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       # taz.de -- Namensstreit: Keine Mehrheit für den Rebben
       
       > Die CDU in Charlottenburg-Wilmersdorf findet keine Unterstützer für ihren
       > Antrag, eine Wendeschleife in Wilmersdorf nach einem ultraorthodoxen
       > Rabbiner zu benennen. Eine Ausschuss-Sitzung offenbart tiefe Konflikte in
       > der Jüdischen Gemeinde.
       
   IMG Bild: Die Rabbiner Shmuel Segal (l) und Yehuda Teichtal (r.), hier beim Aufstellen eines Chanukka-Leuchters im Dezember am Brandenburger Tor.
       
       „Sie dürfen ihm nicht die Hand geben“, wird einigen der weiblichen Gäste am
       Mittwochabend im BVV-Saal des Charlottenburger Rathauses zugeflüstert.
       Gemeint ist Shmuel Segal. Der junge Mann mit dem langen Bart ist Rabbiner
       der ultraorthodoxen jüdischen Vereinigung Chabad Lubawitsch. UItraorthodoxe
       Juden meiden Berührungen mit ihnen unbekannten Frauen.
       
       Im Rathaus geht es aber um etwas ganz anderes: Die Chabad Lubawitsch möchte
       vor ihrem Berliner Bildungszentrum in Wilmersdorf ein Stück Straße nach
       ihrem siebten Rebben benennen: dem 1994 in New York gestorbenen Rabbiner
       Menachem Schneerson. Den Antrag hat die CDU eingebracht.
       
       Im Grunde geht es aber um mehr als den Namen eines „Stücks Bordstein“, wie
       die Wendeschleife der Münsterschen Straße, einer kleinen Sackgasse am
       U-Bahnhof Konstanzer Straße, von den SPD-Bezirksverordneten genannt wird.
       Deutlich wird der schwelende Konflikt zwischen Liberalen und Orthodoxen in
       der Jüdischen Gemeinde, bei dem die orthodoxe Kräfte mehr und mehr die
       Oberhand gewinnen. Die Chabad Lubawitsch ordnet der am Mittwoch als
       Sachverständiger eingeladene Wissenschaftler Micha Brumlik einer
       „neo-orthodoxen Tradition“ zu.
       
       Doch sowohl Gegner als auch Befürworter der Benennung mühen sich, die
       Brisanz des Themas zu umschiffen. Darüber, dass der gewünschte Namensgeber
       des Areals sowohl in religiöser als auch gesellschaftlicher Hinsicht
       erzkonservative Ansichten vertrat, soll möglichst nicht gesprochen werden.
       Auch nicht darüber, dass die Chabad rechtszionistische Ansichten vertritt –
       trotz der ultraorthodoxen Ausrichtung, die einem Einsatz für den Staat
       Israel üblicherweise entgegensteht. Und noch weniger darüber, dass die
       Vereinigung derzeit in die jüdischen Gemeinden in Deutschland drängt. Im
       Gender-Ausschuss der BVV soll es einzig um die Frage gehen, ob in diesem
       Fall von der Regel abgewichen werden soll, dass Orte im Bezirk nur noch
       nach Frauen benannt werden. Oft wird an diesem Abend von Normalität
       zwischen Juden und Nichtjuden gesprochen. Das krampfhafte Bemühen, keine
       Kritik an Chabad zu äußern, zeigt, wie fern diese Normalität noch ist.
       
       „Wir haben da ein recht heißes Eisen in der Hand“ stellt Christiane Timpert
       von der SPD fest. Ihre Fraktion lehnt den Antrag geschlossen ab, müht sich
       aber, allein die Frauenfrage dafür verantwortlich zu machen.
       
       Sobald doch Kritik an den Positionen der Chabad aufkommt, reagiert die
       antragstellende CDU mit dem Vorwurf, die Sozialdemokraten missachteten die
       Religionsfreiheit: „Sind Sie gegen den Antrag, weil es ein Mann ist, oder
       weil Ihnen die religiöse Ausrichtung nicht passt?“ fragt die CDUlerin
       Marion Halten-Bartels scharf in Richtung SPD. „Die Geschehnisse in der
       jüdischen Gemeinde haben uns nicht zu beeinflussen“ meint sie.
       
       Das sehen die zahlreich anwesenden Mitglieder der liberalen Gemeinden
       Berlins ganz anders. Michael Jänecke spricht von einer „Binnenmission“ der
       Chabad, die verstärkt versuche, Einwanderer aus der Ex-Sowjetunion, aber
       auch Kinder zu missionieren. „Am Ende laufen wir alle mit Pejes herum“
       prophezeit Rachel Kohn von der Synagoge in der Oranienburger Straße und
       meint die Schläfenlocken der Ultraorthodoxen.
       
       Erfolge der „Binnenmission“ sind schon sichtbar: Der Chabad-Rabbiner Yehuda
       Teichtal ist bereits Gemeinderabbiner – dabei sind die Lubawitscher gar
       nicht Teil der Jüdischen Gemeinde.
       
       Auch wenn die Auseinandersetzung erst in jüngster Zeit durch
       Abwahlforderungen gegen den Vorsitzenden Gideon Joffe wieder Aufmerksamkeit
       erhielt, der Konflikt schwelt schon viel länger. Walter Rothschild war
       eines seiner ersten Opfer. Der aus England stammende Rabbiner vertrat ab
       1998 die liberalen Gemeinden Berlins in der Oranienburger und der
       Pestalozzistraße. Seine Gottesdienste waren geprägt von politischen
       Bezügen, aber auch von oftmals derben Witzen. Die wurden ihm zum
       Verhängnis: Bei Monty Python sei er besser aufgehoben als in einer
       Synagoge, hieß es bei seiner Kündigung im Jahr 2000.
       
       Am Ende scheitert der Antrag der CDU. Bis auf eine Enthaltung der Grünen
       stimmen die Verordneten aller anderen Fraktionen dagegen. Vor dem
       endgültigen Votum der BVV berät nun der Ausschuss für Stadtentwicklung.
       
       25 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jörn Wegner
       
       ## TAGS
       
   DIR Jüdisches Leben
   DIR Rabbiner
       
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