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       # taz.de -- Ausstellung zu Friedensreich Hundertwasser: Die Linien des Lebens
       
       > Bremens Kunsthalle zeigt Friedensreich Hundertwassers aus der Zeit
       > gefallene Kunst - aus jener Schaffensphase, als sie noch nicht zur
       > Routine verkommen und der Künstler keine Marke war.
       
   IMG Bild: Antimodern und doch gegenwärtig: Hundertwassers "Pissender Knabe mit Wolkenkratzer" von 1952.
       
       BREMEN taz | Einen harten Schnitt gibt’s, eine Trennungslinie, und die wird
       markiert durch das Jahr 1970. In ihrer Hundertwasser-Ausstellung zeigt die
       Bremer Kunsthalle kein Werk, das nach 1970 entstanden wäre. Und zwar mit
       gutem Grund: Denn 1970 beginnt sozusagen das von Hundertwasser, was alle
       kennen, was ihn zum Liebling der Kinder und Massen gemacht hat und zur
       Schreckensfigur der Kunsthistoriker und des Feuilletons.
       
       Bis dahin aber hat Christoph Grunenberg, Direktor der Kunsthalle seit einem
       Jahr, das Oeuvre von Friedensreich Hundertwasser fast schon
       stumpf-chronologisch geordnet für seine erste große Ausstellung in Bremen.
       Die ist eine ziemlich mutige Stellungnahme. Auch, weil sie die oft verpönte
       biografische Ordnung als einziges Kriterium anerkennt und dabei auf so gut
       wie jede Kontextualisierungen verzichtet: Sie zeigt Hundertwasser,
       Hundertwasser an sich und Hundertwasser für sich – und wenn ab und zu eine
       andere Größe der Kunstszene wie Arnulf Rainer oder Bazon Brock mit aufs
       dokumentarische Bild gerutscht ist, dann liegt das nur daran, dass man die
       Kollaborateure schlecht rausretuschieren hätte können.
       
       Eine kuratorische Herangehensweise, die wirkt, als sei sie aus der Zeit
       gefallen. Und die genau deshalb ideal zum Gegenstand passt. Denn der am 15.
       Dezember 1928 als Friedrich Stowasser in Wien geborene Künstler verfolgte
       ein radikal-individualistisches Konzept. Und: Sein Werk ist nicht durch die
       Biografie verstellt, sondern – durchs Werk, also dessen späte Phase, mit
       der Hundertwasser sich durch eine stark repetitive und somit ins
       Kunsthandwerkliche tendierende Produktion zur – nicht zuletzt im Kalender-
       und Postersegment erfolgreichen – Marke Hundertwasser umgestaltet.
       
       In Bremen ist nun den frühen und frühesten Arbeiten zu begegnen. Es sind
       sogar Bilder dabei, die vom penibel seine Arbeiten ordnenden Maler im
       Werkkatalog mit JW als „Jugendwerk“ stigmatisiert, also halbwegs
       aussortiert wurden: „Kaffeemühle auf Fleckerlteppich“ ist eines, ein
       Stillleben von 1949.
       
       Spannend daran ist, wie der junge Künstler hier bereits an Formen
       herumprobiert, die später seine Bildsprache prägen werden. Da sind die
       spiraloid strukturierten Zitronen im Bildvordergrund, da sind die Linien
       des Läufers, da ist die bildimmanente Dialektik von Kreisform und Kästchen
       im Objekt der Kaffeemühle.
       
       Spirale, organische Linien, Architektur – und eine aus biologischen
       Pigmenten selbstproduzierte Farbgebung, das sind die Faktoren, die das
       Experimentierfeld Hundertwassers bestimmen. Er probiert die gestische
       Sprache des Informel, befragt, nach Paris gezogen, malerisch die
       Architektur Le Corbusiers und die waben- oder zellenförmige maghrebinische
       Bauweise: All dies wird damals durchdacht, in Frage gestellt, gedanklich
       bewegt – bis eine persönliche Lösung gefunden ist: Die der freihändigen,
       pulsierenden aber nie sonderlich expressiven, nie wilden Linie von
       strahlender Farbigkeit – und der Spiralform als ihrer zeichnerisch fast
       schon zwangsläufigen Konsequenz.
       
       Der Moment, in dem diese Befreiung ge- und erfunden ist, wirkt wie ein
       Triumph. Am grandiosesten spricht der sich im völlig planlos, frei gewebten
       Wandteppich „Pissender Knabe mit Wolkenkratzer“ von 1952 aus:
       Rücksichtslos, unvorsichtig, antimodern und doch gegenwärtig. Und eben so
       unbürgerlich und so radikal individualistisch, dass er nie in
       Serienproduktion wird gehen können.
       
