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       # taz.de -- Moderne Sklaverei in Weißrussland: Wer kündigt, zahlt sein Gehalt zurück
       
       > Die Arbeitskräfte wandern scharenweise ins Nachbarland aus. Weißrusslands
       > Diktator Lukaschenko reagiert darauf mit bizarren Strafmaßnahmen.
       
   IMG Bild: „Ein lupenreiner Demokrat“: Alexander Lukaschenko.
       
       MINSK dpa | In Weißrussland nimmt das Leben immer absurdere Züge an. In der
       früheren Sowjetrepublik ist nun nicht einmal mehr die freie Wahl des
       Arbeitsplatzes möglich. „Das ist Leibeigenschaft“, kritisiert der
       Gewerkschaftler Alexander Jaroschuk in der Hauptstadt Minsk.
       
       Staatschef Alexander Lukaschenko will mit einem Erlass den Exodus der
       Bürger vor allem ins benachbarte Russland stoppen, wo die Löhne deutlich
       höher sind. Ob Computerspezialisten oder Bauarbeiter: Bei einem Monatslohn
       von durchschnittlich 230 Euro versuchen viele Weißrussen ihr Glück im
       Ausland. „In Russland bekomme ich nicht nur mehr Lohn, sondern auch eine
       Dienstwohnung“, sagt der Architekt Alexander Romaschtschenko.
       
       Glaubwürdige Zahlen, wie viele der fast zehn Millionen Weißrussen ihrer
       Heimat bereits den Rücken gekehrt haben, existieren nicht. Die meisten
       Auswanderer informieren die Behörden nicht. Zudem gibt es zwischen
       Weißrussland und Russland, die eine Zollunion verbindet, kaum
       Grenzkontrollen. Gewerkschaften in Minsk schätzen, dass jedes Jahr etwa
       150.000 Weißrussen ihre Heimat verlassen. „85 Prozent wandern nach Russland
       aus, der Rest in die naheliegenden EU-Länder, vor allem nach Polen“, sagt
       Jaroschuk.
       
       Seit 1994 führt Lukaschenko das Land mit harter Hand und im Stil einer
       kommunistischen Kommandowirtschaft. Seit Jahren kämpft Weißrussland gegen
       einen drohenden Staatsbankrott. Lukaschenko hat zwar mit China und dem Iran
       Kredite ausgehandelt, und auch Russland pumpt Milliarden in den
       Bruderstaat, dennoch leidet die Bevölkerung – unter anderem an einer
       Inflation von mehr als 30 Prozent.
       
       ## Keine Chance zur Selbstverwirklichung
       
       Sogar in der Hauptstadt verdienen Lehrer monatlich nur etwa 250 Euro. „Die
       niedrigen Gehälter sind aber nicht der einzige Grund für den Exodus“, sagt
       die Minsker Journalistin Irina Buraga. Junge Menschen und qualifizierte
       Arbeitskräfte würden im extrem straff durchreglementierten Weißrussland
       keine Möglichkeit mehr zur Selbstverwirklichung sehen.
       
       „Dass das aktuelle Wirtschaftsmodell ausgedient hat, räumen selbst
       weißrussische Spitzenfunktionäre hinter vorgehaltener Hand ein“, meint
       Jaroschuk. Niemand wage aber, Europas letztem Diktator Lukaschenko offen zu
       widersprechen.
       
       In dem Dekret des Präsidenten spielen die 20.000 Arbeiter der strategisch
       wichtigen Holzindustrie eine besondere Rolle. Eine neue Klausel in ihren
       Arbeitsverträgen verpflichtet sie künftig, im Fall einer Kündigung alle
       Gehälter zurückzuzahlen.
       
       ## „Ein gut durchdachtes System“
       
       Um das Geld einzutreiben, ziehen die Behörden die Strafe automatisch vom
       Lohn ab, wenn ein Arbeiter eine neue Stelle annimmt. Hat er keinen neuen
       Job, muss er in sein altes Werk zurückkehren – und trotzdem die Strafe
       zahlen. „Das ist ein gut durchdachtes System“, sagte Lukaschenko vor kurzem
       beim Besuch eines Sägewerks. Kritiker werfen ihm hingegen vor, er halte die
       Bürger wie Sklaven.
       
       „Das Abwandern von Arbeitskräften ist das größte Problem für die
       weißrussische Agrarindustrie“, räumt auch der für die Landwirtschaft
       zuständige Vizeregierungschef Michail Russy ein. Das Lukaschenko-Dekret
       werde daran nur wenig ändern, meint Buraga: „Es geht doch gar nicht mehr
       allein um Fachkräfte. Die Lage unseres Landes ist so schlecht, dass sogar
       schon Bauern das Weite suchen.“ Staatschef Lukaschenko studierte übrigens
       einst selbst Agrarwissenschaft und arbeitete früher auf einer Sowchose.
       
       2 Jan 2013
       
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