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       # taz.de -- Kanzlerkandidat Peer Steinbrück: Die Zweifel wachsen
       
       > An der SPD-Basis gibt es leise Kritik an Peer Steinbrück. Doch am 20.
       > Januar wird in Niedersachsen gewählt. Und was, wenn die Wahl unter ihm
       > verloren geht?
       
   IMG Bild: Schwieriger Wahlkampf: Peer Steinbrück macht es der SPD-Basis nicht leicht
       
       BERLIN taz | „Deutschland braucht wieder mehr Wir und weniger Ich“, ruft
       Peer Steinbrück in den Saal. Es ist der 9. Dezember in Hannover, seine
       Krönungsmesse. Er hält die Parteitagsrede, die viele Genossen erhofft und
       nur wenige erwartet hatten.
       
       „Ich bin stolz, ein deutscher Sozialdemokrat zu sein. Ich kämpfe nicht
       allein für meine Kanzlerschaft, sondern für meine Partei, für einen echten
       Politikwechsel in Deutschland.“ Für Rot-Grün im Bund verspricht er
       SPD-Politik reinsten Wassers: Mindestlohn und Frauenquote, Energiewende und
       Steuerreformen. Am Ende seiner Rede entschuldigt er sich bei allen
       Genossen, was er ihnen mit seinen Nebenjobs „zugemutet“ habe. Es folgt
       Applaus. Elf Minuten.
       
       Peer Steinbrück, tatsächlich ein Sozialdemokrat. Er lacht, er ist bewegt
       von der Zustimmung, die ihm entgegenfliegt. An diesem Tag schließt sie
       sich, die Kluft zwischen dem Kandidaten und seiner Partei. Endlich.
       
       Offenbar war er lernfähig. Die Verlegenheitslösung Steinbrück, die nach
       Absagen von Gabriel und Steinmeier aus der Troika einfach übrig geblieben
       war, schien doch noch ein brauchbarer Deal für die Partei zu werden. Der
       eigenwillige Hanseat, sonst stets auf Distanz zur SPD bedacht, schwenkte
       auf Parteilinie ein. Die SPD-Linke schloss Frieden mit ihm. Zufrieden wurde
       vermerkt, dass Steinbrück in den zentralen Bereichen Steuer und
       Rentenpolitik bis in die Wortwahl hinein die Positionen des SPD-Chefs
       Sigmar Gabriel übernahm. „Steinbrück hat verstanden, dass die Spaltung der
       Gesellschaft in Arm und Reich das wesentliche Thema der SPD sein muss“,
       sagt ein SPD-Mann aus der Parteizentrale.
       
       ## Fremdeln statt Aufhübschung
       
       Die SPD dankte es ihm mit Loyalität. Über seine Nebenjobs machten auch
       linke Sozialdemokraten keine despektierlichen Andeutungen. Ein linker
       Landeschef gab Mitte November im kleinen Kreis euphorisch die Losung aus:
       „Peer Steinbrück steht der Partei viel näher, als es Gerhard Schröder je
       getan hat.“
       
       Sechs Wochen ist das her.
       
       Anfang Januar lässt sich kaum jemand mehr zu solchen Aufhübschungen
       hinreißen. Die Partei fremdelt wieder mit dem Kandidaten. Denn der wird das
       Image, aufs Geld aus zu sein, nicht los – ja, er befördert es sogar
       offensiv.
       
       Noch drei Tage vor seiner Kür zum Kandidaten wollte Steinbrück einen
       Vortrag bei einer Schweizer Privatbank halten. Nur weil diese von der
       Staatsanwaltschaft durchsucht wurde, verzichtete der Sozialdemokrat. In
       sein Team berief er einen Berater von Hedgefonds, den das Willy-Brandt-Haus
       umgehend wieder vor die Tür setzte. Im Dezember erklärte er, dass er
       „niemals Wein kaufen würde, der nur fünf Euro kostet“. Im Interview mit der
       Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verkündete er zum stummen
       Erschrecken des Parteiapparates, dass das Gehalt des Bundeskanzlers zu
       niedrig sei. Und provozierte so die Frage, wie mit ihm ein
       Gerechtigkeitswahlkampf gelingen soll.
       
