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       # taz.de -- Naziaufmarsch in Dresden: Schneebälle gegen rechts
       
       > 4.000 Menschen schafften es, den Nazi-Aufmarsch in Dresden beträchtlich
       > zu stören. Selbst die Polizei zog ein positives Fazit.
       
   IMG Bild: Nicht mal Hitler wäre hier durchgekommen: Blockade in Dresden
       
       DRESDEN taz | Am Ende, gegen halb elf Uhr abends, sind die Nazis auf der
       Parkstraße auf die Unterstützung der Blockierer angewiesen. Die Fackeln
       sind abgebrannt, die schwarz-weiß-roten-Fahnen hängen schief. Zurück zum
       Bahnhof können mehr als 200 Teilnehmer des vermeintlichen Trauermarsches
       nur ziehen, weil ihnen die Gegendemonstranten Platz machen.
       
       Sehr eng standen sie sich stundenlang getrennt von einer Polizeikette
       gegenüber. Doch während bei den Rechtsextremen nach und nach die Stimmung
       sank, stieg sie bei den Blockierern. Sie tanzen und sangen „Ein Schrei nach
       Liebe“ von den Ärzten: „Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach
       Liiiiieeebe. Deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit.“
       
       Verbittert und verärgert harrten die Rechten weiter aus. Der NPD-Bundesvize
       Udo Pastörs schimpfte über die „Freiheitsberaubung“ und den „roten Rotz“
       vor und hinter ihnen auf der Straße. Den angestrebten heroische Habitus
       konnten die Nazis nicht durchhalten. Sie versuchten, die Polizeikette zu
       durchbrechen und wurden mit Pfefferspray gestoppt. Auf dem Weg zum Bahnhof
       grölen sie dann noch: „Die Straße frei der nationalen Jugend“.
       
       Zu diesem Zeitpunkt sind die rund 500 Rechtsextremen, die am Hauptbahnhof
       angekommen waren, längst wieder auf dem Rückweg. Seit 17.30 Uhr standen sie
       am Bahnhof – und kamen von dort nicht weg. Hunderte Protestierende standen
       ihnen gegenüber, anfänglich nur von einer Polizeikette getrennt. „Nazis
       raus“ und „Haut ab“ schallte ihnen entgegen. Von beiden Seiten flogen ein
       paar Knaller.
       
       ## Menschenkette mit 10.000 Teilnehmern
       
       Der 13. Februar 2013, der 68. Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch
       die Alliierten, er wurde für die Rechten durch die Blockaden eine
       Niederlage. Sie haben den „Kampf auf der Straße“ gesucht und sie
       scheiterten. Rund 4.000 Menschen schafften es im vierten Jahr in Folge, den
       Nazi-Aufmarsch, der einmal der größte Europas war, beträchtlich zu stören.
       Die Anziehungskraft für Rechtsextreme, nach Dresden zu fahren, dürfte
       weiter schwinden.
       
       Das liegt weniger am offiziellen Protest. Die seit 2010 von der Stadt
       initiierte und vom Universitätsrektor angemeldete Menschenkette um die
       Innenstadt erfuhr in diesem Jahr geringere Resonanz. Die Stadt selbst gibt
       die Teilnehmerzahl auf der 3,6 Kilometer langen Strecke mit 10.000 an.
       Anders als in den vergangenen drei Jahren war die Menschenkette
       stellenweise nicht geschlossen.
       
       Auf dem Dresdner Heidefriedhof waren die ersten Besucher der beiden
       Gedenkstätten wie schon im Vorjahr Funktionäre der NPD. Seit der Änderung
       des Gedenkrituals gibt es für sie keine Chance mehr, sich mit eigenen
       Kränzen unter die Dresdner und die Spitzenpolitiker von Stadt und Land zu
       mischen. Also legten sie ihre Gebinde schon am Vormittag nieder.
       
       ## Dresdener Gedenkkultur
       
       Als die Ehrengäste 15 Uhr eintrafen, war davon nichts mehr zu sehen. Eine
       schlichte weiße Rose legten Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und
       andere Politiker nieder. Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) erinnerte an
       konkrete Schicksale der Bombennacht und plädierte für ein mahnendes
       Wachhalten dieser Erinnerungen. „Es ist unerträglich, dass
       Rechtsextremisten aller Art versuchen, unser Gedenken an die Zerstörung
       unserer Stadt zu missbrauchen für ihre Hass- und Rachefeldzüge", sagte sie.
       
       Das Gedenkritual wurde lediglich zu Beginn von einem einzelnen
       Demonstranten gestört, der einen Zettel mit der Aufschrift „Gedenken
       abschaffen" hochhielt. Der junge Mann wurde von zivilen Ordnungskräften
       abgedrängt und niedergerungen. Unter dem gleichen Titel erschien jüngst ein
       Buch mehrerer AutorInnen, das sich sehr kritisch mit der Dresdner
       Gedenkkultur auseinandersetzt.
       
