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       # taz.de -- Verseuchte Dörfer in China: Gefahr erkannt, nicht gebannt
       
       > Die chinesische Regierung räumt erstmals die Existenz von sogenannten
       > Krebsdörfern ein. Den Opfern hilft das aber kaum. Für Fabriken sind neue
       > Auflagen geplant.
       
   IMG Bild: Heftig verschmutzt: Felder neben einer Chemiefabrik im Dorf Dongtan.
       
       PEKING taz | Aizheng Cun ist für die meisten Chinesen schon lange ein
       feststehender Begriff. Allein die chinesische Führung vermied es, ihn zu
       verwenden – zu sehr würde er die Schattenseiten von Chinas
       Wirtschaftsentwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte offenbaren. Cun
       heißt auf Chinesisch Dorf, Aizhen Krebs. Und Krebsdörfer gibt es im ganzen
       Land inzwischen jede Menge. Nun hat Chinas Führung die Existenz von solchen
       Krebsdörfern erstmals zugegeben.
       
       In einem Bericht des chinesischen Umweltschutzministeriums heißt es:
       Giftstoffe und Umweltverschmutzung hätten in den vergangenen Jahren in
       weiten Teilen des Landes eine Trinkwasserkrise verursacht und in einigen
       Regionen sogenannte Krebsdörfer geschaffen. Diese Orte würden stark
       überhöhte Krebsquoten in der Bevölkerung aufweisen.
       
       Die chinesische Führung verspricht, dafür zu sorgen, dass die giftigsten
       Dreckschleudern geschlossen werden. Fabriken, die besonders massiv zur
       Umweltverschmutzung beitragen, sollen zudem dazu verpflichtet werden, in
       eine spezielle Versicherung zur Behebung der größten Umweltschäden
       einzuzahlen. Das ist eine „positive Entwicklung“, sagte Chinas
       prominentester Umweltaktivist Ma Jun im britischen Telegraph. „Vorher gab
       es immer die Tendenz, das Thema herunterzuspielen oder gar zu bestreiten.“
       
       Dongjn ist ein solches Dorf. Gelegen im Nordosten der chinesischen Provinz
       Jiangsu starben innerhalb weniger Jahre mehr als 100 Dorfbewohner an
       schwerem Lungen-, Magen- oder Leberkrebs – bei gerade einmal rund 2.000
       Einwohnern. Dass die hohe Krebsrate im Zusammenhang mit dem nahe gelegenen
       Chemiewerk stehen könnte, bestritt die Lokalregierung stets – auch wenn der
       örtliche Parteisekretär die Einwohner dazu aufforderte, jeden Tag eine
       Lebertablette einzunehmen.
       
       ## Krebsrate in 30 Jahren verfünffacht
       
       Bereits 2009 hatte der chinesische Journalist Deng Fei eine Karte mit den
       am schlimmsten betroffenen Dörfern erstellt und im Internet verbreitet.
       Eine Reihe von weiteren Journalisten und Umweltaktivisten griffen das Thema
       auf und haben die Liste in den vergangenen Jahren ergänzt. Von mindestens
       459 Krebsdörfern berichtet Umweltaktivist Lee Liu.
       
       Der nationale Gesundheitsbericht hatte 2009 immerhin darauf hingewiesen,
       dass die Krebsrate im Land in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen
       ist. Seit Beginn der Wirtschaftsreformen vor 30 Jahren habe sich die Rate
       fast verfünffacht, heißt es in dem Bericht. Lungenkrebs ist mittlerweile
       die häufigste Krebsform in China. Einen unmittelbaren Zusammenhang zur
       steigenden Zahl von Schwer- und Chemiefabriken stellte das
       Gesundheitsministerium aber nicht her.
       
       Auch der jüngste Bericht des chinesischen Umweltministeriums gibt keine
       Auskunft über die genaue Anzahl von Krebsdörfern in China. Immerhin listet
       es jedoch 58 Chemikalien auf, die im Rahmen des aktuellen Fünfjahresplans
       (2011 bis 2015) verstärkt eingedämmt oder künftig ganz verboten werden
       sollen. Bis 2015 will Chinas Führung ein Kontrollsystem eingerichtet haben,
       um die Umweltschäden durch gefährliche Chemikalien in den Griff zu
       bekommen.
       
       Den Menschen in den bereits betroffenen Dörfern ist mit diesen Maßnahmen
       zunächst einmal wenig geholfen. Nicht nur, dass viele von ihnen bereits
       erkrankt sind. Auch von finanziellen Kompensationen ist in dem Papier keine
       Rede. Als einige Bewohner von Dongjin gegen das nahe gelegene Chemiewerk
       auf Schadenersatz klagten und sogar recht bekamen, erhielten sie 70 Yuan,
       umgerechnet 8,50 Euro. Das reicht nicht einmal für eine Monatsration
       Lebertabletten.
       
       25 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Lee
       
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