       Nun werden vorsichtige Zweifel laut.
       
       Die SPD-Linke Hilde Mattheis sagt es diplomatisch: „Ich hätte mir
       gewünscht, dass Steinbrück sich auf die inhaltlichen Botschaften
       konzentriert, die er auf dem letzten Parteitag in seiner Rede sehr gut
       dargelegt hat.“ Die SPD habe unter Parteichef Sigmar Gabriel von der Rente
       bis zum Niedriglohnsektor „viele Fehler korrigiert, die mit unserer
       Gerechtigkeitsidee nicht vereinbar waren“, so die Chefin der linken
       Flügelorganisation DL 21 zur taz. Dazu müsse der Kandidat stehen. Und: „Ich
       kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Steinbrück diese
       Verantwortung nicht bewusst ist.“
       
       ## Ungute Erinnerung an den Wahlkampf 2009
       
       Das klingt fast nach Händeringen. Was, wenn Steinbrück auf die
       Parteidisziplin pfeift, wie er es schon so oft getan hat?
       
       Unvergessen ist, wie er zehn Tage vor der Bundestagswahl 2009 dem damaligen
       Kandidaten Frank-Walter Steinmeier in die Parade fuhr. Die SPD habe nur
       noch die Perspektive, Juniorpartner von Merkel zu bleiben, verkündete der
       Finanzminister damals per Interview. Das war faktisch richtig – aber auch
       das sicherste Mittel, um die verunsicherte SPD-Basis vollends zu
       entmutigen.
       
       Im Berliner Willy-Brandt-Haus ist die Stimmung gedrückt. „Schon wieder ein
       Neuanfang“, stöhnt ein führender SPD-Mann. Die Hoffnung, nach der
       Parteitagsrede von Steinbrück mit Inhalten, mit Steuergerechtigkeit und
       Mindestlohn die Klientel zu erreichen, ist verflogen. In der Zentrale ist
       man fassungslos, auch über Steinbrücks Team. Dass dessen Sprecher Michael
       Donnermeyer nicht checkte, wie verheerend das FAS-Interview ankommen würde,
       und die Reißleine zog, „ist unfassbar“, heißt es.
       
       Neun Monate vor der Bundestagswahl werden in der Parteizentrale schon
       Durchhalteparolen ausgegeben: „Wir müssen das durchstehen.“ Offiziell und
       mit Namen will sich niemand gegen den Kandidaten in Stellung bringen, um
       den Schaden nicht noch zu vergrößern. Doch in der Zentrale gesteht man
       unter der Hand ein: „Wir sind demotiviert.“ Es gebe keine offene
       Opposition, aber „wachsendes Gegrummel“.
       
       ## Zwischen Peine und Cloppenburg
       
       Die einzige Hoffnung der Wahlstrategen ist derzeit, dass der Frust über
       Steinbrücks Ego-Touren nur in der Hauptstadt so intensiv wahrgenommen wird.
       Berliner Hype eben, der sich zwischen Peine und Cloppenburg versendet. Dort
       in Niedersachsen will Rot-Grün die schwarz-gelbe Landesregierung ablösen.
       
       SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ist einer der wenigen
       Sozialdemokraten, die sich im Moment ohne jedes Wenn und Aber zu Steinbrück
       bekennen. Die Aufregung über Steinbrücks Geld-Affäre? „Ein Sturm im
       Wasserglas“, so Lauterbach. „Ich bin viel im Wahlkampf in Niedersachsen
       unterwegs. Die einfachen Leute sind nicht so dumm, wie der eine oder andere
       glaubt. Jeder weiß doch, dass Politiker im Vergleich zur Wirtschaft nicht
       gut bezahlt werden“.
       