       Dass die Nazis keine Freude an ihrem Aufmarsch hatten, liegt in erster
       Linie an jenen, die ihre Route blockierten. Auch wenn in diesem Jahr nicht
       groß bundesweit mobilisiert wurde, bekamen die Dresdner dabei Unterstützung
       aus anderen Bundesländern.
       
       Über die Naziroute, deren Anmarschwege und deren angestrebten
       Kundgebungsort herrschte lange Zeit auch beim Bündnis Dresden Nazifrei
       Verwirrung. Es bestätigte sich aber bald das Gerücht, dass neben der Gruppe
       am Hauptbahnhof eine andere vom Bahnhof Dresden-Strehlen aus die Innenstadt
       erreichen wollte.
       
       ## Kein Hubschrauber im Einsatz
       
       Eine wachsende Zahl von Gegendemonstranten verfolgt die von einem relativ
       schwachen Polizeikordon geschützte Gruppe. Auf der Parkstraße in der Nähe
       des Dynamo-Stadions kommt der Zug endgültig zum Stehen, weil sich ihm aus
       Richtung Bahnhof und Innenstadt etwa 2000 überwiegend junge Leute
       entgegenstellt. Auf die eingekesselten Nazis und ihre schwarzen Schirme
       hagelt es Schneebälle. Die mit ihnen quasi eingekesselten Polizisten
       versuchen nicht, die Situation gewaltsam aufzubrechen. Ungleich stärkere
       Polizeikräfte und Wasserwerfer verharren indessen untätig entlang der
       offensichtlich geplanten Marschstrecke Richtung Sachsenplatz.
       
       Auch wenn sie im Laufe des Abends vereinzelt auch Pfefferspray einsetzten,
       schienen die insgesamt rund 3000 Polizisten bemüht, freundlich und defensiv
       mit den Gegendemonstranten umzugehen. Um eine Provokation zu vermeiden,
       verzichtete die Polizei in diesem Jahr auch auf einen Hubschrauber.
       
       Die eingekesselte Nazi-Gruppe auf der Parkstraße hält schließlich eine
       provisorische Kundgebung ab. Das Gebrüll des Redners geht allerdings in
       einer Geräuschkulisse aus Trillerpfeifen, Buh-Rufen und „Halt die
       Fresse“-Sprechchören unter. Die „Trauermusik“ kollidiert auf groteske Weise
       mit dem Groove aus Lautsprecherwagen der Blockierer.
       
       Aus dem blauen Lautsprecherwagen der JG Stadtmitte aus Jena erklingen die
       Rolling Stones mit „Street Fighting Man“. Am Mikrofon sitzt Jugendpfarrer
       Lothar König, er muss sich ab dem 19. März in Dresden vor Gericht
       verantworten, weil er vor zwei Jahren auf der Dresdner Antinazi-Demo zu
       Gewalt aufgerufen haben soll. Trotzdem ist er jetzt da. Und betont lieber
       einmal zu viel, dass doch bitte schön alles gewaltfrei bleiben soll.
       
       ## Vegane Linsensuppe und warmer Tee
       
       Und das passierte auch weitgehend. Laut Thomas Geithner, Pressesprecher der
       Polizeidirektion Dresden, gab es insgesamt nur vier vorläufige Festnahmen.
       „Der Abend verlief im Großen und Ganzen friedlich“, so sein Fazit.
       
       Viele Blockierer bekommen nicht einmal die rechtsextremen Demonstranten zu
       Gesicht. An einem der Blockadepunkte fragt ein Mädchen im Schneeanzug
       quängelnd seinen Vater: „Und kommen hier die Nazis vorbei?“. Da kommt aus
       dem Lautsprecher die Empfehlung, in jedem Fall hierzubleiben, um
       Ausweichrouten zu verhindern. Es gibt vegane Linsensuppe und warmen Tee.
       
       Als eine der Gruppen dann doch weiterzieht zu einer anderen Kreuzung, steht
       ein älterer Herr mit Baskenmütze an der Ampel und schaut den Demonstranten
       nach. Es sei wichtig, sich den Nazis in den Weg zu stellen, sagt er, der
       den Krieg noch miterlebt hat. Als der Mann neben ihm meint, das bringe doch
       nichts und sie sollten die Blockaden besser sein lassen, wird er grantig.
       „Sie machen das doch friedlich“, sagt er, „nicht wie wir damals mit der
       Knarre in der Hand.“
       
       14 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
   DIR Sebastian Erb
   DIR Andreas Speit
       
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