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       # taz.de -- Kolumne Männer: Du hast ja Recht, ich sehe super aus
       
       > Männer neigen dazu, ihre Anziehungskraft auf Frauen zu überschätzen. Gut
       > so – sich grundlos gut zu finden, ist eine dahinsiechende Kunstform.
       
       Wenn das ein Traum ist, möchte ich nie wieder aufwachen. Ich gehe durch
       eine Einkaufsstraße, es ist warm und sonnig. Mir kommen hunderte schöne
       Frauen mit langen dunkelbraunen Haaren entgegen, und fast jede schaut mich
       mit großen Augen an. Warum kann das nicht das ganze Jahr über so sein?
       
       Weil ich hier im sommerlichen Argentinien leider nicht lebe, sondern bloß
       für ein paar Wochen zu Gast bin. Könnte ich Spanisch, dann wäre das
       südamerikanische Land das Paradies für einen Mann wie mich: Ich bin groß,
       blond und blauäugig. Endlich genieße ich den Exotenbonus.
       
       Weniges ist für Männer verführerischer als der Gedanke, attraktiv zu sein,
       ohne sich dafür anstrengen zu müssen. Endlich mal kein Charmieren, keine
       sportlichen Qualen, kein Geprunke mit beruflichen Erfolgen. Ich lebe den
       Traum. In Shorts schlendere ich durch Buenos Aires, trinke hier einen
       Kaffee und kaufe da bizarre Mitbringsel. Auf besonderen Wunsch einer an
       Dauerironie leidenden Freundin habe ich das irre Verschwörungsbuch „Hitler
       en Argentina“ in meine stylish-transparente Einkaufstüte gepackt. Schnell
       raus aus dem Buchladen und zurück in die Fußgängerzone, mich begaffen
       lassen.
       
       Angeblich neigen Männer ja dazu, ihre Wirkung auf Frauen zu überschätzen.
       Die Universität Wisconsin hat 2012 eine Studie erstellt. Die Forscher
       befragten getrennt voneinander heterosexuelle Frauen und Männer Anfang
       zwanzig, die nachweislich miteinander befreundet waren. Das Ergebnis:
       Männer gaben häufig an, sexuell an ihrer „guten Freundin“ interessiert zu
       sein. Sie gingen davon aus, dass diese Freundin ihrerseits unterdrückte
       romantische Gefühle für sie hege, sie aber um der Freundschaft willen
       zurückstelle. Die Frauen sahen das anders. Sie gaben viel seltener an,
       heimlich auf ihre männlichen Kumpels zu stehen.
       
       Männer reden sich also leicht etwas zu ihren Gunsten ein. Das finde ich
       sehr sympathisch. Sich grundlos gut zu finden, ist eine dahinsiechende
       Kunstform. Schließlich hört man allerorten, was für ein Mängelwesen man in
       jeder Beziehung sei. Kerle, die sich leicht überschätzen, sollte man daher
       nicht tadeln. Sondern Männer, die glauben, sie seien mit einer Frau rein
       asexuell befreundet. Die hören bestimmt auch das Weihnachtsalbum von Sting
       oder bügeln ihre Jeans. Frauen, die glauben, sie seien rein asexuell mit
       einem Mann befreundet, sind hingegen der Studie zufolge so häufig
       anzutreffen, dass ich mir an dieser Stelle Scherze auf ihre Kosten spare.
       
       Runter vom Fußgängerzonen-Laufsteg, rein ins schattige Café. Ich treffe
       einen Freund, der in Buenos Aires lebt. Groß, blond, blauäugig. Glückspilz.
       Er plaudert mit einer Bekannten, die auf ihn steht. Behauptet er zumindest.
       Die dunkelhaarige Schöne guckt mich so an wie all die anderen Frauen zuvor.
       Du hast ja Recht, ich sehe super aus. „Wir sehen in Buenos Aires wirklich
       ’ne Menge. Aber selten“, sagt die Frau auf Englisch und zeigt erst auf
       meine Frisur und dann aufs Hitler-Buch in meiner Tüte, „aber selten schwule
       Nazis.“
       
       16 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Matthias Lohre
   DIR Matthias Lohre
       
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