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       # taz.de -- Regierungskrise in Tunesien: Die Technokraten sollen regieren
       
       > Tunesiens islamistische Regierung steht nach dem Mord an einem
       > Oppositionellem unter Druck. Ministerpräsident Jebali will sie deswegen
       > umbauen.
       
   IMG Bild: Steht stark unter Druck: Hamadi Jebali
       
       MADRID taz | Tunesien kam auch am Tag nach dem Mord an Oppositionspolitiker
       Chokri Belaïd nicht zur Ruhe. Vielerorts gingen erneut Demonstranten auf
       die Straße. Der 48-jährige Generalsekretär der marxistisch-panarabischen
       Vereinigten Partei der Demokratischen Patrioten (PPDU), zugleich wichtiger
       Führer des Linksbündnisses Volksfront, war am Mittwoch in Tunis erschossen
       worden.
       
       Bis Donnerstagmittag blieben die Proteste, die überall im Land
       aufflackerten, friedlich. Vor dem Elternhaus Belaïds im Süden der
       Hauptstadt Tunis bildete sich eine lange Schlange von Trauernden, die von
       dem beliebten Linkspolitiker Abschied nehmen wollten. Am Nachmittag wurden
       dann aus Tunis und anderen Städten schwere Auseinandersetzungen zwischen
       Demonstranten und Polizei gemeldet. Vielerorts wurden erneut Büros der
       islamistischen Regierungspartei Ennahda angegriffen.
       
       Für die Regierungspartei und ihre beiden säkularen Koalitionspartner haben
       sich die Proteste zu einer schweren Krise entwickelt. „In den Moscheen
       rufen Vertreter zugelassener Parteien, die im Präsidentenpalast empfangen
       und von Ennahda unterstützt werden, zu Gewalt und Mord auf“, erklärte ein
       politischer Weggefährte des ermordeten Politikers, Hamma Hammami. Dies sei
       der Grund, warum vier Oppositionsparteien anlässlich der für
       Freitagnachmittag vorgesehen Beerdigung zum Generalstreik aufriefen.
       
       Tunesiens Opposition macht das Umfeld der Ennahda für den Mord am
       48-jährigen Anwalt und Vorsitzenden der PPDU verantwortlich. Sie vermutet,
       dass die Milizen der sogenannten Liga zum Schutz der Revolution hinter den
       tödlichen Schüssen stecken. Diese Gruppierungen stehen der Regierungspartei
       nahe. In den vergangenen Monaten hatten sie immer wieder Einrichtungen der
       Gewerkschaften und Opposition angegriffen.
       
       ## Die Gewerkschaft solidarisiert sich
       
       Der Vorstand der größten Gewerkschaft des Landes, der UGTT, tagte den
       ganzen Donnerstagmorgen, um sich schließlich dem Streikaufruf
       anzuschließen. Zusammen mit der Opposition fordert die UGTT den Rücktritt
       der Regierung und eine Exekutive der „Nationalen Einheit“. Diese soll das
       Land lenken, bis die Verfassung ausgearbeitet ist und die Tunesier zum
       zweiten Mal nach der Revolution an die Urnen gehen, um ihre endgültigen
       Institutionen zu wählen.
       
       Ministerpräsident Hamadi Jebali wollte den Druck schon im Vorfeld von
       seiner sogenannten Troika nehmen. „Ich habe beschlossen, eine Regierung der
       nationalen Kompetenz ohne politische Zugehörigkeit zu bilden“, sagte Jebali
       im Mittwochabend in einer Ansprache im Staatsfernsehen. Die
       Technokratenregierung solle ein „beschränktes Mandat zur Führung der
       Geschäfte des Landes bis zur Abhaltung von Wahlen binnen kürzester Frist“
       haben.
       
       Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind für Ende Juni vorgesehen. Diese
       Frist dürfte kaum einzuhalten sein: Die im Oktober 2011 gewählte
       Verfassunggebende Versammlung ist noch weit davon entfernt, das neue
       Grundgesetz vorzulegen.
       
       ## Kritik aus den eigenen Reihen
       
       Während einige Oppositionelle positiv auf den Vorschlag Jebalis reagierten,
       erntete er Kritik in den eigenen Reihen. „Der Ministerpräsident hat die
       Partei nicht nach ihrer Meinung gefragt“, beschwert sich der Vizepräsident
       der islamistischen Formation, Abdelhamid Jelassi. „Wir von der Ennahda
       glauben, dass Tunesien jetzt eine politische Regierung braucht.“ Man werde
       Gespräche mit anderen Parteien über eine Regierungsbildung aufnehmen. Ein
       Großteil der Opposition dürfte dies zurückweisen, zu tief ist die Kluft
       zwischen dem weltlichen und dem religiösen Lager.
       
       Einer der namhaftesten Juristen Tunesiens und früherer Dekan der
       Rechtsfakultät an der Universität Tunis, Sadok Belaïd, bezweifelt gar, dass
       Jebali die Regierung einfach so umbauen kann. Nach der Geschäftsordnung der
       Verfassunggebenden Versammlung, der sogenannten Miniverfassung, könne er
       einzelne Minister austauschen, aber nicht die ganze Regierung. „Um eine
       neue Regierung zu bilden, muss Jebali selbst zurücktreten. Er könnte damit
       endgültig seinen Posten verlieren.“ Viele der Tunesier, die am Donnerstag
       auf die Straße gingen, würden dem Islamisten sicher nicht nachtrauern.
       
       7 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
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