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       # taz.de -- Roman „Bambi“: Die Welt im Wald
       
       > Vor 90 Jahren erschien Felix Saltens Roman „Bambi“: eine Fabel, aber
       > definitv kein Kinderbuch. Viele Stellen lassen sich als Metapher auf den
       > Ersten Weltkrieg lesen.
       
   IMG Bild: Doch nicht so süß wie bei Disney.
       
       Dass Romanverfilmungen enttäuschen, dass sie die Dinge vereinfachen – das
       kennt man. Umgekehrt kann es positiv überraschen, ein Buch zu lesen, dessen
       Filmversion man vorher kannte.
       
       Im Falle von „Bambi“ wundert man sich vielleicht zunächst, wie man knapp
       200 Seiten brauchen kann, um die Geschichte zu erzählen, die hinter einem
       der bekanntesten Disney-Filme steckt.
       
       Denn der Inhalt des Films von 1942 lässt sich ziemlich knapp
       zusammenfassen: Bambi wird geboren, ist total süß und lernt viele andere
       total süße Tierkinder kennen, verliert seine Mutter, wächst heran, wird
       erwachsen, kriegt total süße Kinder.
       
       Im Prinzip ist das auch der Plot des Romans „Bambi. Eine Lebensgeschichte
       aus dem Walde“ von Felix Salten, einem Österreicher, der eigentlich
       Siegmund Salzmann hieß. Der Roman von 1923 war – in amerikanischer
       Übersetzung – die Grundlage für den Zeichentrickfilm und wurde nun vom
       Zürcher Unionsverlag neu aufgelegt. Er ist eine Fabel, ein Roman, ein
       Märchen – aber ganz sicher: kein Kinderbuch.
       
       ## Poetisch, liebevoll und bildreich
       
       Die Geschichte ist zwar nicht komplizierter als im Film, aber um Längen
       detailreicher. Während der Film mit sehr wenig Gesprochenem auskommt, ist
       im Buch die Sprache beeindruckend: poetisch, liebevoll und bilderreich. Die
       Tiere haben Charaktere, Konflikte, Beziehungen. Und es gibt Todesfälle über
       Todesfälle. Ein Iltis tötet eine Maus, noch bevor Bambis Mutter stirbt.
       Aber schon bald darauf spielt Bambi mit der Mutter auf der Wiese: „Da kam
       die Mutter plötzlich angaloppiert; in einem wunderbaren Rauschen fuhr sie
       daher, ruckte zwei Schritte vor ihm zusammen, duckte sich wie das erste
       Mal, lachte ihn an und rief: ’Fang mich doch!‘ Und im Hui stob sie davon.
       Bambi war verblüfft.“
       
       Höflich und menschlich, wie die Tiere in „Bambi“ sind, siezen sie einander.
       In ihren Gesprächen und Erlebnissen geht es um alle erdenklichen Fragen des
       Lebens: Es geht um Eigentum und Rechte und die Frage, wem der Wald gehört.
       Um Armut und Reichtum, Klassengesellschaft. Liebe, Freundschaft und
       Verwandtschaft. Autorität und Bewunderung, Konkurrenz. Gewalt und
       Misshandlung. Es geht um den Wechsel der Jahreszeiten und der Generationen,
       Alter und Abschied, die ewige Wiederkehr. Es gibt inszenierte Männlichkeit
       par excellence, unbeholfenes Flirten und tief melancholische Dialoge der
       letzten Herbstblätter.
       
       Viele Stellen aus „Bambi“ lassen sich als Metapher auf den Ersten Weltkrieg
       lesen: die anfängliche Euphorie und Aufregung, als der Winter beginnt, –
       dann aber folgen Verletzung und Tod, das Zurücklassen Verwundeter, Mord,
       und viele offene, blutende Wunden. Felix Salten war während des Krieges
       zunächst Blattmacher beim Fremdenblatt, einer propagandistischen Zeitung.
       Doch schon 1917 beschrieb er den Krieg als „Katastrophe“.
       
       Der Mensch wird von den Tieren nur „Er“ genannt, sie verstehen ihn nicht
       und blicken ehrfürchtig und ängstlich, bisweilen auch voller Hass und
       Verachtung auf ihn. Das bleibt auch im zweiten Roman, „Bambis Kinder“ so,
       wenn nun auch der Jäger bisweilen als Retter erscheint. „Bambis Kinder“
       erschien 1940 und beginnt düsterer als das erste Buch.
       
       ## Alleinerziehende Mutter
       
       Bambi ist inzwischen ein erwachsener Rehbock, seine Frau Faline ist
       alleinerziehende Mutter. Die Kinder sind Gurri, das fröhlich-vorlaute und
       unbekümmerte Rehmädchen, und Geno, der scheue und nachdenkliche Junge. Die
       Geschichte ist eigentlich die gleiche wie in „Bambi“: Ein Rehpaar bekommt
       Junge, die am Ende des Buches erwachsen sind.
       
       Auch im zweiten Band wird diese Geschichte so poetisch und abenteuerreich
       erzählt wie im ersten. Diesmal geht es mehr um Familien- und
       Freundschaftsfragen. Faline diskutiert mit dem Waldkauz über Erziehung.
       „Diese Jugend, diese neue Jugend verstehe ich nicht! Die will ich nicht
       verstehen! Diese Jugend versteht sich selber nicht?“, schimpft der Kauz.
       
       Schmerzhafte, tragische Momente, zauberhafte Naturskizzen und die
       unfreiwillige Komik einiger Szenen wechseln sich in „Bambi“ wie in „Bambis
       Kinder“ ab. Tochter Gurri beginnt eine Freundschaft mit dem Uhu, sagt ihm
       aber, dass sie zunächst Furcht und Graus vor ihm empfunden hätte. („Der Uhu
       plusterte sich auf; sein Schnabel knackte laut, seine Augen glänzten
       heiter: ’Gegraust? Soso! Das ist allerdings ein Hindernis für Freundschaft.
       Warum gegraust?‘ ’Sie riechen schlecht‘, gab Gurri unschuldig und offen zu.
       ’Jetzt noch?‘, wollte er wissen. ’Gewiss. Immer.‘“)
       
       Es klingt oft pathetisch, wenn Bücher empfohlen werden, die
       „wiederzuentdecken“ sind. Bei „Bambi“ und „Bambis Kinder“ ist heute, nach
       90 Jahren, eigentlich nichts wiederzuentdecken, sondern die beiden Bände
       sind überhaupt erst einmal zu entdecken. Denn viele haben von der
       Buchvorlage zum Film noch nie gehört. Doch all denen ist bisher sehr viel
       entgangen.
       
       Felix Salten: „Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“. Unionsverlag,
       Zürich 2012, 192 Seiten, 17,95 Euro;
       
       Felix Salten: „Bambis Kinder. Eine Familie im Walde“. Unionsverlag, Zürich
       2013, 280 Seiten, 18,95 Euro
       
       26 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Margarete Stokowski
       
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