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       # taz.de -- Kubanischer Journalist über Reformen: „So macht man keine Politik“
       
       > Die Kommunisten verstehen das Land nicht mehr, sagt der kubanische
       > Herausgeber Roberto Veiga. Er plädiert für das Ende der Konfrontation mit
       > den USA.
       
   IMG Bild: Warten in Havanna. Worauf? Ein Visum.
       
       taz: Herr Veiga, gerade ist das neue Gesetz über Migration und
       Reisefreiheit in Kraft getreten, und noch mehr Menschen als bisher wollen
       Kuba verlassen. Was sagen Sie, wenn jemand Sie fragt: Roberto, soll ich
       bleiben oder gehen? 
       
       Roberto Veiga: In Kuba haben wir nichts. Vor allem die jungen Leute haben
       keinerlei materielle Anreize, um in Kuba zu bleiben. Sie haben nicht die
       Möglichkeit, an der Gestaltung des Landes mitzuwirken. Sie haben keine
       Mittel, das zu ändern. Sie fühlen sich in dieser Realität fremd und wollen
       ihr in ein Land entfliehen, wo sie mitarbeiten können. Auch meine Kinder
       wollen das. Sie wollen ihr eigenes Leben leben. Ich kann keinen Kubaner
       drängen, hierzubleiben.
       
       Seit seinem Amtsantritt spricht Präsident Raúl Castro von Reformen. Was hat
       er erreicht? 
       
       Er hat eine Debatte mit dem Volk begonnen – allerdings sehr von oben nach
       unten: eine Debatte mit der Macht, nicht innerhalb des kubanischen Volkes.
       Aber immerhin: So etwas hat es vorher noch nie gegeben. Auf dem Parteitag
       der Kommunistischen Partei 2011 wurden ökonomische Leitlinien
       verabschiedet, die positiv sind. Sie lassen einen großen
       Interpretationsspielraum für die Zukunft der kubanischen Wirtschaft zu. Die
       Regierung hat allerdings derzeit nur eine Minimalinterpretation vorgenommen
       und im Dienstleistungssektor private Kleinbetriebe zugelassen. So wird das
       Land nicht vorankommen.
       
       Kann die Kommunistische Partei das? 
       
       Auf dem letzten Parteitag lagen große Hoffnungen, aber es kam anders. Die
       KP präsentierte sich als alte Avantgardepartei, die weit davon entfernt
       ist, in einen Dialog zu treten. Sie sucht das Vertrauen der kubanischen
       Gesellschaft, ohne mit ihr zu sprechen. So macht man keine Politik im Kuba
       des 21. Jahrhunderts. Jetzt herrscht Frustration.
       
       Hat die Regierung aus dem Ende des osteuropäischen Staatssozialismus den
       Schluss gezogen, jede schnelle Dynamik der Veränderung unbedingt zu
       vermeiden? Viele hatten gedacht, dass mit dem Abtritt Fidel Castros solch
       ein Moment gekommen wäre. 
       
       Die Erfahrung Osteuropas, wo die früheren Regierungsparteien alles verloren
       haben, muss den Regierenden Angst machen. Aber sie sind ja schon dabei, das
       Land zu verlieren, sie verstehen das Land, das sie führen, nicht. Wenn sie
       so weitermachen, werden sie alles verlieren. Es wäre besser gewesen,
       rechtzeitig Reformen zu beginnen, als zu riskieren, als politische Kraft
       vollends zu verschwinden. Sie haben eine verbrauchte Partei, ein
       abgenutztes Einparteiensystem. Ihr verdammter Wunsch, alles zu besitzen und
       zu kontrollieren, führt sie geradewegs in ein historisches Desaster.
       
       Wenn die Kommunistische Partei es also nicht sein kann, es aber weder
       nennenswerte andere Parteien noch oppositionelle Massenmedien gibt, weil
       beides verboten ist – wer kann denn dann einen organisierten Wandel
       anführen, der nicht im Chaos endet? 
       
       Es gibt leider niemanden. Wenn die Dinge so weitergehen wie jetzt, wird
       nach Raúl Castro die Technokratie nach und nach das Land übernehmen. Das
       wäre eine Bürokratie, die das Land ohne politische Kriterien führt, nur aus
       verwaltungs- und finanztechnischer Perspektive. Das kann ein paar mehr
       Freiheiten bringen, wird aber das Land noch weiter zerstören.
       
       Welche Rolle spielen die Kubaner im Ausland? 
       
