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       # taz.de -- Islamische Wohltätigkeit in Deutschland: Speisen für Waisen
       
       > Die muslimische Hilfsorganisation „Islamic Relief“ wendet sich erstmals
       > an eine breite, nichtmuslimische Öffentlichkeit – in Deutschland.
       
   IMG Bild: Unter anderem hier werden die Spenden eingesetzt: Eine Mitarbeiterin von Islamic Relief verteilt Lebensmittelkarten im Jemen.
       
       BERLIN taz | Im Wohnzimmer der Gastgeberin duftet es nach Auberginen und
       gebratenem Fleisch. Zehn Frauen und ein elfjähriger Junge sitzen gedrängt
       um einen Esstisch in der Ecke des weitläufigen Raums, neben zwei weißen
       Sofas und einem Glasschrank. Der Junge Bulut tunkt ein Stück Fleisch in die
       Joghurtsoße. Gülcin Bazak, 24, violettes Kopftuch, mahnt: „In Afrika gibt
       es Kinder in deinem Alter, die müssen sich ihr Essen verdienen, indem sie
       Taschentücher verkaufen.“ Bulut sagt: „Für die wollen wir heute Geld
       sammeln“.
       
       „Speisen für Waisen“ heißt die Aktion, mit der die muslimische
       Hilfsorganisation „Islamic Relief“ derzeit in Deutschland um Spendengelder
       wirbt. Mit Flyern und Plakaten ruft sie dazu auf, noch bis zum 23. Februar
       ein Essen auszurichten und dabei Geld zu sammeln. Restaurants beteiligen
       sich an der Aktion, aber auch Privatpersonen wie Gülcin Bazak, die selbst
       schon mal ein Projekt der Hilfsorganisation in Äthiopien besucht hat.
       
       Die muslimische Hilfsorganisation Islamic Relief existiert seit 1984, ihr
       Hauptsitz befindet sich im britischen Birmingham. Der deutsche Ableger
       wurde 1996 in Köln gegründet. In Deutschland beschäftigt der Verein knapp
       60 hauptamtliche Mitarbeiter und rund 320 Ehrenamtliche. Weltweit sollen
       3.000 Menschen in über 40 Ländern für Islamic Relief arbeiten.
       
       ## Die eigene Religion in ein positives Licht rücken
       
       Hierzulande ist Islamic Relief vor allem durch seine Spendenbüchsen
       bekannt, die das Logo der Organisation zieren: Es zeigt eine Moschee mit
       zwei Minaretten. Die Büchsen stehen in vielen türkischen Restaurants und
       Geschäften. Seit vier Jahren betreibt der Verband außerdem eine
       „muslimische Telefonseelsorge“ mit 70 ehrenamtlichen Mitarbeitern.
       
       Mit seiner aktuellen Spendenaktion wendet sich Islamic Relief erstmals an
       eine breite, nichtmuslimische Öffentlichkeit und hat dazu eine PR-Agentur
       engagiert. Denn die Aktion dient nicht nur dem guten Zweck. Sondern auch
       dazu, sich einem breiteren Publikum bekannt zu machen und die eigene
       Religion, der viele misstrauen, in ein positives Licht zu rücken.
       
       Wer sich an der Aktion beteiligen möchte, kann sich auf der Homepage des
       Verbandes Rezept- und Dekorationsvorschläge herunterladen und ein
       kostenloses Paket mit Flyern und Windlichtern bestellen. Die Anleitung für
       einen gelungenen Abend soll helfen, die Hemmschwelle zu senken. Denn viele
       Familien hätten die Sorge, ihre Wohnung sei nicht schön genug oder sie
       könnten den Gästen nicht genug bieten, sagt Nina Dombrowski, die als
       PR-Frau die Spendenaktion unterstützt: „Dabei kann man auch bei einem
       Videoabend mit Popcorn oder bei Tee und Gebäck Geld für Waisenkinder
       sammeln.“
       
       Die erste Spendenaktion dieser Art startete symbolträchtig am 23. Januar,
       dem Geburtstag des Propheten Mohammed. Dombrowski hofft, dass sie bald
       einen festen Platz im Kalender der deutschen Muslime findet – gleich neben
       Ramadan und Opferfest.
       
       ## Bedürfnis, nicht Religion qualifiziert für Unterstützung
       
       Pressesprecher Nuri Köseli betont, dass die „Speisen für Waisen“ nicht nur
       muslimischen Kindern zugutekommen sollen. „Wir gehen von den Bedürfnissen
       der Kinder aus, nicht von deren Religionszugehörigkeit“, sagt er. Islamic
       Relief unterhalte Partnerschaften in 22 Ländern – „darunter in Indien,
       Äthiopien und zehn weiteren afrikanischen Ländern, die mehrheitlich
       christlich geprägt sind. Großen Wert legt der Verband auch darauf, dass er
       seine Effizienz von unabhängigen Institutionen wie dem deutschen Spendenrat
       untersuchen lässt.
       
       Mit seinem karitativen Anspruch tritt Islamic Relief in die Fußstapfen von
       etablierten kirchlichen Hilfsorganisationen wie Caritas, Misereor und
       Aktionen wie „Brot für die Welt“. Gemein ist ihnen, dass sie soziales
       Engagement als eine religiöse Pflicht betrachten. Als Vorbild betrachtet
       Nuri Köseli sie aber nicht: „Wir orientieren uns an den Standards, die für
       alle europäischen Hilfsorganisationen gelten.“ Beim muslimischen
       Seelsorgetelefon habe man aber mit Diakonie und Caritas Erfahrungen
       ausgetauscht. „Man lernt voneinander“, so Köseli.
       
       In Berlin hat Gülcin Bazak inzwischen das Geschirr abgeräumt und den Tisch
       mit Feigen und Nüssen gedeckt. Kaum hat eine Frau ihren Tee ausgetrunken,
       füllt Leila Tucun, die Mutter von Bulut, das Glas wieder auf. Eine Frau
       massiert den Rücken ihrer Nachbarin, während die Gastgeberin eine
       Sparbüchse aus dem Glasschrank holt.
       
       Bulut zieht einen 20-Euro-Schein aus seiner Tasche, streckt seine Hand nach
       der Porzellandose mit roten und blauen Herzen und steckt ihn mit
       durchgedrücktem Kreuz in den Schlitz. Muslime würden gerne spenden, glaubt
       Leila Tucun. Nicht nur weil es ein religiöses Gebot sei, sondern auch aus
       Eigennutz: „Mohammed hat gesagt, wer für Waisen spendet, wird später mit
       mir im Paradies sein.
       
       27 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR J. Amberger
   DIR D. Bax
       
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   DIR Islam
   DIR Wohltätigkeit
   DIR Spendenaktion
       
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