URI: 
       # taz.de -- Bauingenieur über ÖPP-Machenschaften: „Ich wäre dafür im Knast gelandet“
       
       > Manche Politiker haben nichts gegen frisierte Gutachten. Das sei gut für
       > die Bauindustrie und schlecht für die Allgemeinheit, meint
       > Privatisierungskritiker Carl Waßmuth.
       
   IMG Bild: Auch privatisiert: Der Knast in Hünfeld. Ein Lieblingsprojekt von Ex-Ministerpräsident Roland Koch (jetzt Bilfinger Berger-Boss)
       
       taz: Herr Waßmuth, Sie setzen sich ehrenamtlich mit dem komplizierten Thema
       der Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP) auseinander. Wie kamen sie
       dazu? 
       
       Carl Waßmuth: Als Bauingenieur habe ich ab 2005 festgestellt, dass sich die
       großen Baufirmen transformieren. Dass sie immer weniger bauen und immer
       mehr Dienstleistungen anbieten. Bei einem Symposium trafen sich
       Firmenvertreter und betonten, sie wollten bis zu 10 Milliarden Umsatz mit
       ÖPP machen. Das hat mich sehr erstaunt.
       
       Die Höhe des Umsatzes hat Sie überrascht? 
       
       Ja, das Volumen. Und dass die Bauindustrie jetzt Dienstleister werden will.
       Ich habe mich gefragt, wer dann noch baut, wenn es die großen Konzerne
       nicht mehr machen. Und mich hat die Fokussierung auf den Staat erstaunt.
       
       Wie erklären sie sich heute das Interesse der Baukonzerne am Staat? 
       
       Die Baubranche war damals in einer großen und ungewöhnlich langen Krise.
       Bis hin zum Sterben, etwa von Holzmann. Im Servicebereich sahen die
       Konzerne eine Möglichkeit für höhere Renditen. Und Hochtief ging es damit
       gar nicht so schlecht. Man sagte, das sei eigentlich eine Bank mit
       angehängter Bauabteilung, weil die so viel Kapital hatten. Dieses Kapital
       wollten sie effektiver einsetzen als beim Bauen. Das führte zur
       Konstruktion von ÖPP, die ein Zwitter zwischen Bauen und Investment sind.
       
       ÖPP ist auch ein Finanzprodukt? 
       
       Es handelt sich primär um ein Finanzgeschäft mit Infrastruktur als Basis.
       Alles wird in einen großen Vertrag gepackt, der dann handelbar ist.
       
       Was bedeutet das für die staatliche Seite? 
       
       Die Finanzialisierung der öffentlichen Infrastruktur. Der Staat schließt
       den Vertrag beispielsweise mit einer Tochtergesellschaft von Bilfinger
       Berger ab. Die Anteile der Tochter Bilfinger Berger Global Infrastructure
       Fund können dann weiterverkauft werden. Diese hat ihren Sitz übrigens in
       Luxemburg, was man ja als Steueroase bezeichnen kann. Der Chef von
       Bilfinger Berger ist Roland Koch, der zuvor als hessischer
       Ministerpräsident einer der vehementesten ÖPP-Verfechter war.
       
       Den Konzernen geht es also im Kern nicht darum, eine Autobahn zu bauen,
       sondern darum, ein Finanzprodukt am Markt zu platzieren? 
       
       Genau. Das Bauprojekt ist vor allem das Pfand. Das Interessante daran ist,
       dass es sich um ein staatliches Pfand handelt. Das minimiert das Risiko.
       Ein drastischer Ausfall der Zahlungsflüsse ist da unwahrscheinlich. Die
       Autobahn muss einfach betrieben werden. Wenn sie aufgrund irgendwelcher
       Fehler kaputtgeht, springt im Zweifel wieder der Staat ein. Das ist
       deutlich weniger riskant als andere Finanzprodukte. Damit werben auch die
       Infrastrukturfonds. Bei der A7 haben externe Berater die Daten verändert.
       
