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       # taz.de -- EU-Richtlinie zu Lohndumping: Arbeitnehmerschutz ist zweitrangig
       
       > Das Ziel der Entsenderichtlinie ist es, Lohndumping in der EU zu
       > verhindern. Mit wenig Erfolg. Eine neue Fassung soll Abhilfe schaffen,
       > bewirkt aber das Gegenteil.
       
   IMG Bild: Ausgebeutete Arbeiter: In Schlachthöfen und auf Baustellen werden häufig Dumpinglöhne bezahlt.
       
       BRÜSSEL taz | Rund eine Million Arbeitnehmer werden jedes Jahr von ihren
       Unternehmen vorübergehend in ein anderes EU-Land zum Arbeiten geschickt.
       Der Europäische Gewerkschaftsbund geht davon aus, dass bei mindestens der
       Hälfte dieser Arbeitsverträge etwas „nicht in Ordnung“ ist.
       
       „Es gibt keine offiziellen Zahlen, aber unsere Schätzungen gehen beim
       Lohndumping von dieser Größenordnung aus. Dazu kommen mehrere Millionen
       Arbeitskräfte, die als angeblich Selbstständige ausgebeutet werden“, sagt
       Werner Buelen von der Europäischen Föderation der Bau- und Holzarbeiter.
       
       Eigentlich soll in der Europäischen Union die sogenannte
       „Entsenderichtlinie“ Lohn- und Sozialdumping verhindern. Aber die
       Kontrollen in den Mitgliedsstaaten funktionieren nicht. „Die EU-Kommission
       ist bisher nur daran interessiert, es den Unternehmen so leicht wie möglich
       im Binnenmarkt zu machen. Was mit den Arbeitern passiert, ist ihr dagegen
       nicht sonderlich wichtig“, sagt Buelen.
       
       Die laufenden Verhandlungen in Brüssel geben ihm recht: Auf Druck der
       Gewerkschaften hat die EU-Kommission im vergangenen Jahr eine neue
       Richtlinie vorgelegt – angeblich um die bestehende Gesetzgebung im Sinne
       der Arbeitnehmer zu verbessern. „Es ist normal, dass Gesetze angepasst
       werden müssen. Das haben wir hiermit getan“, sagt der zuständige
       EU-Kommissar für Soziales, Laszlo Andor. „Unser oberstes Ziel ist der
       Schutz der Arbeitnehmer.“
       
       ## EU-Richtlinie schwächt deutsche Kontrollen
       
       Gewerkschaftler Werner Buelen kann darüber nur lachen. Die
       Durchsetzungsrichtline werde, so Buelen, auf deutschen Baustellen nichts
       verbessern – eher im Gegenteil: „Die EU-Kommission schränkt die
       Kontrollmöglichkeiten der Behörden stark ein.“ Zwei Beispiele: Bisher
       müssen in Deutschland die Arbeitsunterlagen – zum Beispiel Verträge und
       eine Übersicht über die Arbeitsstunden – vor Ort verfügbar sein, um
       möglichen Betrug schnell aufzudecken. Die EU-Kommission entbindet die
       Unternehmen nun von dieser Pflicht.
       
       Die Unterlagen dürften nach der neuen Richtlinie im Heimatland der
       Arbeitnehmer verbleiben. Außerdem verlangt die EU-Kommission – anders als
       bisher in Deutschland – keine verantwortlichen Ansprechpartner vor Ort
       mehr. Dabei sorgt gerade der schnelle Zugriff auf Unterlagen und
       Verantwortliche für eine bessere Aufklärung, heißt es beim deutschen Zoll,
       der die Kontrollen auf den Baustellen durchführt.
       
       EU-Kommissar Andor verteidigt seine Pläne: „Man braucht solche Personen
       nicht mehr, wenn die Arbeitsinspektionen länderübergreifend besser
       zusammenarbeiten und Informationen austauschen, wie in unserem Vorschlag
       gefordert.“
       
       Im Europäischen Parlament wird die Richtlinie heftig diskutiert. Den
       Konservativen geht sie zu weit, den Sozialdemokraten und Grünen nicht weit
       genug: „Es ist unverantwortlich, die Kontrollen weiter zu beschränken. Es
       ist die einzige Waffe gegen Lohndumping“, sagt die EU-Abgeordnete der
       Grünen, Elisabeth Schroeter.
       
       ## Fehlender Mindestlohn begünstigt Dumping
       
       In Deutschland ist die Situation für Arbeitnehmer aus anderen EU-Ländern
       besonders schwierig, weil es in den meisten Branchen keinen
       vorgeschriebenen Mindestlohn gibt. Somit sind Lohndumping Tür und Tor
       geöffnet. „Aber selbst auf dem Bau, wo es ein solches Limit gibt, wird
       betrogen, was das Zeug hält“, sagt Buelen. Meist bekämen die Arbeiter
       weniger als die Hälfte des regulären Lohnes.
       
       Besonders beliebt ist der Trick, die Arbeitnehmer, die zum Beispiel aus
       Rumänien nach Deutschland kommen, als Selbstständige anzumelden, obwohl sie
       auf der Baustelle wie weisungsgebundene Arbeiter behandelt werden. So gibt
       es keine prüfbaren Verträge oder sonstige Verpflichtungen für die
       Unternehmer.
       
       Die Gewerkschaften fordern deshalb auf EU-Ebene eine klare Definition von
       Selbstständigkeit und Vorgaben für strengere Kontrollen. Die bisherigen
       Vorschläge aus Brüssel werden dabei nicht helfen.
       
       23 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ruth Reichstein
   DIR Ruth Reichstein
       
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