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       # taz.de -- Kita-Mangel in Bayern: Für Max ist kein Platz
       
       > Im oberpfälzischen Amberg suchen die Hartingers vergeblich einen
       > Kitaplatz für ihren Sohn. Die Stadt rechnet sich das Problem einfach weg.
       
   IMG Bild: Nur 10 Prozent der Kinder unter drei Jahren in Amberg haben einen Betreuungsplatz. Max gehört nicht dazu.
       
       AMBERG taz | Wer in Amberg in der Oberpfalz etwas darüber erfahren möchte,
       wie Kinder unter drei Jahren betreut werden, der bekommt vieles zu hören –
       vor allem vieles, das nicht zueinander passt. Anfang Dezember 2012
       veröffentlichte das Statistische Bundesamt in Berlin einen Bericht, in dem
       aufgeschlüsselt ist, wie es um die Kinderbetreuung in den verschiedenen
       Regionen Deutschlands steht.
       
       Solche Zahlen sind wichtig geworden, seit im Kinderförderungsgesetz (KiföG)
       ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für alle Ein- bis Dreijährigen
       verankert wurde. Dem bayerischen Amberg haftet seither ein Makel an. Für
       die Stadt an der Vils, mit dem historisch-pittoresken Stadtkern, etwa 60
       Kilometer östlich von Nürnberg, fiel der Bericht des Statistischen
       Bundesamtes nicht gut aus. „Die bundesweit geringste Betreuungsquote“ gebe
       es dort.
       
       Nur 10,5 Prozent aller Amberger Kinder unter drei Jahren wurden zum 31.
       Dezember 2011, dem Stichtag der Erhebung, in einer Krippe, einem
       Kindergarten oder von einer Tagesmutter betreut. Anders gesagt: Von 980
       Amberger Kindern unter drei Jahren, hatten damals lediglich 103 einen
       Platz. Von der vom Gesetzgeber als Richtlinie ausgegebenen Betreuungsquote
       von 35 Prozent ist Amberg damit meilenweit entfernt. Grund genug,
       nachzufragen, wie so etwas kommt.
       
       Lena Hartinger sind die Zahlen egal. Sie ist eine Mutter, die einen
       Krippenplatz sucht. Die 33-jährige Salesmanagerin hat in der geräumigen
       Wohnküche ihres Einfamilienhauses am Stadtrand Wasser, Tee und Kaffee
       bereitgestellt. Während sie erzählt, muss sie ihren Sohn Max in Zaum
       halten. Der ist 11 Monate alt und ein ziemlich aufgewecktes Kind. Lust,
       seiner Mutter still zu lauschen, hat er gerade nicht. „Wir haben angefangen
       nach einem Krippenplatz zu suchen, da war ich noch im Wochenbett“,
       berichtet die schlanke Frau mit dem schulterlangen blonden Haar.
       
       ## Sechs Krippen gibt es
       
       Ab Februar, wenn ihre Elternzeit endet, möchte Lena Hartinger an ihre alte
       Stelle zurückkehren. Micha Hartinger soll für zwei Monate übernehmen und
       Max bei der Eingewöhnung in die Krippe begleiten. Gemeinsam klapperten sie
       die Krippen in Amberg ab. Sechs Stück sind das derzeit, mit insgesamt 72
       Plätzen. Betreut werden aber auch in Amberg mehr Kinder unter drei Jahren –
       jedoch in Kindergärten, in Einrichtungen also, die für ihre Altersgruppe
       nicht geeignet sind. Die Hartingers ließen sich auf die Warteliste setzten,
       jedoch ohne Erfolg.
       
       Als im Herbst noch immer kein Betreuungsplatz für Max gefunden war, wandte
       sich die Familie ans Jugendamt. „Wir haben mehrere, sehr lange
       Beschwerdemails geschrieben“, sagt Micha Hartinger. Daraufhin trat der
       Behördenleiter noch einmal persönlich an alle Krippen heran. Einen Platz
       bekam Max trotzdem nicht. Es war schlicht keiner frei.
       
       Erst im Amberger Umland wurde die Familie fündig. Ein glücklicher Zufall.
       Lena Hartingers Arbeitsplatz ist nicht weit von der Krippe entfernt. „Wenn
       wir diesen Platz nicht bekommen hätten, hätte ich zuhause bleiben müssen“,
       sagt Lena Hartinger. Großeltern, die Max betreuen könnten, gibt es nicht.
       Lena Hartingers Mutter ist selbst berufstätig und Micha Hartingers Eltern
       leben nicht in der Stadt.
       
       „Finanziell wäre das gegangen“, sagt sie. Dann hätte die Familie zur
       Überbrückung auf das Ersparte zurückgegriffen. Nur ein Verdienst reicht
       nicht, um die laufenden Kosten zu decken – eine Notlösung. Hinzu kommt: Die
       Hartingers wollen unbedingt, dass Max bald in die Krippe geht. „Wir sind
       davon überzeugt, dass ihm das gut tut“, sagt Vater Micha, der als Erzieher
       arbeitet. „Dort kann er ganz andere Erfahrungen machen als zu Hause und von
       den gleichaltrigen Kindern lernen.“
       
       ## Die Stadt rechnet einfach anders
       
       Geht es nach der Amberger Stadtspitze, existierten die Hartingers nicht.
       „Uns ist kein Beispiel von einer Familie bekannt, die einen Kitaplatz
       gesucht und keinen gefunden hätte“, sagt Pressesprecherin Susanne Schwab.
       Von einem Versäumnis könne keine Rede sein. Die Zahlen seien falsch. Wie
       das Statistische Bundesamt in Berlin zu seiner Berechnung kommt, kann sich
       Schwab nicht erklären.
       
