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       # taz.de -- Kommentar Israel: Bewegung in der Stagnation
       
       > Das rechte Spektrum hat sich ausdifferenziert, es wird nicht leichter für
       > Netanjahu. Fest steht im Moment nur: Frieden mit den Palästinensern wird
       > es nicht geben.
       
   IMG Bild: George Clooney? Nein, Jair Lapid
       
       Der Wahlausgang in Israel bringt zwei große Überraschungen: „Halikud
       Beitenu“, eine Fusion der Parteien Benjamin Netanjahus und Avigdor
       Liebermanns, hat die Wahl zwar gewonnen. Doch schon jetzt ist klar, daß
       sich Netanjahu als kommender Premierminister schwer tun dürfte, eine
       regierungsfähige, seinen gesinnungsgestählten Vorstellungen entsprechende
       Koalition zu bilden, die zudem eine volle Amtsperiode durchhalten kann.
       
       Dass seine Partei nur knapp über 31 Mandate erringen würde, das war noch
       vor einer Woche ganz und gar nicht abzusehen.
       
       Als noch größere Überraschung allerdings dürfte der mit 19 Mandaten
       überwältigende Wahlerfolg Yair Lapids und seiner Partei „Yesh Atid“ gelten,
       womit der Polit-Newcomer, ehemaliger TV-Moderator und Publizist, an der
       Spitze der zweitgrößten Partei der kommenden Legistlaturperiode steht.
       
       Die Arbeitspartei unter Führung von Schelly Jachimowitsch, die
       orientalisch-orthodoxe Klientel bedienende Shas-Partei, die rechte
       nationalreligiöse Partei Neftali Bennetts „Habayit Hayehudi“, die allesamt
       mehr oder minder würdige Wahlerfolge zu verzeichnen haben, und die eher
       enttäuschende „Hatnua“ Tsippi Livnis – sie alle vermitteln das Gefühl einer
       Pattsituation.
       
       Nicht von ungefähr verkündete Netanjahu kurz nach Bekanntwerden der
       vorläufigen Wahlergebnisse, eine möglichst breite Regierungskoalition
       bilden zu wollen.
       
       Arie Deri, starker Mann der Shas-Partei, rief gar zur Bildung einer
       nationalen Großen Koalition auf. Wie das aber gehen soll, dürfte zur Zeit
       niemandem so recht klar sein. Denn Yair Lapid muß unbedingt als gewichtiger
       Koalitionspartner berücksichtigt werden; er will sich auch an der kommenden
       Regierung beteiligen, und zwar an prominenter Stelle.
       
       Wie aber soll er sein populistisch proklamiertes Wahlversprechen einhalten,
       für die Gleichheit in der Wehrdienstleistung zu kämpfen, wenn genau dieses
       Ziel den orthodoxen Parteien, den sogenannten "natürlichen Verbündeten"
       Netanjahus, als ein nicht hinnehmbarer Tabubruch gilt?
       
       ## Wie soll das unter einen Hut gehen?
       
       Kommt es hingegen zu einer Koalition ohne die orthodoxen Parteien – ein
       Novum in der israelischen Parlamentspraxis –, wie soll sich Tsippi Livnis
       Anspruch auf Bewegung in den Friedenverhandlungen mit den Palästinensern
       mit der kruden Siedler-nahen Ideologie Naftali Bennetts (und letztlich auch
       Netanjahus) vereinbaren lassen?
       
       Sollte sich Shelly Jachimowitsch dazu bewegen lassen, einer Großen
       Koalition beizutreten, wie soll sich ihre sozialdemokratische, auf „soziale
       Gleichheit“ ausgerichtete Gesinnung mit Netanjahus radikalkapitalistischen
       Neoliberalismus unter einen Regierungshut bringen lassen?
       
       Schafft man es aber nicht, eine breite Koalition zu konsolidieren, dürfte
       sich bei einem Kräfteverhältnis von 60 Mandaten für den rechten und 60
       Mandaten für den mitte-linken Block (ausgezählt sind 99 Prozent der
       Stimmen) die Lebensfähigkeit der nächsten Regierung als eher erbärmlich
       erweisen.
       
       ## Nichts Gutes
       
       Eines freilich ist jetzt schon klar: Für das schiere Anvisieren des
       Konflikts mit den Palästinensern, geschweige denn, für seine Lösung,
       verheißt dieser Ausgang der Wahlen nichts Gutes.
       
       Überraschend ist das nicht, denn genau dieses „Thema“ wurde von allen
       Parteien, die bei der jetztigen Wahl gute Erfolge erzielt haben, in ihren
       Wahlkampagnen wohlweislich ausgespart. Jene, die sich damit um Wählerschaft
       bemüht haben – „Meretz“, die Kommunisten, aber eben auch Livnis „Hatnua“ –,
       sind vom Wähler weiter marginalisiert worden.
       
       Was trotz des Lippenbekenntnisses Netanjahus zu Beginn der auslaufenden
       Legislaturperiode in ihrem dann folgenden Verlauf permanent unterminiert
       wurde, wird sich strukturell in der kommenden Legislaturperiode fortsetzen:
       kein Frieden mit den Palästinensern, lediglich ein wenig Bewegung in der
       zur Ideologie geronnenen Stagnation.
       
       23 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Moshe Zuckermann
       
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