       Die Integration der in der Diaspora lebenden Kubaner ist wichtig für den
       Zusammenhalt und die Harmonie der kubanischen Gesellschaft. Leider schafft
       auch das neue Migrationsgesetz keine Voraussetzung dafür, dass sich die
       Kubaner im Ausland in die kubanische Gesellschaft einbringen könnten. Das
       muss aber sein, denn es sind Kubaner, es sind unsere Brüder, es tut ihnen
       weh, weit weg zu sein. Es wird auch wichtig sein, dass sie auf der Insel
       investieren.
       
       Fast überall auf der Welt gibt es Leute, die Fidel Castro und das
       kubanische Modell als Bollwerk gegen den US-Imperialismus bewundern. Was
       antworten Sie? 
       
       Die USA halten sich oft für die Herrscher der Welt; sie wollen sie führen
       und kontrollieren. Dagegen aufzustehen ist legitim, und die kubanische
       Regierung hat das getan. Aber dieser Widerstand darf nicht auf Kosten des
       kubanischen Volkes gehen. Kuba wird sich ohne enge Beziehungen zu den USA
       nicht entwickeln können, das geht nicht. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts
       gibt es enge kulturelle Verbindungen zwischen Kuba und den USA, heute sind
       viele unserer Familienangehörigen US-Amerikaner. Die USA sind Kubas
       natürlicher Handelspartner, und das werden sie auch in Zukunft sein, wenn
       Kuba sich entwickeln will. Wir dürfen die Würde der Kubaner nicht zugunsten
       der Konfrontation mit der US-Politik opfern.
       
       In seinem ersten Wahlkampf hat Obama suggeriert, eine neue Kubapolitik
       verfolgen zu wollen. Dann ist nichts passiert. Trägt die Blockade derzeit
       eigentlich zur Stabilisierung oder vielmehr zur Destabilisierung der
       kubanischen Regierung bei? 
       
       Ich bin überzeugt davon, dass Präsident Raúl Castro die Blockade als ein
       Übel ansieht, das seine Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Gleichwohl gibt
       es in seinen politischen Kreisen viele, die davon ausgehen, dass eine
       Aufhebung der Blockade jetzt zur Destabilisierung der Regierung führen
       würde. Denn es würden die Argumente wegfallen, mit denen man derzeit
       begründet, warum man das Land politisch, gesellschaftlich und
       wirtschaftlich nicht öffnen kann.
       
       Was würden Sie der Europäischen Union raten, die ja auch seit einigen
       Jahren eine Reihe von Sanktionen gegen Kuba verhängt hat? 
       
       Die EU sollte sich nicht als Richter über Kuba aufspielen, sondern als
       Freund. Ich verstehe, dass die kubanische Regierung manchmal bedauerliche
       Entscheidungen fällt. Aber ich glaube nicht, dass da Sanktionsmaßnahmen
       nutzen. Sie machen Einflussnahme und Dialog unmöglich, und das hilft nicht.
       
       Die Kirche scheint ja derzeit eine wahre Freundschaft zur Regierung zu
       entwickeln. 
       
       Unmittelbar nach der Revolution stellte sich die Kirche gegen die neue
       Regierung. Die wichtigsten Führer der Konterrevolution kamen aus der Kirche
       oder wurden von der Kirche unterstützt und bestimmten auch die Position der
       Kirche gegenüber der Regierung. Erst später begriff die Kirche, dass
       Konflikt und Konfrontation keine Lösung waren. Sie musste an der
       Gesellschaft teilhaben und allen Kubanern offenstehen. Dieser Ansatz
       beunruhigte die Regierung damals sehr, es kam wieder zu Spannungen. Aber
       die Kirche verfolgte keine geheimen Interessen, und in den letzten Jahren
       des Pontifikats von Johannes Paul II. kam es zu einem Prozess neuen
       gegenseitigen Vertrauens. Das hatte schon unter Fidel Castro gut begonnen,
       aber mit Raúl Castro gab es einen qualitativen Sprung. Er führt einen
       offenen und ehrlichen Dialog mit der Kirche.
       
       In anderen Ländern Lateinamerikas spielen Kirchenvertreter eine große Rolle
       beim Schutz der Menschenrechte. Auf Kuba sehe ich das nicht. 
       
       Die Kirche interveniert häufig, damit die Regierung anders mit der
       Opposition umgeht und die Gefangenen besser behandelt oder freilässt.
       Manche sind auf ihre Initiative freigekommen, ohne dass sie selbst davon
       wissen. Die Kirche arbeitet im Stillen, und sie redet mit der Regierung.
       Für manche gilt das schon als Verrat. Aber nur so geht es.
       
       20 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Pickert
       
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