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       # taz.de -- Verlierer allenthalben: Das war's mit Niedersachsen!
       
       > Hat bei der Landtagswahl am Sonntag tatsächlich die Demokratie gewonnen?
       > Ein paar der Verlierer scheinen die These zu bestätigen - aber längst
       > nicht alle.
       
   IMG Bild: Freude dank Leihstimmen: FDP-Wahlparty in Hannover.
       
       ## Verheerender Triumph
       
       Das mindeste, was man sich von einer Wahl erhofft, ist: Klarheit. Natürlich
       geht es auch immer um Mandate und Pöstchen, aber all das ist ja, wie wir
       dank Peer Steinbrück (SPD) wissen, nicht ausreichend honoriert, um eine
       fundamentale Verunsicherung zu ertragen. Und in die haben die
       niedersächsischen WählerInnen nun die FDP gestürzt.
       
       Denn anders als 9,9 Prozent suggerieren, sind die Niedersachsen weder der
       Partei noch dem Personal gewogen: Nur 20 Prozent der FDP-WählerInnen finden
       die FDP laut MeinungsforscherInnen gut. Und ganze drei Prozent aller vor
       den Wahllokalen Interviewten halten die Partei, die den Wirtschaftsminister
       im Bund und in Niedersachsen bislang stellt, für ökonomisch kompetent.
       
       Das bedeutet: Die Liberalen müssen nun damit umgehen, dass sie gewählt
       werden, nicht obwohl, sondern weil niemand ihnen etwas zutraut und alle sie
       für unfähig halten. Insofern läge es für sie nahe, ihre nervende, aber
       harmlose Vergangenheit als Spaßpartei wieder aufleben zu lasssen.
       
       Ganz in diesem Sinne hat Philipp "Fips" Rösler aus Osnabrück dann gestern
       versucht, die Konsequenzen aus dem verheerenden Niedersachsen-Triumph zu
       ziehen - indem er anbot, den Vorsitz der Bundespartei niederzulegen.
       
       ## Die da oben sind schuld
       
       Die Linke ist ein inhaltlicher Verlust für den Landtag: Von einer
       schwarz-gelben Opposition wird die Regierung Stephan Weils jedenfalls
       keinen Druck bekommen bei der Abschaffung der Studiengebühren.
       
       Mit der Fraktion scheidet allerdings auch ein Erklärmodell aus dem Landtag
       aus, das niemand braucht - nämlich, dass die da oben schuld sind. An allem.
       Und besonders am Elend der Linken: Zu dieser obskuren Macht zählen die
       Meinungsforscher, die Die Linke dauernd bei nur vier Prozent und schlechter
       taxierten, aber auch die Bundespartei: Deren Führungsstreit war schuld an
       der mangelhaften Wahrnehmung der Niedersachsen-Fraktion. Auch Medien, die
       sie erwähnten, trugen Verantwortung fürs drohende Debakel.
       
       Bereits am Wahlabend war dann klar: Dass Die Linke im Vergleich zu 2008
       über 106.000 WählerInnen verloren hat, haben SPD und Grüne verbockt. Die
       hätten es verhindern können - mit einer kleinen netten
       Solidaritätsbekundung.
       
       Die Linke sollte diesen Gesten der Unterwerfung abzulegen lernen. Schafft
       sies, wird sie wieder gebraucht. Dafür hat sie jetzt viel Zeit gewonnen.
       
       ## Versagen im Stammland
       
       Bitter für die NPD: in Niedersachsen konnte Spitzenkandidat Adolf Dammann
       das Wahlergebnis von 2008 nicht erreichen. Statt 1,5 Prozent erhielt die
       NPD am Wahlsonntag 0,8 Prozent. In dem "Stammland der Partei", wie die NPD
       Niedersachsen wegen ihrer Gründung in Hannover gerne nennt, sollte aber ein
       Achtungserfolg erreicht werden. Anders als bei den Wahlen in Hamburg und
       Schleswig-Holstein setzte die Parteiführung mehr Geld und Personal ein.
       
