URI: 
       # taz.de -- Umstrittenes Betreuungsgeld: Hamburg klagt gegen Prämie
       
       > Kaum in Kraft, schon wird es beim Bundesverfassungsgericht moniert: das
       > Betreuungsgeld. Der SPD-regierte Stadtstaat Hamburg klagt.
       
   IMG Bild: Zur Kita oder nach Hause?
       
       FREIBURG taz | Das SPD-regierte Land Hamburg klagt gegen die Einführung des
       Betreuungsgeldes. An diesem Mittwoch reichte der Stadtstaat seine
       46-seitige Klageschrift beim Bundesverfassungsgericht ein. Das Gericht wird
       vermutlich erst einmal abwarten, ob das Gesetz nach der Bundestagswahl
       überhaupt bestehen bleibt.
       
       Ab 1. August sollen Eltern, die ihr Kleinkind nicht in eine staatliche
       subventionierte Kita oder Pflegestelle geben, ein neu eingeführtes
       Betreuungsgeld erhalten. Zunächst werden monatlich 100 Euro pro Kind
       bezahlt, ab 2014 sind es 150 Euro. Der Anspruch bezieht sich auf alle
       Kinder zwischen einem und drei Jahren. Bei Hartz-IV-Beziehern wird das
       Betreuungsgeld allerdings verrechnet, so dass es hier keine Wirkung
       entfalten kann.
       
       Die schwarz-gelbe Koalition hatte das Betreuungsgeld schon im November 2012
       im Bundestag beschlossen, vor allem auf Druck der CSU, die damit
       traditionelle Hausfrauen-Ehen anerkennen und unterstützen will.
       Bundespräsident Joachim Gauck unterzeichnete das Gesetz aber erst vorigen
       Freitag, wobei er verfassungsrechtliche Zweifel äußerte. Diesen Mittwoch
       wurde das Gesetz nun im Bundesgesetzblatt veröffentlicht – und postwendend
       reichte die Hansestadt ihre lange angekündigte Klage ein.
       
       ## Gesetzgebungskompetenz überschritten
       
       Im Mittelpunkt der Klageschrift, die der taz vorliegt, steht der Vorwurf,
       dass der Bundestag das Gesetz mangels Kompetenz gar nicht beschließen
       durfte. Der Bundestag hatte sich auf seine Zuständigkeit für Gesetze über
       die „öffentliche Fürsorge“ berufen. Das halten die Rechtsprofessoren
       Margarete Schuler-Harms und Arndt Schmehl, die den Hamburger Schriftsatz
       formuliert haben, aber nicht für überzeugend. Fürsorge müsse an einer
       Hilfsbedürftigkeit ansetzen. Das sei hier aber nicht gegeben, denn das
       Betreuungsgeld werde unabhängig vom Einkommen der Eltern gewährt. Der bloße
       Ausgleich von Subventionen für Kitas durch Zahlungen an privat betreuende
       Eltern sei keine Fürsorge.
       
       Der Bund konterkariere sogar die Fürsorge der Länder, wenn er den Verzicht
       auf eine hochwertige Kinderbetreuung auch noch belohne. Eltern, die ihr
       Kind in eine staatliche Kita schickten, müssten ab 2014 immerhin auf
       jährlich 1.800 Euro Betreuungsgeld verzichten.
       
       Sollte das Verfassungsgericht das Betreuungsgeld doch als Fürsorge
       einstufen, dann müsste das Bundesgesetz aber „erforderlich“ sein, um
       gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen (Artikel 72
       Grundgesetz). Eine solche Erforderlichkeit können die Professoren nicht
       erkennen. Zwar gebe es regional unterschiedliche Wertschätzungen für
       private Kinderbetreuung, doch müsse dies im Föderalismus hingenommen
       werden. Bisher hätten die (dem Betreuungsgeld ähnlichen)
       Landeserziehungsgelder in Thüringen, Sachsen und Bayern jedenfalls noch
       nicht zu „merklichen Auswirkungen auf die Gleichwertigkeit der
       Lebensverhältnisse“ geführt.
       
       Neben der fehlenden Gesetzgebungskompetenz rügt Hamburg aber auch den
       Inhalt des Gesetzes. So verstoße die Förderung der Privatbetreuung von
       Kindern unter anderem gegen das grundgesetzliche Gebot, die
       Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen. Letztlich seien es
       überwiegend Frauen, die damit ermuntert würden, ihre Erwerbsarbeit
       zeitweise aufzugeben. Das verfestige Rollenbilder.
       
       Die Hamburger Klage, die von Justizsenatorin Jana Schiedek und
       Sozialsenator Detlef Scheele vorgestellt wurde, hat keine aufschiebende
       Wirkung. Das heißt, das Gesetz wird im August erst einmal in Kraft treten.
       Hamburg hat keinen Antrag auf eine einstweilige Anordnung gestellt, um dies
       zu verhindern.
       
       20 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
       ## TAGS
       
   DIR Herdprämie
   DIR Betreuungsgeld
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR Betreuungsgeld
   DIR Betreuungsgeld
   DIR Betreuungsgeld
   DIR Koalition
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Klage gegen Betreuungsgeld: Schwesig gegen Schwesig
       
       In dieser Woche verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die
       Herdprämie. Das Familienministerium ist der Beklagte.
       
   DIR Erziehung zu Hause: Betreuungsgeld kaum nachgefragt
       
       Jahrelang tobte der Streit ums Betreuungsgeld. Am 1. August soll zum ersten
       Mal gezahlt werden. Aber die Antragszahlen sind gering.
       
   DIR Rot-grüne Mehrheit im Bundesrat: Gabriel will Herdprämie stoppen
       
       „Nichts ist in der Politik endgültig abgeschlossen“, weiß Sigmar Gabriel –
       und hat nach dem rot-grünen Wahlsieg in Niedersachsen dem Betreuungsgeld
       erneut den Kampf angesagt.
       
   DIR Betreuungsgeld beschlossen: Schwachsinniges Gesetz
       
       Nach einer langen Debatte hat Schwarz-Gelb das Betreuungsgeld im Bundestag
       beschlossen. SPD-Politiker Steinbrück findet die Entscheidung
       „schwachsinnig“.
       
   DIR Einführung von Betreuungsgeld: Was von Norwegen zu lernen ist
       
       Norwegen hat schon ein Jahrzehnt Erfahrung mit der Herdprämie. Weil sie
       sich negativ auf Gleichstellung und Integration auswirkte, wurde sie dort
       eingekürzt.
       
   DIR Einführung des Betreuungsgeldes: Kritik von innen, Kritik von außen
       
       Das Betreuungsgeld bleibt unbeliebt – innerhalb und außerhalb der
       schwarz-gelben Koalition. Die Grünen wollen es nach einem Regierungswechsel
       wieder abschaffen.
       
   DIR Kommentar Koalitionsnacht: Betreutes Regieren
       
       Die Koalition bewegt sich mit ihren Beschlüssen in einem Paralleluniversum.
       „Lebensleistungsrente“ ist in ihrer derzeitigen Schwammigkeit der blanke
       Hohn.