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       # taz.de -- Debatte Ziviler Ungehorsam: Freiwillig oder gar nicht
       
       > Ziviler Ungehorsam ist eine freiwillige Angelegenheit. Daher fördert es
       > ihn nicht, wenn Attac dazu aufruft. Eine Erwiderung auf Peter Grottian.
       
   IMG Bild: Sie haben sich ohne Aufforderung von Attac entschlossen zu blockieren: TeilnehmerInnen der Blockupy-Proteste.
       
       Ziviler Ungehorsam hat in der Geschichte der sozialen Bewegungen eine
       wichtige Rolle gespielt. Mit bewussten Regelbrüchen gelang es immer wieder,
       Diskussionen zuzuspitzen oder in den öffentlichen Fokus zu rücken.
       Besonders bekannt wurden Aktionen der Friedensbewegung, der
       Anti-Atom-Bewegung oder gegen Gentechnik in der Landwirtschaft. Auch
       GlobalisierungskritikerInnen haben gewaltfrei Polizeiketten überwunden und
       beeindruckende Zeichen gesetzt – besonders sichtbar beim G-8-Gipfel in
       Heiligendamm 2007 und zuletzt bei den Blockupy-Aktionstagen 2012 in
       Frankfurt.
       
       Irritierend ist allerdings Peter Grottians unbedingter Glaube an Zivilen
       Ungehorsam als Rezept für jede politisch unbefriedigende Situation
       ([1][siehe sein Beitrag vom 16. 2. 2012]). In keiner seiner Veranstaltungen
       und in keinem seiner Artikel fehlt der Appell, mittels Zivilem Ungehorsam
       „denen endlich weh zu tun“. Aber trifft er damit den Punkt?
       
       Uns scheint, dass Peter Grottian unabdingbare Voraussetzungen für
       erfolgreichen Zivilen Ungehorsam nicht wahrhaben will. Das A und O dieser
       offensiven Protestform sind die Menschen, die ihn betreiben. Sie müssen
       individuell davon überzeugt sein, dass die Zeit für einen solchen Schritt
       reif ist. Es zeugt von einem seltsamen Geschichtsverständnis, so zu tun,
       als wären nahezu alle gesellschaftlichen Konflikte für eine solche
       Auseinandersetzung geeignet. Noch schwerer wiegt, dass es Ausdruck eines
       autoritären Politikverständnisses wäre, Zivilen Ungehorsam quasi von oben
       anordnen zu wollen – und nichts anders wäre es, riefen ein paar
       vermeintliche Attac-„Obere“ zu Zivilem Ungehorsam auf in der Erwartung, die
       Massen würden dann schon folgen.
       
       ## Die Bereitschaft, vor Gericht zu stehen
       
       Regelbrüche erfordern eine besonders gute Kommunikation und wirken dann am
       besten, wenn sie als „direkte Aktion“ verstanden werden können: Menschen,
       die sich vor Atomtransporten an Gleise ketten oder die bereit sind, vor
       Gericht zu stehen, weil sie Genmais am Blühen hindern, können ihre
       Motivation überzeugend darlegen. Auch die großen Sitzblockaden in
       Heiligendamm wurden von einer breiten Öffentlichkeit verstanden.
       
       Jahrzehnte sozialer Bewegungen zeigen aber auch: Ziviler Ungehorsam kann
       ins Leere laufen, wenn der Zeitpunkt falsch gewählt ist. Zivilen Ungehorsam
       stimmig einzusetzen, wird schwieriger, je komplexer ein Konflikt und je
       differenzierter die Forderungen sind. In den südeuropäischen Ländern hat
       die so genannte Eurokrise ein konkretes Gesicht in den Existenzproblemen
       des täglichen Lebens. Hier in Deutschland nehmen zwar viele Menschen die
       Krise als Bedrohung wahr, sie bestimmt aber (noch) nicht den Alltag. Zudem
       machen viele Deutsche – befördert durch die Rhetorik nicht nur der
       Bundeskanzlerin und der Bild-Zeitung – „die faulen Südeuropäer“ für die
       Krise verantwortlich. Dem ist entschieden zu widersprechen: mit
       Aufklärungsarbeit, öffentlichkeitswirksamen Aktionen,
       „familienfreundlichen“ Demonstrationen und – wo es passt – auch mit Zivilem
       Ungehorsam.
       
       ## Professor mit Schokopistole
       
       Peter Grottian wirft in seinem Plädoyer denn auch einiges durcheinander.
       Eine Fotoaktion (der Misthaufen vor dem Bundestag) taugt nicht als Beweis
       dafür, dass eine Organisation „die Hosen voll“ hat. Ob die für ihn
       enttäuschende Resonanz auf seine Appelle daran liegt, dass manche seiner
       Vorschläge an realen Entwicklungen vorbeigehen oder gar im Gegensatz zu
       gemeinsam entwickelten Positionen stehen – entscheidend ist: Die
       Beteiligung an einer Aktion des Zivilen Ungehorsams ist eine individuelle
       Entscheidung, die nicht verordnet werden kann.
       
       Diejenigen, die sich bewusst für regelübertretende Aktionen entscheiden,
       benötigen keinen Attac-Koordinierungskreis, der ihnen sagt, wo es langgeht
       – und umgekehrt verüben diejenigen, die Zivilen Ungehorsam für sich (noch)
       nicht als passende Aktionsform sehen, nicht unbedingt einen Banküberfall
       mit Schokoladenpistole, weil ein Professor dazu aufruft.
       
       Peter Grottian will Zivilen Ungehorsam in Reichenviertel tragen. Er selbst
       hat vor einigen Jahren – zum Glück – etwas anderes getan: Der
       Grunewald-Spaziergang durch das Berliner Villenviertel war eine mögliche
       Form, das Auseinanderklaffen von Arm und Reich sichtbar zu machen. Ziviler
       Ungehorsam waren sie nicht. Spaziergänge und Demonstrationen sind in
       Deutschland erlaubt. Blockaden, Demontagen oder Besetzungen hingegen können
       in Wohnvierteln böse nach hinten losgehen. Aktionen, die von den dort
       lebenden Familien als Bedrohung erlebt würden, wären kein Ziviler
       Ungehorsam mehr. Angst- und Hass-Kampagnen gegen Reiche verbieten sich auch
       aus historischen Gründen.
       
       ## Solidarität aus Deutschland
       
       Die Blockupy-Proteste im vergangenen Jahr richteten sich vor allem gegen
       die autoritäre Sparpolitik der Troika aus Regierungen, IWF und Europäischer
       Zentralbank. Sie waren bewusst ein Ausdruck der Solidarität aus Deutschland
       mit den Menschen in den Krisenländern. An der Abschlussdemonstration
       beteiligten sich 30.000 Menschen, darunter mehr als 3.000 aus Südeuropa.
       Auch Blockupy 2013 stellt sich in diesen internationalen Zusammenhang.
       Deshalb ist das Festhalten an der EZB und damit Frankfurt als Aktionsort
       konsequent und richtig.
       
       Es ist Konsens in Attac, dass sich viele Attac-AktivistInnen an Aktionen
       Zivilen Ungehorsams beteiligen und sich dabei auch als dem Netzwerk
       zugehörig bezeichnen können. Attac als Organisation hat jedoch nie zu
       Zivilem Ungehorsam aufgerufen. Wer sich für offensive Protestaktionen
       interessiert, trifft dennoch fast immer Attacies: auf Castorgleisen, auf
       Anti-Nazi-Demos oder auf Großbaustellen. Und nicht zuletzt im Frankfurter
       Bankenviertel.
       
       21 Feb 2013
       
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