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       # taz.de -- Wahlen in Israel: Wenn drei sich streiten
       
       > Die drei moderaten Spitzenkandidaten in Israel sind untereinander heillos
       > zerstritten. Daran scheitert ein Bündnis gegen Amtsinhaber Netanjahu.
       
   IMG Bild: Gemeinsam nur auf dem automatischen Plakatwechsler: Jachimowitsch von der Arbeitspartei und Ministerpräsident Netanjahu
       
       JERUSALEM taz | Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird
       die Wahl in der kommenden Woche gewinnen. Warum? Weil es keinen
       Gegenkandidaten gibt.
       
       Die drei relevanten Parteien der Mitte könnten ihn theoretisch schlagen,
       wenn sie wie Netanjahus Bündnis aus Likud und Israel Beteinu Hand in Hand
       antreten würden. Stattdessen schlagen sich Schelly Jachimowitsch von der
       Arbeitspartei, die neue „Bewegung“ von Exaußenministerin Zipi Livni und die
       ebenfalls neue Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) des politischen
       Frischlings Jair Lapid gegenseitig die Köpfe ein.
       
       Die drei Spitzenkandidaten im Zentrum von Israels Parteienlandschaft sind
       alle um die 50. Jachimowitsch und Lapid kommen aus dem Journalismus, sie
       war beim Rundfunk, er war Moderator eines populären TV-Nachrichtenmagazins.
       Während Lapid mit viel Charme und hübschem Gesicht sein Publikum fast
       automatisch für sich einnimmt, fliegen der deutlich weniger charismatischen
       Jachimowitsch die Sympathien nicht so schnell zu. Zwar gelang es, die
       Sozialdemokraten unter ihrem Zepter wieder zur zweitgrößten Partei werden
       zu lassen, viele Stammwähler nehmen ihr aber übel, dass sie das
       Palästinenserproblem komplett ausspart.
       
       „Ohne Friedens- und Sicherheitsagenda hat sie von vornherein keine Chance,
       mit der Arbeitspartei als stärkster Fraktion aus den Wahlen hervorzugehen“,
       schreibt die Zeitung Ha’aretz. Livni, die Dritte im Bunde, ist Juristin und
       verfügt als Einzige über Kabinettserfahrungen, was ihr jedoch nicht
       zwingend Punkte bringt, denn sie hat in ihrer Zeit als Außenministerin im
       Friedensprozess nichts erreicht.
       
       ## Machtgier statt Macht
       
       Die Machtgier der drei Mitte-Politiker hindert sie daran, gemeinsam die
       Macht zu gewinnen. „Nur unter meiner Führung“ lautet das Mantra der
       Sozialdemokratin Jachimowitsch seit Beginn des Wahlkampfs. Anstatt sich ihr
       anzuschließen und unterzuordnen, gründeten Lapid und Livni kurzerhand ihre
       jeweils eigene Parteien.
       
       Livni hatte nach verlorener parteiinternen Wahl bei der Kadima im letzten
       Frühjahr ihrem parteipolitischen Zuhause den Rücken gekehrt. Erst im
       November kündigte sie die Gründung der „Bewegung“ an, was vor allem für
       Jachimowitsch ein schwerer Schlag war. Laut Umfragen kostete es sie fünf
       bis sechs Mandate.
       
       Livnis letzte Versuche, die drei Parteien unter einen Hut zu bringen, um
       Netanjahu vereint Paroli zu bieten, endeten in wüsten Anfeindungen gegen
       die Exaußenministerin. Ginge es nach Livni, könnten die drei Mitteparteien
       als Block in die Regierung ziehen, um „neben dem Fahrer zu sitzen und auf
       die Bremse zu treten oder ihm ins Lenkrad zu greifen“, wenn das nötig sein
       sollte.
       
       ## Weichen für den Friedensprozess
       
       Ideologisch unterscheiden sich die Mitteparteien nur in Nuancen. Jeder legt
       die Betonung auf etwas anderes. Jachimowitsch will soziale Reformen
       vorantreiben, Lapid die staatsbürgerlichen Pflichten gerechter verteilen,
       Livni ist die Einzige, die von Friedensverhandlungen mit den Palästinensern
       spricht. „Lasst mich nur in den Verhandlungsraum“, sagt sie heute
       selbstbewusst, „ich weiß, wie man ein Abkommen erreicht.“
       
       Was Livni zum Friedensprozess treibt, ist weniger die Sorge um das
       palästinensische Volk oder die Wahrung von Menschenrechten, sondern die
       Zukunft Israels. Der Staat befinde sich am Scheideweg, sagt sie. Jetzt
       gelte es, zwischen Eretz Israel (Großisrael; Israel und Palästina zusammen)
       und dem jüdischen, demokratischen Staat Israel zu entscheiden, was
       dauerhaft nur durch eine Trennung der Völker, als mit zwei Staaten möglich
       sei. Bevor es zu spät sei, müssten zudem die Weichen gestellt werden für
       einen Rechtsstaat oder einen Staat der Halacha (des jüdisch-orthodoxen
       Rechts).
       
       ## Kein Geld für die Ultraorthodoxen
       
       Mit derart scharfen Tönen, gerichtet an die Gegner der Zweistaatenlösung
       und die Ultraorthodoxen im Land, liegt sie auf derselben Linie wie Jair
       Lapid, der fast im Wortlaut vor den Rechten und den Charedim, den
       religiösen Fundamentalisten, warnt, auch wenn seine Motivation eine andere
       ist. Lapid geht es um den Mittelstand, der die größte Steuerlast trägt.
       Nicht ohne Zynismus spricht der frühere Anchorman von den „finanziellen
       Kosten“ einer dritten Intifada.
       
       Sollte sich Netanjahu erneut die Religiösen ins Kabinett holen, würden
       zudem Milliarden in die Kassen des ultraorthodoxen Establishments fließen.
       „Das muss verhindert werden.“ Lapid will mitregieren. Zwar mache es ihn
       nicht glücklich, zu sehen, wie Netanjahu bei allen Umfragen vorn liegt,
       aber so sei es nun einmal; deshalb appelliert er an Livni und
       Jachimowitsch, gemeinsam in eine nationale Einheitsregierung einzuziehen.
       
       „Unter keinen Umständen“ will jedoch die Sozialdemokratin Jachimowitsch im
       Kabinett Netanjahus sitzen. In den vier Jahren seiner Regierung habe sich
       die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft und die Lebenshaltungskosten
       seien gestiegen. „Es kann hier besser sein“, ist ihre Devise, und sie
       verspricht, „das familiäre Netto“ vor allem der Mittelklasse wachsen zu
       lassen, indem sie die Reichen zur Kasse bittet und nationale Ressourcen
       gerechter verteilt.
       
       Jachimowitschs Sozialagenda ist ihr Ass. Zwei führende Köpfe der
       Sozialproteste, die vor eineinhalb Jahren über 400.000 Menschen auf die
       Straße brachten, Staf Schafir, Mitinitiatorin der Zeltproteste auf dem
       Rothschild-Boulevard, und der Wirtschaftsexperte Prof. Yossi Yonah, sitzen
       auf aussichtsreichen Listenplätzen der Arbeitspartei.
       
       19 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Knaul
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