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       # taz.de -- Zwangsräumung in Berlin-Kreuzberg: Polizei hat Fasching gespielt
       
       > Berlins Polizeipräsident bezeichnet den Großeinsatz für die Räumung einer
       > Mietswohnung als angemessen. Und die Opposition kritisiert die
       > Verkleidung der Gerichtsvollzieherin.
       
   IMG Bild: Post-Faschingsball: Verkleidungszwang herrschte nur auf einer Seite
       
       BERLIN taz | Die Zwangsräumung der Familie Gülbol könnte für die Polizei
       ein Nachspiel haben. „Missbrauch von Uniformen“ lautet der Vorwurf. Die
       Grünen haben Strafanzeige erstattet. „Der Fasching war schon zwei Tage
       vorbei“, so die Begründung des Abgeordneten Dirk Behrendt.
       
       Polizisten hatten eine Gerichtsvollzieherin am vergangenen Donnerstag mit
       einer schwarzen Polizeimütze und einer Dienstjacke verkleidet, damit sie
       von Protestierern unbehelligt bei den Gülbols den Raumungstitel
       vollstrecken konnte. „Wir nennen das taktische List“, gab Polizeipräsident
       Klaus Kandt am Montag im Innenausschuss freimütig zu.
       
       Den Tag, an dem eine fünfköpfige Familie in Kreuzberg nach langem
       Rechtsstreit ihre Wohnung verlor, bilanzierte der Polizeipräsident so: 815
       Beamte und ein Hubschrauber waren im Einsatz. 250 Demonstranten
       protestierten vor dem Haus in der Lausitzerstraße 8 und Umgebung gegen die
       Räumung. 75 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, 52 Flaschen mit
       undefinierbarer Flüssigkeit gefunden. Laut Kandt könnten das Brandsätze
       sein, die Untersuchung sei aber noch nicht abgeschlossen. Vier Autos wurden
       in Brand gesetzt, Ampeln demoliert. „Dezentrale Personengrupppen und
       Spontanaufzüge“ hielten die Polizei am Donnerstag und noch einmal am
       Samstag bei einer weiteren Demonstration in Atem.
       
       ## Mit Symbolcharakter
       
       Die Räumung der Wohnung der Gülbols habe Symbolcharakter, da sie für einen
       Ausdruck der Gentrifizierung gehalten werde, erkannte Kandt. Das Vorgehen
       der Polizei verteidigte er als verhältnismäßig. „Der Einsatz der Mittel hat
       sich auf das erforderliche Maß beschränkt.“ Er sprach von einer Räumung,
       die „eingebettet ist in eine extremistische Szene“.
       
       Grünen, Linke und Piraten sind da ganz anderer Meinung. Er sei froh, dass
       Leute gegen die Mietenentwicklung protestieren, sagte der grüne Abgeordnete
       Behrendt. Der Eigentümer des Hauses sei ein „stadtbekannter Spekulant“, der
       die Mieter der Wohnungen vom ersten Tag an „schikaniert“ habe. Er habe nun
       „bedauerlicherweise“ recht bekommen. Der Pirat Oliver Höfinghoff ergänzte:
       „Ziviler Ungehorsam wäre nicht nötig, wenn die Mieten bezahlbar wären.“
       
       Proteste dieser Art würden in Zukunft zunehmen, sagte Behrendt voraus.
       Vielleicht gingen das nächste Mal 2.000 oder gar 10.000 Leute auf die
       Straße. Ob dann drei Hubschrauber eingesetzt würden, fragte er in den Raum.
       Und direkt an den Polizeipräsidenten und Staatsekretär Bernd Krömer (CDU)
       gewandt: „Sehen Sie eine Grenze, was die Verhältnismäßigkeit angeht?“ Doch
       Krömer, der im Ausschuss den abwesenden Innensenator Frank Henkel vertrat,
       fläzte sich gelangweilt auf dem Stuhl. Er hörte die Frage gar nicht. Der
       Ausschussvorsitzende musste sie für ihn wiederholen. Räumungen fänden in
       der Regel ohne Polizeieinsätze statt, lautete schließlich seine Antwort.
       
       Aber es war nicht nur die Dimension des Einsatzes, die im Innenausschuss
       Fragen aufwarf. Auch das Vorgehen bei der Räumung selbst. Allen voran die
       Camouflage der Gerichtsvollzieherin. Laut Gesetz dürfen nur Polizisten
       Polizeiuniform tragen. Der Missbrauch wird laut §132a Strafgesetzbuch mit
       einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. „Eine
       Gerichtsvollzieherin ist definitiv keine Polizistin“, sagte Dirk Behrendt.
       Er hält das Vorgehen für eklatant rechtswidrig.
       
       Polizeipräsident Klaus Kandt sagte dagegen, die Verkleidung der Frau sei
       nötig gewesen, um sie vor den Räumungsgegnern zu schützen. Bei einem ersten
       Räumungsversuch im Oktober sei das Haus blockiert worden. Man habe die
       Maßnahme abbrechen müssen. Name und Gesicht der Frau seien seither in der
       linken Szene bekannt.
       
       Kandt verteidigte das Vorgehen als rechtmäßig. Er sprach auch nicht von
       Verkleidung, sondern von „Verwandlung“. Außerdem habe es sich nicht um eine
       ganze Uniform, sondern nur um einzelne Teile gehandelt. „Es ging nicht
       darum, der Gerichtsvollzieherin eine Uniform zu verpassen, damit sie durch
       die Stadt läuft und Polizei spielt.“
       
       18 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Plutonia Plarre
   DIR Plutonia Plarre
       
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