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       # taz.de -- Gutachten zu Forschung und Innovation: „Achillesferse“ der Zukunftsfähigkeit
       
       > Die Ausgaben für Forschung müssen erhöht werden, fordert Merkels
       > Expertenkommission. Auch sei eine Koordinierung in der Energie- und
       > Umweltforschung nötig.
       
   IMG Bild: Ein großer Anteil der Forschungsgelder wird in den Bau des Fusionreaktors Iter im südfranzösischen Cadarache gesteckt.
       
       BERLIN taz | Statistisch steht Innovationsdeutschland recht gut da: Fast
       2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden in Forschung und Entwicklung
       investiert. Das liegt knapp unter dem EU-Ziel von 3 Prozent. Der
       kontinuierliche Anstieg in den letzten Jahren kommt vor allem auch durch
       mehr staatliche Mittel für die Exzellenz-Wissenschaft zustande.
       
       Die [1][Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI)], ein
       Wissenschaftlergremium im Auftrag der Bundesregierung, hält sogar eine
       Steigerung auf 3,5 Prozent bis 2020 für möglich und geboten. So lautet eine
       der zentralen [2][Empfehlungen des neuen Gutachtens], das die Kommission am
       Mittwoch Bundeskanzlerin Merkel überreichte.
       
       Gleichwohl eignet sich die 204-Seiten-Expertise kaum für eine
       regierungsamtliche Erfolgsbilanz im Bundestagswahljahr 2013. „Wir warnen
       vor zu großer Selbstzufriedenheit“, formuliert es EFI-Vorsitzender Dietmar
       Harhoff, Innovationsforscher an der LMU München. Denn im Rückblick auf die
       ablaufende Legislaturperiode sind aus Sicht der Gutachter zu viele
       „wichtige Problemfelder unbearbeitet geblieben und zentrale Reformvorhaben
       gescheitert“.
       
       Die drei wichtigsten Forderungen der EFI-Experten sind das Ende des
       Kooperationsverbotes von Bund und Ländern in der Bildungspolitik, Konzepte
       für die Zeit nach der Exzellenzinitiative und „mehr Frauen an den Spitzen
       von Wirtschaft und Wissenschaft“.
       
       Allein in der Forschungs- und Innovationspolitik führt das EFI-Gutachten
       fünf Baustellen an, auf denen es nicht vorangeht. Bei der
       Wagniskapitalfinanzierung – wichtig für Gründer aus der Wissenschaft – habe
       es „keinen Durchbruch“ gegeben. Auch wenn die Politik dafür sei, scheitere
       die konkrete Verbesserung der Rahmenbedingungen „immer wieder an
       Widerständen innerhalb einiger Ressorts“.
       
       ## Running Gag
       
       Die Forderung nach einer „steuerlichen FuE-Förderung“, wie sie sogar im
       schwarz-gelben Koalitionsvertrag steht, erhebt die EFI-Kommission seit
       Jahren – inzwischen ein Running Gag der Gutachten. In der neuen Ausgabe
       schreiben die Gutachter enttäuscht: „Zur Umsetzung dieser Maßnahme scheint
       der politische Wille zu fehlen.“
       
       Gravierender noch ist die „Korrektur der Föderalismusreform I“ zur besseren
       Kooperation von Bund und Ländern, wozu eine Grundgesetzänderung nötig ist.
       Auch hier Stillstand: „Die Reform und ihr Zuschnitt sind zum politischen
       Spielball der Parteien geworden.“
       
       Auch die Modernisierung des deutschen Bildungssystems komme „nur mühsam
       voran“, obwohl von dieser „Achillesferse“ die Zukunftsfähigkeit des Landes
       abhänge. Zudem stellten die Experten „massive Schwächen in wichtigen
       Bereichen der Spitzentechnologie“ fest, darunter der Informations- und
       Kommunikationstechnik – kurz vor der Cebit ein sachdienlicher Hinweis.
       
