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       # taz.de -- Die Wahrheit: Oh, du lieber August Diehl
       
       > Deutschlands Gangster-Schauspieler Nummer eins rollt auch im Jahr 2013
       > mit seinen finsteren Augen. Ein Wahrheit-Porträt.
       
   IMG Bild: Meisterlich guckt August Diehl finster um die Ecke.
       
       Markant, männlich, sicher keine Schönheit, aber charaktervoll und auf
       sympathische Weise verrückt: Das ist Katrin Saß. Aber es gibt auch andere
       Schauspieler in Deutschland, und ganz sicher gehört August Diehl zu den
       avanciertesten oder wenigstens mitmischensbereitesten. Als großäugiger
       Hacker in „23“ machte er Furore, als hohl glotzender SS-Scherge schmückte
       er Tarantinos „Inglourious Bastards“, und bald wird man ihn und seine
       Riesenglubscher in der Verfilmung von Pascal Merciers „Nachtzug nach
       Lissabon“ sehen, an der Seite von mindestens Julia Roberts, Justin
       Timberlake und Liesl Karlstadt.
       
       Alle seine Fans sind schon sehr gespannt, ob er Merciers gefühlsduseligem
       Schweizer Kitschroman durch sein gefühlsduseliges deutsches Chargieren eine
       neue Seite abgewinnen kann, und sicher hat der gelernte Method Actor
       stundenlang geübt, auf neue, überraschende Weise die Augen zu rollen und
       die Lippen zu schürzen.
       
       Denn August Diehl, das ist nicht nur Matthias Schweighöfer in dunkelhaarig
       und für Gothic-Mädchen, das ist ein Charakterdarsteller, abgründig, mit
       durchaus gebrochener Vita. Sein Vater war Schauspieler, seine Mutter
       Kontaktlinsen-Spezialistin; August nannten sie ihn natürlich wegen der
       Augensache und damit er im Kindergarten gehänselt würde.
       
       Auf einem Hof in der Auvergne aufgezogen, lernte er eigenen Auskünften nach
       allerlei Handwerkliches, auch und vor allem, wie man Käse herstellt – der
       Weg in die Schauspielerei war hier bereits vorgezeichnet. An der
       Waldorfschule erhielt er Unterricht in schlechtem Benehmen und
       Zurückbleiben; an der Schauspielschule Ernst Busch belegte er die
       Hauptfächer Bühnengeschrei und Hemdenzerreißen.
       
       Schnell kamen die ersten Erfolge: Am Reclamtheater Hamburg glänzte er in
       Schillers „Don Carlos“, in Berlin überzeugte er mit seiner feinsinnigen
       Interpretation von Schillers „Don Carlos“, und in Zürich erinnert man sich
       immer noch gern an diesen Scheiß-Marthaler und seine Regiemätzchen. Aber
       natürlich auch an August Diehl als Goethes Kater Karlo.
       
       Doch in August Diehl gärte, ja brodelte es; die Bühne konnte sein wildes,
       düsteres Auvergne-Herz und sein Ziegenkäsehirn nicht völlig fesseln; andere
       Hobbys mussten her. Er experimentierte mit Film, Fernsehen, Pantomime,
       Puppenspiel, Kabuki, Ausdruckstanz, Impro und U-Bahn-Frottage; er
       verkleidete, schminkte und veränderte sich pausenlos; studierte vor allem
       die darstellerischen Facetten seines großen Vorbilds, Robert de Niro,
       prägte sich Bewegungsabläufe ein und verstellte seine kieksende
       Mädchenstimme, bis sie einigermaßen tief und robust klang. Gleichwie: Es
       nutzte alles nichts, die Leute erkannten ihn trotzdem. Vor allem der Augen
       wegen, aber auch wegen seiner totalen Fantasielosigkeit. Diehl war auf
       seine Rolle als August Diehl festgelegt.
       
       Aber Gott sei Dank gibt es für Schauspieler in Deutschland andere
       Möglichkeiten, sich interessant zu machen, als nur die öde Schauspielerei.
       Man kann zum Beispiel alkoholkrank werden, im Dschungelcamp Penisse essen
       oder Sarrazin gut finden. Oder, wenn man sich vor wirklich gar nichts mehr
       graust: sich mit Til Schweiger anfreunden, ohne den bekanntlich nichts geht
       im deutschen Filmbusiness.
       
       August Diehl wählte diesen harten, entbehrungsreichen Weg. Systematisch
       wanzte er sich an Schweiger ran, ging zu allen seinen Autogrammstunden,
       machte ihm auf Facebook Komplimente. Nächtelang saß er auf einem Baum vor
       Schweigers Schlafzimmerfenster, guckte aus seinen großen Augen und ließ nur
       manchmal sein klagendes „Schuhu, schuhu“ ertönen. Schließlich hatte
       Schweiger ein Einsehen und stellte ihn Tarantino vor. August Diehl durfte
       in „Der Herr der Ringe – unchained!“ das glubschäugige Geschöpf Gollum
       spielen; die Weltkarriere folgte im Sauseschritt.
       
       Dennoch: die Zerrissenheit, sie lässt ihn nicht locker. Sie reißt und reißt
       wie ein Kleinkind an einem Klettverschluss an ihm herum, und dunkle
       Instinkte brechen sich Bahn: Wenn er mit seiner Dixie-Band „August and the
       Unausgelastete Actors“ durchs Land tourt, geht gelegentlich schon das ein
       oder andere zu Bruch! Nach einer durchzechten Nacht stößt er dann auch mal
       ein Fahrrad um oder lässt im Hotel die Handtücher liegen. Mitten auf dem
       Boden!
       
       In Regensburg soll August Diehl sogar mal in ein Musikaliengeschäft
       eingebrochen sein, weil er in der Auslage wohl die Triangel gesehen hatte,
       auf der damals Flea von den Red Hot Chili Peppers … na ja, ist ja auch
       wurscht. In Frankfurt hat er mal eine Kellnerin in einer
       Äppelwoi-Wirtschaft „blöde Kuh“ genannt, allerdings war sie da schon außer
       Hörweite.
       
       Die nächsten Projekte sind schon im Sack: 2014 kommt „Joachim Gauck – I
       will dance“, 2015 ein Film mit Til Schweiger, 2016 die
       „Heribert-Prantl-Story“, 2017 ein anderer Film mit Til Schweiger, 2018 der
       Absturz, 2019 das Comeback. Vielleicht erfüllt sich bis dahin auch August
       Diehls Lebenstraum: dass sein englischer Wikipedia-Eintrag endlich die
       Kategorie „Low-importance Germany articles“ verlässt. Man wünscht ihm
       Glück.
       
       11 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leo Fischer
       
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