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       # taz.de -- 124.-125. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: 9087mal telefoniert
       
       > Das BKA präsentiert Erkenntnisse, die es aus der Überwachung der
       > Telekommuikation der Angeklagten zwischen 2008 und 2009 gewann.
       
   IMG Bild: Polizei hört mit: Pressekonferenz mit Handyverbot im August 2009 – als die FDLR-Führer ausgiebig abgehört wurden.
       
       BERLIN taz | Die Telekommunikationsüberwachung von Ignace Murwanashyaka und
       Straton Musoni, Präsident und 1. Vizepräsident der FDLR (Demokratische
       Kräfte zur Befreiung Ruandas), durch die deutsche Polizei in den Monaten
       vor ihrer Festnahme: Das war zu Beginn der Wiederaufnahme der
       Hauptverhandlung gegen die beiden vor dem OLG Stuttgart im Januar 2013
       Thema der zweitägigen Vernehmung einer zuständigen Beamtin des
       Bundeskriminalamts (BKA). Ihre Aussage macht deutlich, wie umfangreich das
       Datenmaterial war, das von den Ermittlern ausgewertet werden musste – und
       gibt erstmals ein zusammenhängendes Bild des Inhalts, der ansonsten immer
       wieder einzeln in die Verhandlung eingebracht wird.
       
       Die Überwachung lief von Dezember 2008 bis zur Festnahme im November 2009.
       Rund 80.000 „Ereignisse“ gab es in dieser Zeit, sagt die Beamtin – E-Mails,
       Telefongespräche am Handy, auch Internettelefonate und
       Satellitentelefonate. Letztere beiden Kategorien umfassten insgesamt rund
       1.300 „Ereignisse“, Gespräche auf Murwansashyakas Mobiltelefon genau 9.087.
       
       „Sobald TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) beschlossen ist, muss der
       Provider die Daten auf den sicheren Server des BKA umleiten“, erläutert die
       Beamtin das Vorgehen. „Morgens machte ich den PC an und schaute, was nachts
       angefallen war.“
       
       Die „Ereignisse“ wurden dann Dolmetschern übergeben, und „wenn sie merkten,
       dass es irgendeinen Bezug zur FDLR hat, sollten sie ausführlicher
       übersetzen“. Das war durchaus beim Großteil der Fall, bestätigt die
       Beamtin.
       
       Aber: „Teilweise hatten sie auch stark religiösen Charakter. Da wurde von
       Gebeten und deren Durchführung berichtet, auch war von Erscheinungen und
       Prophezeiungen die Rede: So hätten Matthäus oder Maria gesagt, der Krieg
       solle weitergehen“. Murwanashyaka gab auch seine Erlaubnis für
       Eheschließungen von FDLR-Mitgliedern.
       
       ## Oberster Führer
       
       Die Beamtin bestätigt, dass Murwanashyaka sich in Gesprächen regelmäßig als
       oberster Führer des militärischen FDLR-Flügels FOCA (Forces Combattantes
       Abacunguzi) bezeichnete – etwas, was seine Verteidigung regelmäßig
       bestreitet. Auch, dass FDLR-Einheiten das Massaker von Busurungi begingen,
       bei dem in der Nacht zum 10. Mai 2009 laut Anklage über 90 Menschen ums
       Leben kamen, sei Inhalt überwachter Gespräche gewesen. Bei diesem und
       anderen Angriffen habe es allerdings immer erst hinterher Kommunikation mit
       dem FDLR-Präsidenten gegeben, nicht vorher.
       
       Murwanashyaka „wurde mehrfach von militärischen Angelegenheiten berichtet:
       insbesondere Bilanzen von Kämpfen, wieviele Waffen wurden erbeutet,
       wieviele Soldaten und ruandische Flüchtlinge kamen zu Schaden“. Er pflegte
       Kontakte zu anderen Organisationen wie der FDLR-Abspaltung RUD (Sammlung
       für Einheit und Demokratie), auch zu Kongos Armee – „zum Beispiel
       kongolesische Streitkräfte, die übertreten wollten. Darum kümmerte er sich
       selbst und gab Weisung an die jeweiligen Bataillone, sich um deren Empfang
       zu kümmern“. Die kongolesische Hutu-Miliz Pareco (Kongolesische
       Widerstandspatrioten) habe er „eher auf Abstand“ gehalten.
       
       ## „Der Satz wurde rausgestrichen“
       
       Murwanashyaka gab auch grünes Licht an FDLR-Exekutivsekretär Callixte
       Mbarushimana, wenn ein Communiqué veröffentlicht werden sollte. „In einem
       Satz war mal, dass die FDLR bedauere, dass Zivilisten umkamen. Der Satz
       wurde dann rausgestrichen, ich denke von Murwanashyaka selbst. Zu Busurungi
       wurde besprochen, wie man die Vorkommnisse dort am besten darstellen könne
       für die Öffentlichkeit, ohne sich angreifbar zu machen.“
       
       Direkte militärische Anweisungen habe Murwanashyaka nicht erteilt. „In
       direkte Kampfhandlungen oder Taktiken mischte er sich nicht ein. Interesse
       an militärischen Angelegenheiten war da, aber direkte Einmischung konnte
       ich nicht feststellen.“
       
       Der direkte Kontakt zwischen dem FDLR-Präsidenten und dem FOCA-Kommandanten
       im Kongo, General Mudacumura, sei dennoch „sehr regelmäßig und ausgiebig
       gewesen“: es „ging um FDLR-Belange: Welche Personen aus der FDLR austraten,
       welche Strategie man wann wie fahren sollte. Murwanashyaka berichtete an
       Mudacumura von Gesprächen mit Personen wie Pater Matteo, er erkundigte sich
       mehrfach nach bestehenden Kämpfen oder Behauptungen oder Personen.“
       
       ## Waffen über Uganda
       
       In Mineralien- und Waffenhandel sei Murwanashyaka nicht involviert gewesen,
       sagt die Beamtin auf Nachfrage der Verteidigung. Er sei über Waffenhandel
       allerdings „informiert“ gewesen: „Einmal kamen Waffen über Uganda, einmal
       von der FARDC.“ UN-Berichte über Waffenlieferungen aus dem Sudan könnten
       nicht bestätigt werden.
       
       Manches ging dem BKA durch die Lappen, denn das BKA kannte Murwanashyakas
       Thuraya-Nummer nicht und konnte es somit nicht abhören. „Es wurden ja auch
       zwei Thurayas bei der Durchsuchung gefunden“, sagt sie unter Bezug auf die
       Hausdurchsuchung bei Murwanashyakas Festnahme am 17. November 2009. „Es
       können sogar noch mehr Anschlüsse gewesen sein, die wir nicht kannten“.
       Auch einige Gespräche des zweiten Angeklagten Musoni entgingen dem BKA,
       schlussfolgerten die Ermittler vom Inhalt einiger der überwachten
       Gespräche.
       
       Zum Abschluss der Vernehmung bringt die Verteidigung ein Gespräch zwischen
       Murwanashyaka und Pater Matteo von der italienischen Kirchengemeinde
       Sant'Egidio ins Spiel. In diesem Gespräch vom 29. Oktober 2009 – drei
       Wochen vor Murwanashyakas Festnahme – sei es darum gegangen, dass bei
       Murwanashyakas Festnahme automatisch Militärchef Mudacumura sein Nachfolger
       werden würde (was dann tatsächlich nicht eintrat). Die Verteidigung
       beantragt, dieses Gespräch in die Hauptverhandlung einzufügen, um zu
       beweisen, dass Murwanashyaka dies nicht gesagt habe.
       
       5 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
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