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       # taz.de -- Ex-Funktionär über Spitzensport: „Es ist katastrophal“
       
       > Sportsoziologe Eike Emrich über den dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust
       > im deutschen Spitzensport und hausgemachte Probleme.
       
   IMG Bild: "Leistungssport darf man nicht behandeln wie eine Maschinenbaufabrik": erschöpfter Langläufer.
       
       taz: Herr Emrich, Spitzensportler sind depressiv, ausgebrannt, und sie
       manipulieren. Waren Sie von den Ergebnissen der Sporthilfe-Studie
       überrascht? 
       
       Eike Emrich: Nein. Erstens hatte wir mehrfach schon ähnliche Ergebnisse im
       Bereich des Doping ermittelt. Und zweitens hat die Wettbewerbsdichte und
       die Beanspruchung für Athleten in den letzten Jahren deutlich zugenommen.
       Also war anzunehmen, dass auch der Stress zugenommen hat. Und im Gegenzug
       haben sich Betreuungsmaßnahmen und die soziale Absicherung nicht deutlich
       verbessert.
       
       In einer eigenen Studie kommen Sie auf einen Wert von 10,2 Prozent dopenden
       Spitzensportlern. Sie gehen aber von einer Prozentzahl von 30 bis 35
       Prozent aus. 
       
       Ja, das hängt vom Messverfahren ab. Wir wissen ja nicht, inwieweit die
       Antwortverweigerer bei unseren indirekten Messverfahren letztendlich dopen
       oder nicht. Deshalb gehen wir von diesem Intervall zwischen 10,2 und etwa
       35 Prozent aus.
       
       Befragt wurde aktuell auch die Bevölkerung. Sie schätzt den Anteil von
       Dopern auf 28,8 Prozent. Eine Punktlandung? 
       
       Man muss das vorsichtig sehen, weil da im Kern auch viel Ideologie
       wiedergegeben wird. Aber es macht deutlich, wie die Bevölkerung
       mittlerweile die moralische Integrität des Spitzensports beurteilt. Der
       schleichende Glaubwürdigkeitsverlust des Spitzensports ist dramatisch.
       
       Im Mittelpunkt der aktuellen Untersuchung steht der Leistungsdruck, der zum
       Leidensdruck wird. Welche Rolle spielen Medialisierung und
       Kommerzialisierung des Sports? 
       
       Die Rolle des Katalysators, des Problem-Beschleunigers. Der daraus
       resultierende zunehmende Druck druch öffentliche Beobachtung ist das eine.
       Das andere ist ein Selektions-Problem.
       
       Was meinen Sie damit? 
       
       Es werden sehr viele Athleten rekrutiert, von denen nicht alle den
       Erwartungen genügen. Sie füllen oft nur die Kader auf. Diese Sportler sind
       dem Druck besonders ausgeliefert. Das mag Beschäftigung für Verbände und
       Trainer bringen, aber für diese Athleten ist die soziale Situation
       besonders problematisch.
       
       Sind die Probleme hausgemacht? 
       
       Je größer ein Kader ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie
       genau solche Problemfälle drin haben.
       
       Ihre Lösung? 
       
       Noch früher die Empfehlung geben, aus dem Leistungssportsystem
       auszuscheiden, wenn nur wenig Erfolgschancen vorhanden sind.
       
       Die Sporthilfe, Initiator der Studie, hat den Leitgedanken „Leistung,
       Fairplay, Miteinander“. Dieses Motiv wird durch die Ergebnisse der Studie
       ad absurdum geführt. 
       
       Ich würde das differenzieren wollen. Im Spitzensport geht es darum, Rekorde
       und Siege zu produzieren. Gleichzeitig muss der Sport seiner
       Legitimationsfunktion nachkommen. Man muss mit dem Verweis auf höhere Werte
       legitimieren, dass man staatlich subventioniert wird. Dabei kommt es zum
       Auseinanderklaffen von Idee und Betrieb, und es tritt das Problem auf, dass
       die Medaillenfixierung und deren negative Folgen so
       
       dominant werden, dass letztlich die Legitimation gefährdet wird.
       
       Der Sport befindet sich in einer seiner größten Legitimationskrisen. 
       
       Es ist katastrophal. Was verkaufen die Sportverbände? Sie verkaufen
       Spitzenleistungen plus den Glauben an die Regeltreue. Sie verkaufen den
       besonderen moralischen Wert des Sports. Die Spitzenleistung sehe ich, aber
       ob die Leistung sauber erbracht wurde, sehe ich erst, wenn die
       Dopingkontrollen rum sind. Sport ist deshalb besonders vertrauensanfällig.
       Wenn dauerhaft die moralische Integrität gefährdet ist, dann wird auch die
       Nachfrage nach Spitzensport sinken.
       
       Was muss getan werden? 
       
       Man muss akzeptieren, dass Spitzensport eine Mischung von Glücksspiel und
       Berechenbarkeit mit Systemtipp ist. Ein großes investives Risiko. Medaillen
       sind nicht planbar, sie am Fließband wie in einem Betrieb produzieren zu
       wollen, führt zu Symptomen, die wir gerade beklagen. Den Leistungssport
       darf man nicht behandeln wie eine Maschinenbaufabrik. Umdenken ist
       notwendig. Man will auch künftig Kinder für den Leistungssport rekrutieren.
       Aber welche Eltern schicken bei diesen Rahmenbedingungen ihre Kinder noch
       in den Leistungssport?
       
       25 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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