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       # taz.de -- Fußballkrawall-Prozess in Ägypten: Ausschreitungen nach Todesurteilen
       
       > Nach den Todesurteilen gegen 21 Beteiligte an den Fußballkrawallen von
       > Port Said kam es zu Ausschreitungen mit mindestens 26 Toten. Schon am
       > Freitag gab es blutige Proteste.
       
   IMG Bild: Emotionen nach dem Urteil: Angehörige der Opfer von Port Said.
       
       ISTANBUL/KAIRO dpa/dapd | Wegen ihrer Beteiligung an den schlimmsten
       Fußballkrawallen in der Geschichte Ägyptens sind in Kairo 21 Menschen zum
       Tode verurteilt worden. Der mit Spannung erwartete Richterspruch wurde am
       Samstag vom Staatsfernsehen direkt übertragen. Für 52 weitere Angeklagte
       fällt der Richterspruch am 9. März. Die Verwandten und Freunde der Opfer
       jubelten, Angehörige der Verurteilten randalierten. In Port Said gab es
       mindestens 26 Tote und rund 250 Verletzte.
       
       Vor einem Jahr, am 1. Februar 2012, waren im Fußballstadion der Stadt Port
       Said 74 Menschen ums Leben gekommen. Unmittelbar nach Abpfiff hatten Fans
       des Gastgebervereins Al-Masri damals das Spielfeld gestürmt und waren mit
       Brechstangen, Messern und Schusswaffen auf die Fans des Kairoer Vereins
       Al-Ahli losgegangen. Von den Al-Masri-Fans wurden später 61 wegen Mordes
       angeklagt.
       
       Neun Polizisten wurden wegen Nachlässigkeit im Dienst vor Gericht gestellt,
       weil sie die Fans vor dem Spiel nicht gründlich nach Waffen durchsucht
       hätten. Sie waren nicht unter den ersten Verurteilten. Auch drei
       Mitarbeiter des Vereins Al-Masri müssen sich verantworten. Aus
       Sicherheitsgründen wurde das Verfahren von Port Said nach Kairo verlegt und
       die angeklagten Al-Masri-Fans wurden aus Angst vor Übergriffen nicht zum
       Gericht gebracht.
       
       Der Urteilsspruch wurde von den anwesenden Angehörigen der Opfer mit
       „Allahu Akbar, Gott ist groß“ begrüßt. Als Ultras bekannte Fußballfans
       hatten in den vergangenen Wochen unter dem Motto „Gerechtigkeit oder Chaos“
       mehrfach gewaltsam für eine hohe Bestrafung der Täter demonstriert.
       Anhänger des Vereins Al-Ahli feierten die Entscheidung der Richter.
       
       ## Menschenmenge will Gefangene befreien
       
       In Port Said dagegen eskalierte die Gewalt. Eine wütende Menschenmenge
       machte sich auf dem Weg zu einem Gefängnis, um die Verurteilten zu
       befreien. Es kam zu Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften, Tränengas
       wurde eingesetzt. Zwei Polizisten und sechs Zivilisten kamen ums Leben, wie
       staatliche Medien unter Berufung auf das Innenministerium berichteten. Die
       Streitkräfte schickte Verstärkung in die Stadt.
       
       Die Fans in Port Said werfen den Richtern ein politisches Urteil vor.
       Jüngst hatte die Staatsanwaltschaft neue Beweise eingebracht, die in diesen
       Richterspruch nicht eingeflossen sind.
       
       Der schwarze Tag im ägyptischen Fußball fast genau ein Jahr nach dem Sturz
       des Langzeitmachthabers Husni Mubarak ist in dem nordafrikanischen Land
       längst zum Politikum geworden. Spekulationen, wonach die Al-Ahli-Fans wegen
       ihrer Beteiligung an den Anti-Regime-Protesten im Arabischen Frühling
       abgestraft wurden, haben sich zwar nicht bewahrheitet. Doch gilt die
       Tragödie als Symbol für die desolate Lage Ägyptens. Präsident Mohammed
       Mursi jedenfalls zählte die 74 Toten jüngst zu den offiziellen „Märtyrern
       der Revolution“.
       
       ## Hunderttausende demonstrieren gegen Mursis Regierung
       
       Bereits am Freitag starben bei Ausschreitungen in Ägypten mindestens sieben
       Menschen, knapp 500 wurden verletzt. Anlass waren Demonstrationen gegen den
       amtierenden Präsidenten Mohammend Mursi am zweiten Jahrestag der Revolution
       gegen den damaligen Machthaber Husni Mubarak. In der Stadt Suez, in der es
       besonders heftige Proteste gab, zogen in der Nacht zum Samstag
       Panzerfahrzeuge auf. Mursi rief die Bevölkerung zur Ruhe auf.
       
       Auf Gewalt solle verzichtet werden, jeder solle seine Ansichten friedlich
       zum Ausdruck bringen, schrieb der Staatschef am Morgen im
       Kurznachrichtendienst Twitter. An Demonstrationen gegen seine Regierung
       beteiligten sich mehr als 500.000 Menschen.
       
       Mursi kondolierte den Familien der Opfer und kündigte an, die
       Verantwortlichen würden juristisch zur Rechenschaft gezogen. Proteste gab
       es in vielen Städten Ägyptens, besonders heftig war es offenbar in Suez:
       Dort setzten Demonstranten ein Gebäude in Brand, in dem früher die
       Stadtverwaltung untergebracht war. Sechs Menschen kamen ums Leben, darunter
       ein 14-jähriger Junge. Zur Sicherung des Gebäudes wurden Soldaten
       eingesetzt.
       
       ## Versammlung auf dem Tahrir
       
       Auf dem Tahrir-Platz in Kairo, wo vor zwei Jahren der Aufstand gegen
       Mubarak seinen Ausgang genommen hatte, versammelten sich Zehntausende
       Menschen. Auf Spruchbändern war zu lesen: „Zwei Jahre seit der Revolution –
       wo bleibt die soziale Gerechtigkeit?“ Maskierte Demonstranten versuchten,
       eine vor den Toren von Mursis Amtssitz aufgebaute Barrikade der Polizei zu
       durchbrechen; die Sicherheitskräfte reagierten mit dem massiven Einsatz von
       Tränengas.
       
       Aus Sicht der Demonstranten hat sich der mit dem Sturz von Mubarak erhoffte
       Wandel im Land nicht eingestellt. Die ägyptische Opposition will mit den
       Kundgebungen zum Jahrestag des Volksaufstands außerdem den Druck auf Mursi
       erhöhen, den von Islamisten ausgearbeiteten Verfassungsentwurf zu ändern
       und mehr Rechte auf freie Meinungsäußerung zuzulassen.
       
       Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) äußerte sich besorgt über die
       anhaltende Gewalt in Ägypten. Er sehe „mit Sorge“, dass es nicht gelinge,
       „die Auseinandersetzungen um den richtigen Weg in eine gute Zukunft des
       Landes friedlich zu führen“. Der Minister bekräftigte die Unterstützung
       Deutschlands beim „langen und auch schwierigen Transformationsprozess“.
       
       26 Jan 2013
       
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