       Und: „Ein Brioni-Anzug ist in Arbeiterkreisen kein Problem – eher schon für
       einen unterbezahlten Biologielehrer.“ Lauterbachs Optimismus fußt darauf,
       dass der Kandidat trotz Eskapaden noch immer funktioniere wie erwartet. Die
       SPD-Klientel werde schon nicht von der Fahne gehen. „Niemand, der links
       denkt, wählt konservativ, weil der Kandidat scharfe Ecken und Kanten hat“,
       so Lauterbach. Steinbrück strahle aus, worauf es ankommt: „Kompetenz“.
       
       Auch der SPD-Rechte Johannes Kahrs meint, dass Steinbrück „einen gewissen
       Zauber auf jene Klientel ausübt, die wahlentscheidend ist“. Der Sprecher
       des Seeheimer Kreises rät dem Kandidaten, der bei jungen Frauen gar nicht
       gut abschneidet, sich nicht irritieren zu lassen: „Die ständige Forderung,
       er soll mal über Frauen reden, geht mir auf den Keks. Er muss seine
       Kantigkeit nicht abschleifen.“
       
       Also weiter so? Mit diesem Kandidaten?
       
       Das ist wahrscheinlich, aber nicht sicher. Das entscheidende Datum wird der
       20. Januar, wenn in Niedersachsen gewählt wird. Zuletzt hat die SPD bei
       vier Landtagswahlen den Wechsel geschafft. In der Parteispitze rechnet man
       fest mit einem Sieg in Hannover: Rot-Grün liegt in Umfragen konstant vor
       Schwarz-Gelb. Steinbrück selbst hat die Funktionäre auf den Sieg
       eingeschworen. Dann, so sein Versprechen, werde er den Drive haben, um
       Schwarz-Gelb frontal anzugreifen.
       
       ## Kandidatenwechsel nach Wahlpleite?
       
       Aber was, wenn die SPD ausgerechnet die erste Landtagswahl mit ihrem
       eigensinnigen Kanzlerkandidaten verliert?
       
       Die meisten wollen für diesen worst case auch hinter vorgehaltener Hand
       nichts von einem Rückzug Steinbrücks wissen. Immerhin hat es so etwas in
       der Geschichte der Republik noch nie gegeben.
       
       Der Parteienforscher Franz Walter, einer der besten Kenner der SPD, sieht
       mittlerweile schwarz für die SPD 2013 im Bund. „Ohne plausibles Machtziel
       wird es rasch ganz furchtbar. Dann klingen alle Formeln vom Politikwechsel
       wie Schwadroniererei. Nichts demobilisiert mehr als eine solche
       Ausgangslage“, sagt der Politikwissenschaftler. In dieser Situation werde
       Steinbrücks Ferne zur SPD, die neue Wählerschichten erschließen sollte, vom
       Bonus zum Malus.
       
       „Steinbrück besitzt ja keine Reservelegitimation. Nie hat ein Unterbezirk,
       ein Landesverband nach dem Kandidaten Steinbrück gerufen. Sie haben sich
       ihn aufschwatzen lassen, weil er Popularität und Prozente für die SPD
       versprach. Bringt er die nicht, stiftet nichts mehr Halt: keine
       Loyalitäten, keine Zuneigungen, keine gemeinsamen Überzeugungen und
       gemeinsamen Kampfgeschichten. Nichts.“
       
       Noch wagt kaum jemand in der Partei das Undenkbare in Betracht zu ziehen.
       
       Falls doch, glaubt ein SPD-Linker, „wird es keinen Dolchstoß geben“,
       sondern einen zähen Zerfallsprozess.
       
       Wenn die Siegchancen der SPD im Bund gen null gehen und der Burgfrieden der
       SPD-Linken mit Steinbrück bricht, ist alles möglich.
       
       6 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR A. Maier
   DIR S. Reinecke
       
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