       Wieso vertraut Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer eher diesen Beratern
       als den eigenen Beamten? 
       
       Politiker wollen mit solchen Projekten Wähler gewinnen. Man möchte
       entsprechende Ergebnisse haben und das Band an der Autobahn durchschneiden.
       Dazu braucht man dann das entsprechende Gutachten. Es gibt praktisch keine
       unabhängige Beraterbranche bei ÖPP. Uns ist kein Gutachten bekannt, das von
       ÖPP abriet. Es wird immer empfohlen, ÖPP zu machen. Erst dann verdienen die
       Gutachter Geld.
       
       Würden sie das Vorgehen bei der A7 also als Korruption bezeichnen? 
       
       Dass man pauschale Effizienzurteile trotz der empirischen Daten in der
       Berechnung lässt, obwohl sie widerlegt wurden: das ist eine gezielte
       Manipulation der Grundaussagen und aus moralischer Sicht verwerflich.
       Inwiefern das strafrechtlich relevant ist, kann ich nicht beurteilen. Als
       Bauingenieur komme ich ins Gefängnis, wenn ich meine statische Berechnung
       einer Brücke manipuliere.
       
       Gibt es eine Möglichkeit, ÖPP als Modell zu reformieren? 
       
       Nehmen wir an, es kommt nicht schon am Anfang zu Merkwürdigkeiten, wel die
       Berater sauber arbeiten. Es gibt also ein transparentes Verfahren, die
       Wirtschaftlichkeitsuntersuchung wird offen gelegt. Und es ist
       nachvollziehbar, woher der Effizienzvorteil kommt. Und doch bliebe ein
       fundamentaler Nachteil. Denn man fällt eine Entscheidung für 30 Jahre, die
       Verträge sind ja nicht kündbar. Dann hätte man in dieser Zeit ein
       Demokratiedefizit, weil Private die Verantwortung tragen. Ein
       Reformvorschlag wäre es, die Kündbarkeit der Verträge einzuführen. Dann
       aber ist man wieder bei einer konventionellen Ausschreibung. Die Gefahren
       der ÖPP bleiben also.
       
       Welche sind das? 
       
       Dass die Interessen der öffentlichen Hand sich vor Gericht doch nicht
       durchsetzen lassen. Wie bei Toll Collect, wie bei der Elbphilharmonie. Dass
       die öffentliche Hand in der langen Zeit ihre Kompetenz für solche Projekte
       abgebaut hat. Dann kann sie das gar nicht mehr übernehmen und ist abhängig
       von irgendwelchen Privaten, die das dann machen. Oder dass die
       Infrastruktur am Ende kaputt ist. Weil sich am besten Geld verdienen lässt,
       wenn man nicht investiert.
       
       Dennoch gibt es in der Politik viele Befürworter. Spinnen die alle? 
       
       Ich würde nicht von einer breiten Mehrheit sprechen. Es ist ein Modell, das
       stark nach dem Top-down-Prinzip verläuft. Es sind einzelne Akteure in den
       Parteispitzen, die sich sehr stark einsetzen. Die anderen sind eher
       desinteressiert bis kritisch – selbst sehr Konservative in der CDU. Aber es
       gibt eben Politiker, die sind stark damit verknüpft. Die haben es
       geschafft, das Thema durchzusetzen. So lange das unter der
       Wahrnehmungsschwelle bleibt, gelingt es über Lobbying und durch
       politökonomische Verbindungen ÖPP am Leben zu erhalten. Wenn die
       Aufmerksamkeitsschwelle überschritten wird, dann ist es damit vorbei. Dann
       wird es viel schwerer, die zahlreichen Gegenargumente zu widerlegen. Diese
       Debatte kommt gerade.
       
       Ín Großbritannien, dem Erfinderland von ÖPP, gab es eine
       Untersuchungskommission. Das Ergebnis war für ÖPP vernichtend. Ist das in
       Deutschland auch nötig? 
       