       Erst ab 1970 wird auch die Traum-Kindergartenarchitektur verwirklicht. Bei
       ihr heißt das: Sie verflacht. Denn während die Vision des Bauens sich noch
       konsequent antifunktional formuliert, statt des Ornaments den Besitz eines
       Lineals zum Verbrechen erklärt und darauf beharrt, dass jedes Individuum
       sich diese dritte Haut selbst bilden müsse, läuft’s in der Realität dann
       doch nur darauf hinaus, durch abgerundete Ecken und Mosaiksteine Camouflage
       zu betreiben: Auch Getreidesilos, Bahnhöfe und Müllverbrennungsanlagen
       lassen sich so verhübschen. Das erste Haus-Modell hat Hundertwasser 1970
       gebastelt, und seit 1977 steht’s in Wien.
       
       Dass er Hundertwasser gar nicht kennt, erfährt der Ausstellungsbesucher in
       Bremen wie einen Schock. Die Kunsthalle knallt ihm das beim Betreten an den
       Kopf: Im Zentralsaal hockt der Künstler als junger Mann, ohne Bart, ohne
       Kappe, mit nacktem Oberkörper, ein Mensch, den man, ehrlich gesagt, noch
       nie gesehen hat.
       
       Die überlebensgroß reproduzierte, freigestellte schwarz-weiß Fotografie
       hängt mittig an der Rückwand des Saals, auf einer orangegrundierten
       Infotafel. Ein wenig wie ein Vogel wirkt er, und eingehend scheinen seine
       dunklen großen Augen den Betrachter zu mustern, nicht unfreundlich, aber
       mokant und herausfordernd, ja fast schon arrogant.
       
       Das also ist Hundertwasser, der Mensch. Und so lässt sich von dieser quasi
       archäologisch freigelegten realen Person hinter, oder zeitlich besser: vor
       der Marke, dieser Person im biografischen Zustand der Unschuld, eben auch
       ins Werk switchen, in dessen Anfänge, von denen aus sich sein Weg, seine
       Entwicklung als eine Linie nachvollziehen – und letztlich eben auch ahnen
       lässt: Wieso das alles als blöde Merchandising-Maschine enden konnte –
       trotz, oder wegen seines anrührenden Individualismus.
       
       Denn den Impuls der Widerständigkeit, den Drang abzuweichen, den dieses
       Werk auszeichnet, gibt die Biografie als Befreiung von der
       überlebenswichtigen Anpassung der Kindheit preis. Als Siebenjähriger
       unterwirft sich der Junge der Taufe und 1942 tritt er der Hitlerjugend bei,
       um sich und die Mutter zu retten: Deren jüdische Verwandte werden
       deportiert, 69 von ihnen ermordet.
       
       Selbst die Gruppierungen, denen er angehörte, veranstalteten zwar
       gemeinsame Happenings und Ausstellungen – aber ihre gemeinsame ästhetische
       Doktrin bestand im Verzicht auf eine gemeinsame ästhetische Doktrin: Jeder
       der „drei Unterzeichneten“, so informiert er mit Ernst Fuchs und Arnulf
       Rainer 1959 im Pintorarium-Manifest, sei für sich bereits „selbständig mit
       eigenen Philosophien vor die Öffentlichkeit getreten“ und keiner von ihnen
       plane vom Prinzip der „individuellen Autonomie“ abzuweichen.
       
       So ähnlich dürfte auch das Statut einer Zweck-WG klingen, sollte es denn
       verschriftlicht werden. „Ich will nicht vertrotteln“, endet es dann doch
       noch mit einem Minimal-Konsens. Bis 1970 hat sich Hundertwasser daran auch
       strikt gehalten.
       
       Nein, es geht gar nicht darum, alles, was danach kommt, als Schrott
       abzuwerten und als Kitsch. Es ist aber so, dass der drängende Impuls, die
       unerbittliche Suche und wohl auch die Verzweiflung, die sich in der ersten
       Werkphase aussprechen, weit eher berühren: Da ist „Die politische
       Gärtnerin“, die eine merkwürdige Verschmelzung eines in einem seltsamen
       blaustichigen Grün gehaltenen, durch Hakenkreuz- und Hammer- und
       Sichel-Abzeichen stigmatisierten Frauenaktes mit seiner Umwelt inszeniert –
       Kraft der alles auf diesem Gemälde durchdringenden und durchwirbelnden
       Spiralen.
       
       Und da ist, als eine Antwort durch die Zeit auf Gustav Klimts Kuss
       konzipiert, die rot und blau sich in die Netzhaut einbrennende, zugleich
       den Betrachter aufsaugende Doppelhelix „Der große Weg“ von 1955: Dieses
       seit der Urzeit bekannte, magische Symbol von Leben und Unendlichkeit wirkt
       in jenen Jahren frisch, als wäre es von Hundertwasser selbst erfunden. Und
       diese Euphorie, diese Faszination, diese hypnotische Kraft wird in dieser
       Linie immer pulsieren. Auch wenn sie, bald danach, im späteren Werk, sich
       nur noch behauptet als Routine – bestimmt und geleitet von den Prinzipien
       des Marktes.
       
       1 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
   DIR Benno Schirrmeister
       
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