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       # taz.de -- Nach der Niedersachsen-Wahl: Das Revival der Lager
       
       > Zur Bundestagswahl wird die CDU wohl nicht die FDP mit Zweitstimmen
       > stützen. Die klassischen Lager werden aber trotzdem ein Comeback erleben.
       
   IMG Bild: Hält sich eine Option rechts der Mitte offen: Bundeskanzlerin Merkel
       
       BERLIN taz | Angela Merkel beendete heimliche Träumereien mancher
       Freidemokraten nonchalant, wie es ihre Art ist. Fast beiläufig erklärte sie
       am Montag bei ihrem Nach-Wahl-Auftritt im Berliner Konrad-Adenauer-Haus:
       „Es wird eine Bundestagswahl sein, in der jeder für sich kämpft.“ Vorher
       erlaubte sich die Kanzlerin die süffisante Anmerkung, sie habe ja immer
       gesagt, die FDP werde ihren Weg finden – aber manchmal glaube ihr ja
       niemand.
       
       „Allein nicht lebensfähig“, „Fremdblutinfusion“, „Outsourcing der CDU“: Für
       den überraschenden Erfolg der FDP in Niedersachsen erfand der politische
       Gegner in Windeseile hässliche Beschreibungen. Die Freidemokraten schafften
       fast 10 Prozent, nachdem sie in Umfragen monatelang unter der
       Fünfprozenthürde vor sich hin dümpelten. Den Schaden hatte ein abgewählter
       und derangiert aussehender CDU-Ministerpräsident David McAllister, der mit
       Schatten unter den Augen neben Merkel stand. Denn die Zweitstimmen, die die
       FDP dopten, kamen vor allem von seiner CDU.
       
       Die Kanzlerin könnte aus dieser Stimmenrochade zwei Lehren ziehen, eine für
       sie gute und eine schlechte. Die Union ist offenbar problemlos in der Lage,
       eine kränkelnde FDP mit in ein Parlament zu hieven, um sich eine Option
       rechts der Mitte zu bewahren. Das Problem ist nur, dass eine solche
       Operation die CDU so schwächen kann, dass am Ende die Machtperspektive
       fehlt.
       
       McAllister, ein Hoffnungsträger in der CDU, bekam das zu spüren. Zwar habe
       er selbst immer dafür geworben, beide Stimmen seiner Partei zu geben,
       betonte er am Montag. Dennoch durften Hinterbänkler der Fraktion vor der
       Landtagswahl ungestraft zur Wahl der FDP aufrufen, ein CDU-Abgeordneter
       brüstete sich damit, seine Stimme per Briefwahl an die Liberalen abgetreten
       zu haben. McAllister selbst trat auf Großveranstaltungen seines
       Wunschpartners auf und lobte die Liberalen über den grünen Klee. Die
       CDU-Wähler verstanden die Botschaft.
       
       Aus den Zahlen der Meinungsforschungsinstitute sticht der breite
       Stimmenstrom von der CDU zur FDP hervor. Laut Infratest dimap wanderten
       104.000 Wähler von der CDU zur FDP ab, nur 37.000 zur SPD, 20.000 zu den
       Grünen. Die Forschungsgruppe Wahlen sprach von einem
       „Last-Minute-Transfer“. Demnach hätten 80 Prozent der FDP-Wähler eigentlich
       lieber der CDU ihre Zweitstimme gegeben. Solche Daten sind mit Vorsicht zu
       genießen, weil die statistischen Fehlerquoten groß sind. Doch in diesem
       Fall legen alle Umfragen dieselbe These nahe: Die FDP in Niedersachsen und
       ihr Bundeschef Philipp Rösler verdanken ihr politisches Überleben
       McAllisters CDU.
       
       ## Untersteuerbarer Stimmenverleih
       
       Dass die Kanzlerin eine solche Rettungsaktion für den Bund weit von sich
       weist, ist gleich aus mehreren Gründen nachvollziehbar.
       Leihstimmen-Kampagnen, das zeigt die Historie auch an anderen Beispielen,
       sind nicht steuerbar. Wer wie viel verliert und gewinnt, ist
       unkalkulierbar. Im Bund gibt es zudem eine anders geartete
       Parteienlandschaft. Die Linkspartei, die in Hannover aus dem Parlament
       flog, ist wegen ihrer Stärke in Ostdeutschland in Berlin ein sicherer
       Faktor. Allein deshalb wird es für Zweierbündnisse – also Schwarz-Gelb oder
       Rot-Grün – äußerst eng. In so einer Situation denkt jeder erst mal an sich.
       
       Und schließlich bringt es zwei Wunschpartnern wenig, wenn sie wie
       kommunizierende Röhren ihre Wähler tauschen. Wichtig sei, sagt Merkel in
       der CDU-Zentrale, „dass wir uns die Stimmen nicht im gleichen Feld nehmen,
       sondern uns verbreitern.“ Deshalb werde sich die CDU nicht scheuen, im
       Wahlkampf Dissense mit der FDP zu thematisieren, kündigt Merkel an – etwa
       bei der Lohnuntergrenze.
       
       Die Strategie der Kanzlerin ist also ein Dreiklang: Klares Bekenntnis zum
       Lager, also zum Wunschpartner FDP. Inhaltlich voneinander abgrenzen, um
       viele Milieus anzusprechen. Und am Wahlabend, wenn die Lieblingsoption
       nicht funktioniert, flexibel bleiben. Nach dem gleichen Prinzip verfahren
       SPD und Grüne. Nicht umsonst betonte der starke Mann der Grünen, Jürgen
       Trittin, am Montag erneut, es komme im Bund auf starke Grüne und auf die
       Mobilisierung an. Die klassischen Lager werden in den kommenden Monaten
       also ein Revival erleben. Und Niedersachsen hat gezeigt, dass der Kampf um
       jede Stimme lohnt.
       
       21 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR M. Reeh
   DIR U. Schulte
       
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