       Ihre Rechnung ist eine andere: Laut Einwohnermeldeamt gibt es in Amberg 960
       Kinder unter drei Jahren, zwanzig weniger als in der Statistik des Bundes.
       Davon wurden im Oktober des vergangenen Jahres 159 Kinder in Krippen,
       Kindergärten oder von Tagesmüttern betreut – macht eine Betreuungsquote von
       24,6 Prozent. Verglichen mit den mickrigen 10,5 Prozent, die das
       Statistische Bundesamt Amberg bescheinigte, sieht das schon viel besser
       aus. Außerdem wird in Amberg gerade fleißig gebaut. Acht neue Krippen
       sollen bis zum Herbst fertig werden. Zählt man diese Plätze hinzu, wird
       auch Amberg spätestens im September knapp 30 Prozent der unter Dreijährigen
       unterbringen können.
       
       „Viel zu viele“ seien das, sagt Martin Schafbauer, CSU-Ortsvorstand und in
       der Amberger Stadtverwaltung für die Vermarktung der Monopolregion Nürnberg
       zu ständig, zu der auch Amberg gehört. Qua Amt ist ihm an der Attraktivität
       des Standortes gelegen. „Meine Vermutung ist, dass die Plätze, die derzeit
       gebaut werden, nicht ganz voll werden.“
       
       Die Betreuungsquote von 35 Prozent sei eine abstrakte politische Vorgabe,
       die man nicht auf alle Regionen Deutschlands anwenden könne, sagt er. In
       großen Städten wie Nürnberg und München sei der Bedarf womöglich viel
       höher. „Hier im ländlichen Bereich ist er viel geringer.“ Will heißen: Hier
       betreuen die meisten Mütter ihre Kinder noch zu Hause und wenn das nicht
       geht, springt die Oma ein.
       
       ## Das konservative Familienbild steht im Weg
       
       Just diese Argumentation aber ist für Brigitte Netta das Problem. Die
       51-Jährige ist in zweifacher Hinsicht mit dem Thema befasst. Zum einen
       leitet sie selbst eine Kita in Amberg und ist in der Katholischen
       Erziehergemeinschaft (KEG) engagiert. Zum anderen sitzt sie seit 1996 für
       die SPD im Stadtrat. „Ich habe den Eindruck, dass man die Veränderungen,
       die in den Familienstrukturen passieren, nicht sehen will, weil man sie im
       eigenen Umfeld nicht wahrnimmt“, sagt sie und spielt damit auf das
       konservative Familienbild der CSU-geführten Stadtratsmehrheit an.
       
       Seit 2006 setzt sich Netta in Amberg für den Ausbau der Kinderbetreuung
       ein. Lange habe sie dafür geworben, dass der tatsächliche Betreuungsbedarf
       mithilfe eines Gutachtens erhoben wird und dadurch eine Grundlage auch für
       potentielle Träger besteht. Die Argumente, an denen ihre Initiative
       scheiterte, seien stets dieselben geblieben: Man müsse ausbauen, aber
       moderat, damit am Ende die Einrichtungen nicht leer stünden. Der Bedarf sei
       nicht so hoch, wie von ihr behauptet.
       
       Erst 2011 entschied der Stadtrat ein externes Institut mit einer konkreten
       Bedarfsplanung zu beauftragen. „Viel zu spät“, wie Netta sagt. „Hätte man
       den Krippenausbau der nun geschieht, viel früher angestoßen, hätte man auch
       genug Zeit gehabt, qualifiziertes Personal zu finden“, kritisiert sie.
       Schließlich gehe es bei der Betreuung der Kleinsten auch um Qualität.
       
       Das schließlich beauftrage Bamberger Basisinstitut ermittelte prompt einen
       viel höheren Bedarf, als bislang angenommen. Sollen 35 Prozent der vom
       Institut als Grundlage genommenen derzeit 1.012 Kinder unter drei Jahren
       extern betreut werden, müsste es in Amberg 354 Krippenplätze geben, so der
       Bericht des Instituts. Von diesem Ziel ist die Stadt selbst im September,
       wenn es 246 statt der bisherigen 72 Plätze gibt, weit entfernt.
       
       Auch auf diese Berechnung angesprochen, heißt es von Seiten der Stadt, das
       Institut habe seine Berechnungen auf der Grundlage falscher Zahlen
       durchgeführt. „Wir nutzen die Zahlen nicht“, sagt Schafbauer. Man wisse
       schließlich selbst, wie viele Plätze gebraucht würden.
       
       Auch die Hartingers haben jetzt einen Krippenplatz in der Stadt für ihren
       Sohn bekommen. Einen Tag nach der Recherche erhielt die Familie eine Email
       vom Jugendamt. Überraschend sei ein Kind abgesprungen, so dass ab April ein
       Platz für Max frei ist.
       
       1 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marlene Halser
       
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