       Das ist ganz dringend nötig. Es handelt sich ja nicht nur um eine
       Randerscheinung unserer Volkswirtschaft. Das ist die Form von
       Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, die am schnellsten wächst
       und ganze Infrastrukturbereiche im Umfang vieler Milliarden Euro betrifft.
       
       17 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kai Schlieter
   DIR Kai Schlieter
       
       ## TAGS
       
   DIR PPP
   DIR Finanzen
   DIR Privatisierung
   DIR ÖPP
   DIR Deutsche Bank
   DIR Rücktritt
   DIR ÖPP
   DIR Privatisierung
   DIR A7
   DIR ÖPP
   DIR Privatisierung
   DIR ÖPP
   DIR Finanzen
   DIR Autobahn
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Öffentlich-Private Partnerschaften: Gabriels Milliarden-Angebote
       
       Der Wirtschaftsminister verspricht neue Infrastruktur. Für Steuerzahler
       wird das teuer, zeigen interne Papiere. Um das zu kaschieren, soll der
       ÖPP-Begriff weg.
       
   DIR Bilfinger-Chef Koch geht: Rolands rascher Rücktritt
       
       Roland Koch räumt nach gut drei Jahren als Vorstandschef von Bilfinger
       vorzeitig seinen Posten – der zweite überraschende Abgang innerhalb von
       vier Jahren.
       
   DIR Öffentlich-Private Partnerschaften: Gekaufte Inhalte
       
       Beim 8. Bundeskongress ÖPP vernetzen sich Wirtschaft und Politik. Gemeinsam
       verleihen sie Preise, vor denen man weglaufen sollte.
       
   DIR Kommentar Ausbau A7: Die Demokratiedarsteller
       
       Die Privatisierung des Autobahnbaus wird teurer als eine in staatlichen
       Händen? Macht nichts, es geht trotzdem weiter wie bisher.
       
   DIR Teilprivatisierung der A7: „Ziehen die das durch, wird's irre“
       
       Das Bundesverkehrsministerium will eine Öffentlich-Private Partnerschaft
       bei der A7 eingehen. Die neue rot-grüne Landesregierung will das auf keine
       Fall.
       
   DIR Öffentlich-private Partnerschaften: A7-Privatisierung vor dem Aus
       
       Die umstrittene Öffentlich-Private Partnerschaft kommt wohl nicht: Vor dem
       Regierungswechsel zu Rot-Grün will Niedersachsen die Ausschreibung nicht
       starten.
       
   DIR Öffentlich-Private Partnerschaften: Die Zustimmung bröckelt
       
       Lange fiel es Sozialdemokraten schwer, sich ÖPP-kritisch zu positionieren –
       schließlich hatten sie dem Modell zur Blüte verholfen. Jetzt dreht sich der
       Wind.
       
   DIR Öffentlich-Private Partnerschaften: Gekaufte Gutachten
       
       Bei der Teilprivatisierung der A6 sollen die Zahlen frisiert worden sein.
       Verkehrsminister Ramsauer will die Gutachten geheim halten. Mal sehen, was
       drinsteht.
       
   DIR Kommentar Private Finanzierung: Der Markt regelt gar nichts
       
       Öffentlich-privat finanzierte Projekte sind unseriös. Vor allem sparen sie
       kein Geld. Nur ein Kartell von Politikern und Konzernstrategen hält das
       Modell am Leben.
       
   DIR Privatisierung um jeden Preis: Der Autobahn-Klau
       
       Das Bundesverkehrsministerium will immer mehr Autobahnabschnitte
       privatisieren. Das kostet sogar mehr? Egal. Dann ignoriert man die Studien
       eben.
       
   DIR Staatslobbyismus: Der Wirtschaftstrojaner
       
       Wie die Wirtschaft sich im Staat einnistet: das Märchen von der
       öffentlich-privaten Partnerschaft. Eine Firma maßgeschneidert nach den
       Interessen der Industrie.