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       # taz.de -- Wirtschaftsethiker über Goldman Sachs: „Beihilfe zur Überschuldung“
       
       > Der Wirtschaftsethiker Florian Wettstein über die Verantwortung der Bank
       > Goldman Sachs in der Krise, die Genfer Konvention und den Schmähpreises
       > „Public Eye“.
       
   IMG Bild: Geste eines Occupy-Demonstranten vor dem Goldman-Sachs-Gebäude in New York im September 2012.
       
       taz: Herr Wettstein, die als wirtschaftsfreundlich bekannte Universität St.
       Gallen in der Schweiz kritisiert jetzt Unternehmen wie die Bank Goldman
       Sachs scharf. Wie kam es dazu? 
       
       Florian Wettstein: Unser Institut für Wirtschaftsethik vertrat schon immer
       kritische Positionen. Dieses Engagement passt zu unserer Mission innerhalb
       der Universität St. Gallen. Diese besteht darin, bestimmte Haltungen in der
       Wirtschaft zu hinterfragen. Eine Wirtschaftsuni braucht ein kritisches
       Element.
       
       Greenpeace Schweiz und die Erklärung von Bern verleihen bald wieder ihren
       Schmähpreis an unsoziale und unökologische Konzerne. Goldman Sachs trage
       eine Mitverantwortung für den Ruin Griechenlands und die Eurokrise, lautet
       eine der Anschuldigungen. Halten Sie diese für zutreffend? 
       
       Die Recherchen zum Verhalten der einzelnen Unternehmen erhalten wir in
       anonymer Form. Unsere Aufgabe ist es nicht, die darin genannten Fakten zu
       überprüfen. Da wir beim Verfassen der Gutachten die dahinter stehenden
       Firmen nicht kennen, müssen wir uns grundsätzlich darauf verlassen, dass
       die Angaben stimmen. Dies liegt in der Verantwortung der Organisationen,
       die den Preis verleihen. Unser Mandat besteht darin, die Politik der Firmen
       im Rahmen der Nominationen wirtschaftsethisch zu bewerten.
       
       Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? 
       
       Wenn die Vorwürfe gegen Goldman Sachs zutreffen, lässt sich eine
       Mitverantwortung der Bank für die Krise in Griechenland und Europa kaum von
       der Hand weisen. Sie hat dann wohl wissentlich Beihilfe dazu geleistet, den
       ohnehin hohen Schuldenstand der Regierung in Athen jahrelang zu
       verschleiern und zu perpetuieren.
       
       Die Kritiker sagen, Goldman Sachs habe die miserable Finanzsituation
       Griechenlands verborgen, indem die Bank Schuldpapiere Athens auf den
       Finanzmärkten verkaufte. Machen so etwas nicht viele transnationale
       Finanzinstitute? 
       
       Das Eingehen und gleichzeitige Herunterspielen von enormen Risiken ist bei
       internationalen Großbanken in den vergangenen Jahren zum eigentlichen
       „business as usual“ geworden – mit bekanntem Resultat. Goldman Sachs steht
       damit nicht alleine. Es geht um ein systemisches Problem. Aber Goldman ist
       eine besonders wichtige und herausgehobene Bank mit starker Verflechtung
       zur internationalen Politik, weshalb an sie sicherlich auch höhere
       Erwartungen in Sachen Verantwortung gestellt werden können. Deshalb ist es
       auch gerechtfertigt, speziell auf dieses Institut hinzuweisen.
       
       Dem privaten britischen Sicherheitskonzern G4S werfen die Kritiker vor,
       israelische Gefängnisse auszustatten und für die widerrechtliche
       Verschleppung palästinensischer Gefangener aus dem besetzten Westjordanland
       mitverantwortlich zu sein. Wie sehen Sie das? 
       
       Wir gehen davon aus, dass die Fakten stimmen. Dann läge ein Verstoß gegen
       die 4. Genfer Konvention vor, der zufolge Gefangene nicht im Besatzerstaat
       weit entfernt von ihrer Heimat eingesperrt werden dürfen. Das Unternehmen
       würde damit Beihilfe zu diesem Verstoß gegen internationales Recht leisten.
       
       G4S wird außerdem beschuldigt, das „israelische Apartheidregime“ zu
       unterstützen. Setzt sich Ihr Institut damit nicht dem Vorwurf aus, in
       antisemitisches Fahrwasser zu geraten? 
       
       Nein, wir machen uns die Formulierungen und moralischen Bewertungen der
       Nominationen nicht zu eigen. Im Gegenteil, wir analysieren aus neutraler
       Perspektive den wirtschaftsethischen Gehalt der Unternehmenspolitik – viele
       Vorwürfe werden so in unseren Gutachten auch relativiert.
       
       Müssen sich internationale Unternehmen mittlerweile mehr für ihr Verhalten
       rechtfertigen als früher? 
       
       Große Firmen, die ihre Produkte direkt den Verbrauchern anbieten und auf
       ihre Reputation achten müssen, stehen unter stärkerer Beobachtung. Die
       Öffentlichkeit ist besser informiert und kritischer geworden. Sehr viele
       andere Firmen fliegen jedoch noch immer unter dem Radar der öffentlichen
       Wahrnehmung hindurch.
       
       Zwingen auch schärfere internationale Regularien die Wirtschaft inzwischen
       zu partiellem Wohlverhalten? 
       
       Es tut sich was. Beispielsweise stellen die Verhaltensrichtlinien, die der
       UN-Beauftragte John Ruggie entwickelt hat, eine enorme Verbesserung dar.
       Aber auch dieses Rahmenwerk ist in letzter Konsequenz nicht rechtlich
       verbindlich. Auch fehlen beispielsweise internationale Gerichte, vor denen
       solche Grundsätze eingeklagt werden könnten.
       
       6 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
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