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       # taz.de -- Streit um Wohnraum in Berlin: „Klasse statt Masse“
       
       > Am Montag stellt Bausenator Müller einen neuen Stadtentwicklungsplan vor.
       > Er setzt auf Neubau. Das reicht gegen den Mietenanstieg nicht aus, sagt
       > Reiner Wild vom Mieterverein.
       
   IMG Bild: Es braucht viele neue Wohnungen in Berlin...
       
       taz: Herr Wild, waren Sie überrascht, als Sie hörten, dass Berlin im Jahr
       2030 250.000 Einwohner mehr haben soll? 
       
       Reiner Wild: Ich war skeptisch. In der Vergangenheit gingen die
       Bevölkerungsprognosen immer daneben. Über die Geburten und Sterbefälle
       lässt sich eine gewisse Wohnraumnachfrage vorhersehen. Wir wissen aber
       nicht, ob auch in Zukunft mehr Menschen zu- als wegziehen.
       
       Was lässt Sie daran zweifeln? 
       
       Die jungen Leute kamen und kommen nach Berlin, weil es hier vergleichsweise
       günstig ist. Wenn die Mieten weiter steigen, wird der Wanderungsgewinn
       abnehmen.
       
       Am Montag wird Bausenator Michael Müller Eckpunkte des
       Stadtentwicklungsplans Wohnen vorstellen. Jährlich sollen 11.500 Wohnungen
       gebaut werden, fast doppelt so viele als im Koalitionsvertrag vereinbart. 
       
       Diese Zahl ist deutlich zu hoch gegriffen. Und auch nicht realistisch. Die
       meiste Nachfrage gibt es in der Innenstadt, dort steigen die Mieten enorm.
       Die größten Flächenpotentiale gibt es aber außerhalb des S-Bahn-Rings. Ist
       es sinnvoll, dort zu bauen, wenn das eventuell gar nicht nachgefragt wird?
       Zumal bei diesen hohen Neubaumieten?
       
       Was schlagen Sie vor? 
       
       Wenn neu gebaut wird, müsste das vor allem im preisgünstigen Segment
       stattfinden. Das geht aber nicht ohne ein Förderprogramm. Bausenator Müller
       würde gerne 1.000 Wohnungen im Jahr fördern – und selbst da hat er den
       Finanzsenator noch nicht überzeugt. Das ist aber im Vergleich zu den 11.500
       Wohnungen denkbar wenig.
       
       Neubau, Neubau, Neubau – eine sehr sozialdemokratische Antwort auf die
       steigenden Mieten und das Bevölkerungswachstum. Geht es auch anders? 
       
       Wir wollen, dass preiswerter Wohnraum erhalten wird. Dazu gehört der
       Neubau, aber nicht nur. Weil man Investoren nicht so einfach zwingen kann,
       Fördermittel in Anspruch zu nehmen, wird sich das auf die
       Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften konzentrieren.
       
       In München müssen bei Neubauvorhaben ein Drittel preisgünstige Wohnungen
       entstehen. 
       
       Da arbeitet man mit Planungsrecht: Wenn es dieses Drittel nicht gibt, wird
       der Bau nicht genehmigt. Man kann das auch flexibler handhaben. Zum
       Beispiel kann ein Investor außerhalb des S-Bahn-Rings ohne Sozialbindung
       bauen, muss dafür aber innerhalb des S-Bahn-Rings den Bezirken Wohnungen
       für die Belegung von Härtefällen zur Verfügung stellen. Das würde dann auch
       die soziale Mischung in der Innenstadt sichern. Aber Berlin hat da bislang
       wenig Phantasie gezeigt. Da fährt man immer noch die alte Schiene wie
       früher – also Masse statt Klasse.
       
       Im Stadtentwicklungsplan Wohnen ist vom Erhalt der Berliner Mischung die
       Rede. Alles nur schöne Worte? 
       
       Schauen Sie aufs Tempelhofer Feld. Große Blöcke werden da geplant. Warum
       werden die nicht parzelliert? Warum bindet man da nicht unterschiedliche
       Eigentümertypen ein? Das würde Vielfalt bedeuten. Aber nein, man will Masse
       und achtet nicht auf die Qualität.
       
       Ist das nicht zu viel verlangt von einem Stadtentwicklungsplan, der vor
       allem Flächen für Bauvorhaben aufzeigen soll? 
       
       Natürlich kann man in einem solchen Plan nicht festlegen, wer zu welchen
       Bedingungen baut. Aber es muss dargelegt werden, wie man eine weitere
       Vertreibung an den Stadtrand verhindern will.
       
       Ist das überhaupt das politische Ziel des Senats? „Es gibt kein Recht auf
       Wohnen im Prenzlauer Berg“ heißt es in diesem Plan. 
       
       Ich habe da auch meine Zweifel. Mit den Bezirken hat sich der Senat bislang
       nicht an einen Tisch gesetzt. Die Bezirke braucht er aber, wenn über
       städtebauliche Verträge preisgünstige Wohnungen entstehen sollen.
       Schließlich liegt das Planungsrecht bei den Bezirken.
       
       Mit der Internationalen Bauausstellung will der Senat die so genannte
       Außenstadt stärken. 
       
       Ich denke man akzeptiert, dass es Verdrängung gibt und weiter geben wird.
       Also wertet man die Außenräume auf.
       
       An ein Thema traut sich die IBA nicht ran. Das ist der wachsende Verbrauch
       an Wohnfläche. 
       
       Der liegt vor allem daran, dass mehr Menschen als Singles leben. Aber auch
       an den großen Flächen der Eigentumswohnungen. Gleichzeitig beobachten wir,
       dass in den Mietwohnungen die Zahl der Bewohner steigt. Auch da gibt es
       also eine Spaltung auf dem Wohnungsmarkt.
       
       3 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
       ## TAGS
       
   DIR East Side Gallery
   DIR Mieten
       
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