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       # taz.de -- Die Wahrheit: Die Krücke des Zensors
       
       > Zensurfreudigkeit scheint vererbar zu sein. In den siebziger Jahren tat
       > sich ...
       
       Zensurfreudigkeit scheint vererbbar zu sein. In den siebziger Jahren tat
       sich Paddy Cooney als irischer Justizminister mit der Zensur des
       staatlichen Rundfunks und Fernsehens hervor: Mitglieder von Sinn Féin, dem
       politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), durften zwar zu
       sehen, aber nicht zu hören sein, ihre Äußerungen mussten von Schauspielern
       nachgesprochen werden. Sohn Mark Cooney, wie der Vater Mitglied der Partei
       Fine Gael und Stadtrat im mittelirischen Athlone, fordert nun die
       Entfernung eines Kunstwerks aus der örtlichen Galerie.
       
       „Fragments sur les Institutions Républicaines IV“ von Shane Cullen enthält
       Abschriften von Nachrichten, die von IRA-Gefangenen während des
       Hungerstreiks 1981 auf Zigarettenpapier geschrieben und von Angehörigen aus
       dem Gefängnis geschmuggelt wurden. Das sei das gleiche, wetterte Cooney,
       als ob man „Hitler glorifiziert und die Vorzüge der Ausrottung von Juden
       preist“. Zensur von Kunst sei manchmal notwendig, um Kinder zu schützen,
       meinte er. Weil sie nach dem Lesen der Nachrichten in einen Hungerstreik
       treten würden?
       
       Cooneys Parteikollegin Gabrielle McFadden pflichtete ihm bei und sagte,
       öffentliche Galerien sollten keine politisch kontroverse Kunst zeigen.
       Sondern nur Blümchenbilder? Cooney senior behauptete gar, Cullens Werk sei
       gar keine Kunst und stupste es mit seiner Krücke an. Das sollte er mal im
       Louvre versuchen.
       
       Da die Luan Gallery, die erst im November eröffnete, von der Stadt
       finanziert wird, muss sich der Stadtrat mit Cooneys Zensurantrag befassen.
       Peinlich ist, dass Cullens Werk vom Irish Museum of Modern Art ausgeliehen
       wurde. Damit ist es Staatseigentum, und der Staat wird zurzeit von Fine
       Gael ruin … äh, regiert. Das Kunstwerk ist bereits fünfzehn Jahre alt und
       wurde nicht nur in zahlreichen irischen Städten ausgestellt, sondern auch
       in den USA und einigen europäischen Ländern.
       
       Cullen war verblüfft über die Furore. „Die kleinen Zigarettenpapiere
       befinden sich in der Sammlung des Nationalarchivs“, sagte er. „Es sind
       Artefakte. Sie geben uns einen Einblick in die Geschichte, und ich halte es
       für ziemlich ambitioniert, die Geschichte zensieren zu wollen.“ Der
       Stadtrat will morgen auf einer Sondersitzung entscheiden, ob das Werk
       entfernt werden muss. In diesem Fall könnte man gleich die Luan Gallery
       dichtmachen, denn kein Künstler würde dort noch ausstellen wollen.
       
       Cooneys „Kunstkritik“ hat zunächst aber andere Folgen: Verloren sich am Tag
       nach der Ausstellungseröffnung gerade mal zwanzig Menschen in der Galerie,
       so sind es inzwischen weit über 100 täglich. Dem Stadtverordneten eröffnen
       sich ungeahnte Möglichkeiten für lukrative Nebenjobs: Für eine Beteiligung
       an den Tantiemen könnte er öffentlich ein paar Bücher von Nachwuchsautoren
       verbrennen und ihnen dadurch zum Durchbruch verhelfen. Damit würde er nicht
       nur die Tradition seines Vaters gebührend fortführen, sondern auch die
       seiner Partei. Die Blueshirts, aus denen sich Fine Gael entwickelt hat,
       unterstützten Spaniens Faschisten.
       
       14 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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