       ## Bizarre Zuständigkeiten
       
       Mit einem überraschenden Vorschlag mischen sich die EFI-Gutachter in die
       Debatte über die Energiewende ein. Schon im wissenschaftlichen Vorlauf
       müsse eigentlich aufgeräumt werden. „Die Fragmentierung der Zuständigkeiten
       für die Energieforschung in Deutschland ist bizarr“, wird bemängelt. Auch
       bei der Umsetzung der Energiewende im Bereich der Wirtschafts- und
       Umweltpolitik sei eine „stärkere Koordination und Bündelung“ vonnöten.
       Dennoch empfehlen die Innovationsratgeber nicht die Bildung eines
       vereinigten Energieministeriums.
       
       Begründung: Auch unter dem Dach eines Ressorts könnten „widersprüchliche
       Einschätzungen weiterleben und Friktionen auftreten“. Stattdessen schlägt
       die EFI die Bildung einer „nationalen Plattform für die Energiewende“ vor,
       an der nicht nur die zuständigen Ressorts des Bundes, sondern auch
       Vertreter der Bundesländer und wichtiger Unternehmen mitwirken sollen.
       
       Dass dieser Vorschlag in der verkrachten energiepolitischen Diskussion
       einen Kompromissweg eröffnet, darf bezweifelt werden. Schon die
       Ethikkommission von Klaus Töpfer hatte unmittelbar nach Fukushima mit ihrem
       Vorschlag eines „Gemeinschaftswerks“ politisch für die Energiewende keinen
       Punkt gemacht.
       
       ## „Dicke Bretter“ bohren
       
       Gut ein Viertel ihrer Empfehlungen seit 2008, schätzt
       Kommissionsvorsitzender Harhoff, hat auch die gewünschte Umsetzung in
       Politik und Verwaltung erfahren. Ein weiteres Viertel gehöre zur Rubrik der
       „dicken Bretter“, die – wie die steuerliche Forschungsförderung – immer
       wieder thematisiert und kontinuierlich bearbeitet werden müssen, bis sich
       ein Erfolg einstellt.
       
       Zuweilen bleibt der Erfolg ganz aus. Durchaus kritisch begleitet die EFI
       die Kernfusionsforschung, die sich Deutschland pro Jahr 150 Millionen Euro
       kosten lässt. Nachdem die Kommission schon 2011 ein „schwerwiegendes
       Managementversagen“ beim Bau des Fusionsreaktors Iter bemängelt hatte,
       verlangten die EFI-Experten im vergangenen Jahr, dass „vor dem Hintergrund
       der Energiewende […] die Schwerpunktsetzung im Bereich der Kernfusion
       überprüft werden“ sollte.
       
       Es sei nicht nötig, in Deutschland zwei unterschiedliche
       Technologiekonzepte der Kernfusion (Tokamak und Stellarator) zu verfolgen.
       Auch die nukleare Transmutationsforschung, wie sie am Karlsruher KIT
       betrieben wird, sei auf ihre Relevanz zu prüfen.
       
       ## Gründerboom in Berlin
       
       Innovationspolitik braucht Steuerung, ist das Credo der EFI-Kommission.
       Aber zuweilen kommen Innovationsschübe auch weitgehend ohne staatliche
       Förderung zustande, wie im Gutachten am Beispiel des Internetgründungsbooms
       in Berlin registriert wird.
       
       2011 investierten – überwiegend private – Wagniskapitalgeber 117 Millionen
       Euro in junge Berliner Unternehmen. Zwei Jahre vorher war es nur halb so
       viel. „Keine andere Metropole konnte so viel Kapital für
       Frühphaseninvestitionen anlocken“, stellen die EFI-Experten fest.
       
       Der zentrale Auslöser für den Start-up-Boom in der IT- und Internetbranche
       seien aber nicht die günstigen Fördertöpfe, sondern „soziale und kulturelle
       Faktoren“. Berlin ist hip. „Unklar ist derzeit allerdings“, heißt es im
       Gutachten weiter, „ob diese sehr erfreuliche Entwicklung nachhaltig sein
       wird.“
       
       1 Mar 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.e-fi.de/
   DIR [2] http://www.e-fi.de/fileadmin/Gutachten/EFI_2013_Gutachten_deu.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manfred Ronzheimer
       
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