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       # taz.de -- Bahnrad-WM in Minsk: Radeln im Tunnel
       
       > Während in Weißrussland um Medaillen gefahren wird, spricht niemand über
       > Menschenrechte. Präsident Lukaschenko freut sich.
       
   IMG Bild: Kein Blick für die Menschenrechtslage: Deutsche Verfolgerinnen auf der Bahn in Minsk.
       
       BERLIN taz | Es ist ein spektakuläres Comeback. Der gebeutelte Radsport hat
       es mit einer Jubelgeschichte auf Seite eins einer deutschen Tageszeitung
       geschafft. Da feiert die Freie Presse aus Chemnitz die deutschen
       Teamsprinter Stefan Bötticher, Maximilian Levy und René Enders, die bei der
       [1][Bahnrad-WM Gold] für Deutschland geholt hatten. Die Titelkämpfe finden
       gerade in der weißrussischen Hauptstadt Minsk statt. Es sind Jubelspiele
       für Alexander Lukaschenko, den Präsidenten des wegen seiner andauernden
       Menschenrechtsverletzungen weitgehend isolierten Landes.
       
       Doch darüber ist nichts zu lesen in all den Jubelmeldungen über deutsche
       Medaillenerfolge, die der Deutsche Olympische Sportbund via Twitter in die
       Sportwelt posaunt. Für jede gewonnene Medaille bekommt ein deutscher Fan
       ein [2][„exklusives Pflegeset“] von einem deutschen Teamsponsor. Über
       Menschrechte wird nicht gesprochen in diesen Tagen.
       
       Viola von Cramon, die sportpolitische Sprecherin der grünen
       Bundestagsfraktion, wundert das nicht, auch wenn sie es immer wieder
       „interessant“ findet, „wie Sportverbände komplett ausblenden können, in
       welchem politischen und gesellschaftlichen Umständen sportliche
       Großveranstaltungen stattfinden. Wie in einem Tunnel, der direkt im
       Velodrom endet, reisen die Funktionäre mit ihren Sportlern zu den
       Wettkämpfen.“
       
       Der Internationale Radsportverband UCI unterscheidet sich da nicht von
       anderen Sportorganisationen wie der Fifa oder der Uefa. Die hat im
       vergangenen Jahr, als in Deutschland heftig über die Menschenrechte in der
       Ukraine und den Umgang mit der erkrankten, inhaftierten Oppositionsführerin
       Julia Timoschenko diskutiert wurde, keine Fragen über die
       Menschrenrechtssituation im EM-Gastgeberland zugelassen. Und so lobt
       UCI-Präsident Pat McQuaid im klassischen Funktionärssprech der Sport-Oberen
       die weißrussischen Gastgeber über den grünen Klee. „Weißrussland verdient
       höchstes Lob für die Organisation“, sagte McQuaid bei der Eröffnung der WM,
       für deren Organisation das Land offiziellen Angaben zufolge 1,85 Millionen
       Euro gezahlt hat.
       
       ## Werbeträger für Lukaschenko
       
       Für Alleinherrscher wie Lukaschenko stellen Sportgroßereignisse eine Bühne
       dar, auf der er sich im besten Lichte darstellen könne, meint Viola von
       Cramon. Beleuchtet wird diese Bühne von den Sportfunktionären.
       „Weißrussland hat das Recht, diese WM auszurichten“, sagte McQuaid im
       Januar 2012, als die Entscheidung für Minsk als Austragungsort gefallen
       war, und machte sich zum Werbeträger für Alexander Lukaschenko.
       
       Der zeigt sich in der Öffentlichkeit gerne als Sportnarr. Den UCI-Chef
       McQuaid hat der Diktator zu einem Rennen auf dem Holzoval herausgefordert.
       Zu gerne würde er sich seinem Volk als Rennradler zeigen. Die kennen ihren
       Herrscher vor allem als Eishockeyspieler. Vor einer Woche war Lukaschenko
       mit seinem „Präsidententeam“ in Sotschi zu Gast, um in einer der nagelneuen
       Olympiahallen, die für die Spiele 2014 gebaut wurden, gegen ein lokales
       Team Eishockey zu spielen.
       
       Als Eishockey-Fan wird die Sportwelt Lukaschenko im nächsten Jahr zur
       Genüge bewundern können. Die WM 2014 wird in Minsk stattfinden. Der
       [3][weltweite Protest] dagegen, der von Parlamentariern aus der EU und den
       USA getragen wurde, hat den Weltverband IIHF nicht dazu bewegen können, das
       Turnier woanders auszurichten. Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte
       der Bundesregierung im Auswärtigen Amt, der in Sachen Bahn-WM nicht aktiv
       wurde, war vor dem IIHF-Kongress im Mai 2012 auf den Deutschen
       Eishockeybund zugegangen und hat ihn über die Verhältnisse in dem Land
       aufgeklärt. Es blieb bei der Entscheidung für ein Turnier im
       Diktatorenland.
       
       Mit einer Absage an Weißrussland würde man sich „in gewisser Weise aus der
       Verantwortung stehlen“, meinte DEB-Präsident Uwe Harnos seinerzeit der taz
       gegenüber. Es sei besser, wenn Medienvertreter aus der ganzen Welt anreisen
       und über das Land berichten würden. Viola von Cramon kennt diese Argumente.
       Für sie sind das Ausflüchte. Sie glaubt an die Macht des Sports. „Politisch
       ist das Land doch schon lange isoliert. Der Sport kann hier richtig etwas
       bewegen“, sagt sie. Die Sportdachverbände müssten bei der Vergabe von
       Großereignissen auch Forderungen nach politischen Veränderungen stellen.
       Den Zuschlag erhielte nur, wer diese Bedingungen erfüllt. Im Fall
       Weißrussland ist Viola von Cramon beinahe sicher: „Wir hätten ein paar
       politische Häftlinge freibekommen.“
       
       23 Feb 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.minsk2013.by/en
   DIR [2] http://www.dosb.de/de/olympia/olympische-news/detail/news/wir_fuer_deutschland_und_procter_gamble_starten_fan_aktion/
   DIR [3] http://www.minsk2014.no/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
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