       Noch am Samstag war die NPD in der Landeshauptstadt Hannover mit ihrem
       Partei-LKW aufgefahren - und den bekannten Botschaften "Einwanderung
       stoppen" und "Raus aus dem Euro". Der NPD-Landesvorsitzende Manfred Börm
       versuchte sogar, einen Witz zu machen, als er Dammann das Mikrofon mit den
       Worten übergab: "Der Name ist Programm" - wohl eine Anspielung auf Dammanns
       Vornamen.
       
       In der heißen Wahlkampfphase war eine Wahlkampftruppe mit dem
       NPD-Bundesvorsitzenden Holger Apfel durch mehrere Städte getourt - es
       sollte nicht nutzen. In einer ersten Stellungnahme erklärt die Partei, sie
       habe sich leider trotz eines "engagierten Wahlkampfes" nicht durchsetzen
       können.
       
       Der Einbruch hat für die Partei Folgen: Die Ein-Prozent-Hürde für die
       Wahlkampfkostenrückerstattung wurde verfehlt. Und die Mobilisierungschancen
       für kommende Wahlen im Westen dürften gesunken seien.
       
       ## Das Elend der Metapher
       
       Der antike Dichter Lukrez gehörte zu den ersten Schriftstellern, die den
       Schiffbruch als Metapher literarisch erkundeten. "Süss ists", schrieb also
       besagter Lukrez im Jahre 99 unserer Zeitrechnung, "anderer Not bei tobendem
       Kampfe der Winde, auf hoch wogigem Meer vom fernen Ufer zu schauen." Es
       gehe dabei, nicht um Schadenfreude, betont er umgehend, "sondern weil man
       daran sieht, von welchem Elend man frei ist".
       
       Auf niemanden passt das so gut, wie auf die Niedersachsen-Piraten. Die
       mühten sich fast das ganze Jahr 2012 damit ab, eine Wahlliste aufzustellen.
       Als sie sich dann auf vier bis fünf SpitzenkandidatInnen geeinigt hatten,
       formulierten sie sogar ein Wahlprogramm, das nach hitziger Debatte ohne den
       Unterpunkt auskam, Adolf Hitlers Mein Kampf künftig zur Pflichtlektüre an
       niedersächsischen Schulen zu erklären und auch ohne den Appell,
       Holocaust-Leugnung künftig als freie Meinungsäußerung zu respektieren.
       
       Im Wahlkampf übernahmen sie für Die Linke das Twittern und strengten eine
       kompliziert klingende Datenschutzbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof
       an, sprich, sie führten vor, "von welchem Elend man frei ist" (Lukrez), und
       es war süß, ihnen dabei zuzusehen - dem Partei gewordenen Schiffbruch.
       
       Was der Landespolitik ohne sie fehlt? Wir haben keine Ahnung. Die
       ausgelutschten nautischen Sprachbilder aber werden wir nicht vermissen.
       
       ## Endgültig abgeschoben
       
       Holzminden liegt im Windschatten der großen Routen, und ist doch das
       heimliche politische Zentrum Niedersachsens. Dort hat auch Uwe Schünemann
       (CDU), Niedersachsens bisheriger Innenminister, seinen Wahlkreis. Der Mann,
       der angeblich statt Herz nur einen rechten Fleck hat, hatte sein
       Direktmandat dort noch 2008 mit 47,6 Prozent verteidigt. Diesmal hat er nur
       40,6 bekommen. Zu wenig für den Abschiebe-Champion. Die SPD-Bewerberin
       Sabine Tippelt bekam 672 Stimmen mehr, und es ist gut, dass es so knapp
       war. Denn dann grämt er sich vielleicht mehr und denkt: Es wäre doch noch
       was drin gewesen für ihn, und er hätte es verhindern können.
       
       Dafür hat Schünemann jetzt definitiv viel Zeit. Denn die Landesliste, auf
       der er weit vorne stand, greift nicht: Schünemann ist raus, er bleibt raus.
       Mit seiner persönlichen Abwahl hat die Weisheit der Holzminder WählerInnen
       zugleich verhindert, dass die Christdemokraten ein zweites Überhangmandat
       ergattern. Das hätte im Landtag zu einem Patt geführt - und bei der
       Regierungsbildung eine große Koalition quasi erzwungen, und David
       McAllister gerettet, der sich bis zum bitteren Ende an seinen Innenminister
       klammerte. Nun weiß er, was er davon hat.
       
       21 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
   DIR Andreas Speit
       
       ## TAGS
       
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