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       # taz.de -- Streit der Woche: Soll Großbritannien die EU verlassen?
       
       > David Cameron hat versprochen, dass die Briten 2017 über ihren Verbleib
       > in der EU entscheiden können. Damit löste er Empörung aus. Brauchen wir
       > den Inselstaat?
       
   IMG Bild: „Europa wird für immer in unserer geografischen Nachbarschaft bleiben“, sagte Cameron.
       
       In seiner Rede „Britain and Europe“ am 23. Januar erklärte Premierminister
       Cameron, die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens bis 2017 neu verhandeln zu
       wollen. Davon mache er seine Haltung zum in der Rede angekündigten
       Referendum abhängig. Sollte Großbritannien eine neue Einigung mit der EU
       erzielen, werde er sich mit „Herz und Seele“ für den Verbleib
       Großbritanniens in der EU einsetzen.
       
       Er berief sich auf die Erklärung von Laeken, die zusichert, dass Macht
       nicht nur von den Mitgliedstaaten an die EU abgegeben werden kann. Auch der
       umgekehrte Weg sei denkbar und Macht könne von der EU an ihre
       Mitgliedstaaten zurückfließen.
       
       Innenpolitisch hat die Rede Cameron gestärkt. Nach einer Umfrage der
       Zeitungen Independent on Sunday und Sunday Mirror konnte Camerons Partei,
       die Tories, ein Plus von 5 Prozent gegenüber dem Vormonat verzeichnen. Die
       konservative Presse jubelte; in einem offenen Brief unterstützen 55
       Wirtschaftsbosse das Vorhaben des Premierministers. Aktuell würden 33
       Prozent der Briten die konservative Partei wählen.
       
       ## Unterstützung durch EU-Skeptiker
       
       Mark Pritchard, ein führender britischer EU-Gegner, sichert Cameron im
       Beitrag für den sonntaz-Streit „seine volle Unterstützung für seine
       aktuelle Rede“ zu. Die Mehrheit der britischen Bürger hätte nie über Europa
       entscheiden können. Im Jahre des letzten EU-Referendums, 1975, seien sie
       entweder noch nicht auf der Welt oder noch nicht alt genug gewesen, um zu
       wählen.
       
       Nigel Farage, der Führer der rechtspopulistischen, europaskeptischen Partei
       UKIP, sieht die Rede des Premiers auch als Erfolg seiner Partei. Er
       kommentiert im sonntaz-Streit: „Wir sind Verbündete, Partner, Nachbarn und
       Freunde, und werden das als ein freies und unabhängiges Land noch mehr
       werden als in einer schlechten, zerstrittenen Ehe.“
       
       ## Rosinen à la carte
       
       In anderen EU-Staaten stieß das Vorpreschen des Premierminister vorwiegend
       auf Ablehnung. Der grüne EU-Parlamentarier Daniel Cohn-Bendit erklärte im
       taz-Interview, Großbritannien habe nicht das Recht, die übrigen EU-Staaten
       zu erpressen. Er ist dafür, die britischen Sonderregeln abzubauen, nicht
       neue hinzuzufügen. Die Sonderregelungen umfassen unter anderem den
       „Briten-Rabatt“, einen Rabatt auf die Nettozahlungen, die das Land an die
       EU zu leisten hat.
       
       Würden die Sonderregelungen nicht reduziert werden, meint Cohn-Bendit,
       „bekommen wir ein Europa à la carte, das nicht mehr regierbar ist.“ Er
       findet zwar, dass die demokratische Traditon Großbritanniens der EU gut
       tue, hätte aber offenbar keinen Schwierigkeiten mit einem EU-Austritt des
       Landes: „Aber wenn sie austreten, bricht die Welt nicht zusammen. Im
       Gegenteil: Die Vertiefung der EU würde ohne die Briten einfacher werden.“
       
       FDP-Außenminister Guido Westerwelle nannte Camerons Vorhaben
       „Rosinenpicken“. Der französische Außenminister Laurent Fabius verglich die
       EU mit einem Fußballverein: „Ich nehme ein Beispiel, das unsere britischen
       Freunde verstehen werden. Stellen wir uns vor, Europa sei ein
       Fußballverein, dem Sie beitreten, aber wenn Sie beigetreten sind, können
       Sie nicht sagen, der Verein solle jetzt Rugby spielen.“
       
       ## Schlecht für die Wirtschaft
       
       Bis 2017 besteht nun eine politische Ungewissheit, die vor allem
       kontinentale Investoren abschrecken könnte. Und die sind kein unbedeutender
       Faktor für den Inselstaat: 50 Prozent des britischen Handelsvolumens werden
       mit der EU abgewickelt.
       
       Auch der britische Vizepremier Nick Clegg von den Liberal Democrats hat
       ökonomische Argumente gegen das Referendum. „Ich bin der Ansicht, dass
       jahrelange Unsicherheit wegen einer sich dahinziehenden, undefinierten
       Neuverhandlung unserer Stellung in Europa nicht in unserem nationalem
       Interesse ist“, sagte er der Tageszeitung Daily Telegraph, „weil das
       Wachstum und Arbeitsplätze gefährdet.“
       
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       Oder schicken Sie uns bis Mittwoch, 30. Januar, eine Mail an:
       [1][streit@taz.de]
       
       29 Jan 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /streit@taz.de
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Kiener
       
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