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       # taz.de -- Debatte Obama und die Linke: Der neue Obama
       
       > Plötzlich ist der Präsident wieder der Darling der Linken. Jetzt wird
       > sich zeigen, ob eine progressive Regierung auf linke Bewegungen zählen
       > kann.
       
   IMG Bild: Links, wo das Herz ist.
       
       Seit dem fulminanten Wahlsieg von Barack Obama im November, besonders aber
       seit der zweiten Amtseinführung im Januar, ist auf einmal von einem „neuen
       Obama“ die Rede. Schließlich hatte Obama, allen Unkenrufen zum Trotz, auch
       bei seiner Wiederwahl mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten – zwei
       absolute Mehrheiten hintereinander, das hat von den Demokraten zuletzt
       Franklin D. Roosevelt geschafft.
       
       Obama habe aber, darüber sind sich die Kommentatoren einig, auch seine
       Lektion aus der ersten Amtszeit gelernt, als der Enthusiasmus seiner
       Anhänger so schnell einem Katzenjammer gewichen war. Obama formuliert seine
       Reformagenda nun aggressiver. Die neuen Waffengesetze versucht er gegen
       Widerstände durchzuboxen.
       
       In seiner Inaugurationsrede präsentierte er eine Agenda, die mehr
       Gleichheit ins Zentrum stellt: Verteidigung des Sozialstaates,
       Gleichstellung von Lesben und Schwulen, Bürgerrechte, ein progressives
       Einwanderungsrecht, gerechte Chancen für alle. Und er formuliert all das im
       Kontext einer Vision eines gerechteren Landes, in dem der Staat wieder eine
       größere Rolle spielt – Obama will eine Spur hinterlassen, ein auch
       ideologisch verändertes Land.
       
       Der Blockadepolitik der Republikaner, die ihn in der ersten Amtszeit
       ausgebremst hat (und der er mit vielen Zugeständnissen begegnete, die sich
       für ihn nur selten rechneten), will er jetzt mit der öffentlichen Meinung
       zusetzen, mit der Mobilisierung seiner Anhänger. Wenn er seine Gegner im
       Kongress weder zu etwas zwingen noch mit vernünftigen Kompromissangeboten
       ködern kann, so will er wenigstens mit Basisbewegungen Druck erzeugen.
       
       ## Nicht mehr Warmduscher sein
       
       Ob das in der Praxis bessere Ergebnisse zeitigt, wird man schon bald sehen
       – dieser Tage steckte Obama in den mittlerweile beinahe monatlichen
       Verhandlungen über automatische Ausgabenkürzungen fest, und spätestens im
       Mai, wenn das nächste Mal die verfassungsgemäße Schuldenobergrenze erreicht
       ist, wird er mit der republikanischen Erpressungspolitik konfrontiert sein.
       Seine Gegner sind zur Obstruktion entschlossen. Aber Obama will wenigstens
       nicht mehr als Warmduscher dastehen, der sich nicht einmal wehrt.
       
       Mindestens so erstaunlich wie diese Neuerfindung des Präsidenten selbst ist
       die Reaktion des linksliberalen und linken Amerikas. Obama ist plötzlich
       wieder ihr Darling. Bis vor einem Jahr war der Präsident noch unten durch
       bei den Linken, die nur mehr im Deprisound über die „Enttäuschung“ Obama
       sprachen, sodass der seinerzeitige Präsidentensprecher Robert Gibbs in
       einem mittlerweile legendären Wutausbruch schimpfte, die Linken seien
       „Berufsnörgler“, „professionelle Querulanten“ (worauf Michael Moore meinte,
       das wäre das erste Mal, dass die Linken in irgendetwas „professionell“
       wären).
       
       ## Was übersehen wurde
       
       „Liberalism“ (was in amerikanischer Terminologie nur ein verschämtes Wort
       für die Linke ist) war dreißig Jahre lang derart in der Defensive, dass
       kaum mehr ein Politiker wagte, das „L-Wort“ auszusprechen, analysiert
       Hendrik Hertzberg im New Yorker, und diese Defensive „war nicht nur
       terminologisch, sondern auch ideologisch“. Aber nun sähe der Präsident die
       Chance, eine ebenso nachhaltige Tendenzwende hinzukriegen wie Ronald Reagan
       vor dreißig Jahren – nur eben in die andere Richtung. „Obama will die
       Koalition, die ihn gewählt hat, in eine Bewegung verwandeln.“
       
       Obama ist auf nichts anderes aus als auf „eine große, stille
       Transformation“, urteilt auch die New York Review of Books, und diese
       Transformation ist eigentlich schon vier Jahre im Gang – es sei bloß nicht
       aufgefallen, wie tief sie bereits geht. „Diese Transformation hat sich nur
       nicht historisch angefühlt, weil jeder kleine Sieg so schwer erkämpft war
       und weil alle Erfolge durch Kompromisse kompromittiert waren, sodass gar
       nicht immer erkennbar war, wie sehr der Kurs der Geschichte verändert
       wurde.“
       
       Doch nicht nur in den intellektuellen Leibblättern der Linksliberalen hat
       Obama plötzlich eine gute Presse. Auch in den im eigentlichen Sinne linken
       Publikationen kommt der Präsident plötzlich erstaunlich gut weg. Im Magazin
       The Nation wird Obama dafür gelobt, wie er seine „Presidential Power“ für
       progressive Reformen einsetzt, Redakteure und Leser haben gemeinsam eine
       Liste von Maßnahmen erstellt, die er noch durchpeitschen sollte –
       „progressive Ziele für die zweite Amtszeit“. Implizit wird der Präsident in
       den Augen der Linken also als „unser Präsident“ gesehen, den man politisch
       unterstützen, und auf den man gleichzeitig politischen Druck ausüben will.
       
       ## Linkes Anspruchsdenken
       
       Bedenkt man die übliche Bereitschaft weiter Teile des linken Milieus, schon
       vorauseilend anzunehmen, von progressiven Regierungen würde man ohnehin nur
       enttäuscht, dann ist das bei weitem keine Kleinigkeit.
       
       Und sie wirft Fragen auf über das Verhältnis linker Basisbewegungen zu
       moderat-progressiven Regierungen in unserer Zeit. Wer in Regierungsämtern
       sitzt, muss pragmatisch vorgehen, hat mit Widrigkeiten aller Art zu kämpfen
       und kann höchstens einen kleinen Teil von dem durchsetzen, was er
       durchsetzen wollen würde. Reformregierungen dieser Art neigen aber dann
       auch dazu, das Mögliche als das Ideale auszugeben. Wer gibt schon gern zu,
       dass er mehr eben nicht geschafft hat?
       
       Der linken Basis ist das immer zu wenig – oder schlimmer: Sie sieht das als
       im Grunde „praktisch nichts“ an und verfällt in Depression und entrüstete
       Keppelei. Den progressiven Regierungen kommt dann die politische Basis
       abhanden, worauf sie noch viel weniger durchsetzen können und ihre Akteure
       keppeln dann zurück und klagen über die „weltfremden Nörgler“.
       Bewegungsaktivisten brechen auch zu schnell den Stab über Partei- und
       Regierungsakteure, statt zu begreifen, dass es auch vom Grad ihres
       Enthusiasmus und Engagements abhängt, was erreichbar ist.
       
       Zu Beginn der zweiten Amtszeit von Barack Obamas deutet sich zumindest an,
       dass der Präsident aus dieser Logik ausbrechen will. Es wird interessant
       sein zu sehen, ob das gelingen kann. Und zwar nicht nur für die
       amerikanische Linke.
       
       4 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Misik
       
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