.
       
       Dieses Modell wäre auch mit einem lebenden Präsidenten Chávez bald an seine
       Grenzen gestoßen und hätte Reformen verlangt – die bleiben jetzt als
       Mammutaufgabe für Chávez Nachfolger, und das wird nicht konfliktfrei gehen.
       Wie nachhaltig die politische Bilanz des Hugo Chávez ausfällt, wird erst
       die Geschichte zeigen.
       
       Sicher scheint allerdings, dass eine Politik unter Ausschluss der armen
       Bevölkerungsmehrheit nicht mehr machbar sein wird, darauf verweist selbst
       der Präsidentschaftswahlkampf im vergangenen Jahr, als sogar
       Oppositionsführer Henrique Capriles versichern musste, die Sozialprogramme
       weiterführen zu wollen. Hugo Chávez, autokratisch und mitunter
       selbstverliebt, hat die politische Landschaft Lateinamerikas verändert –
       zum besseren.
       
       6 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Pickert
       
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